Kampf um Kieztreffpunkt: Der Wedding kommt – Café Leo geht?
Dem Café Leo auf dem Leopoldplatz in Wedding droht die Räumung. Der soziale Träger Wendepunkt gGmbH soll es ersetzen.
Am Samstag protestierte er zusammen mit rund 130 AnwohnerInnen und UnterstützerInnen seines Cafés gegen eine am 28. Februar geplante Räumung durch das Bezirksamt Mitte – Ünlüs Vertrag mit dem Bezirk läuft aus und soll nicht verlängert werden. Zuvor wurde ein Interessenbekundungsverfahren durchgeführt, bei dem sich Gewerbe und Vereine auf eine Ausschreibung des Bezirks für die Nutzung der Fläche auf dem Leopoldplatz bewerben konnten.
Auch Hüseyin Ünlü hat sich mit dem Café Leo dort beworben. Eine Jury, bestehend aus Mitgliedern des Bezirksamts und der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), stimmte allerdings ab, dass die soziale Organisation Wendepunkt gGmbH dort in Zukunft einen Standort bekommen soll. Für Ünlü würde das bedeuten, dass sein Kiosk abgerissen wird.
Der Bezirk wäre nicht an die Umsetzung des Ergebnisses der Abstimmung gebunden, plant dem aber nachzukommen. Rechtlich ist das Vorhaben unbedenklich. Die Entscheidung ist dennoch stark umstritten, da sie den Protestierenden zufolge ohne ausreichende Bürgerbeteiligung getroffen wurde und Ünlü in eine finanzielle Not treiben könnte. Der Protest richtet sich dabei nicht gegen die Wendepunkt gGmbH, sondern gegen die vermeintliche Verdrängung eines wichtigen Kieztreffpunkts. Das Bezirksamt beruft sich in einer Stellungnahme darauf, dass ein solches Verfahren „in der Landeshaushaltsordnung explizit festgelegt“ sei und „bei allen öffentlichen Aufträgen Anwendung“ finde.
Gemütliche Stimmung, günstige Speisen
Der Kiosk auf dem Leopoldplatz bietet mit ein paar Tischen und Stühlen davor, geschützt durch durchsichtige Planen, eine gemütliche Möglichkeit zum Einkehren. Kaffee, Bratwurst, Burger und Co gibt es hier sehr preiswert. Über die Jahre ist das Café Leo laut AnwohnerInnen ein sehr beliebter Treffpunkt im Kiez geworden. Als der Betreiber Ünlü 2017 sogar eine Baugenehmigung vom Bezirksamt bekam, investierte er 69.000 Euro, um aus seinem ursprünglichen Imbisswagen einen festen Laden zu machen. Auch deshalb kommt die angekündigte Räumung überraschend.
Muss Hüseyin Ünlü sein Geschäft nun aufgeben, würde ihn das dementsprechend in eine finanzielle Schieflage bringen. Um Geld geht es ihm dabei aber eigentlich nicht: „Ich habe das Café Leo nicht errichtet, um hohe Profite zu erwirtschaften“, sagt Ünlü. „Mir ist es wichtig einen Ort in diesem Kiez zu haben, wo alle Menschen friedlich beisammen sind und günstig etwas zu essen und zu trinken bekommen.“
Unterstützt wird der Protest gegen die geplante Räumung unter anderem von Simon Gückel, ein Anwohner und Mitglied der Linken. Auf change.org hat er eine Petition für den Erhalt des Cafés Leo gestartet, die bereits fast 5.000 UnterstützerInnen gefunden hat.
Gückel hätte sich anstelle des Interessenbekundungsverfahrens eine Direktvergabe an Hüseyin Ünlü gewünscht. Einen entsprechenden Antrag dafür durch Teile der Linken, Grünen und SPD gab es im letzten Jahr. Laut Gückel wurde dieser jedoch von Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) ignoriert. Und es soll ebenfalls von Dassel gewesen sein, der die Entscheidung in der Causa Café Leo maßgeblich vorangetrieben habe – teilweise auch gegen Widerstand in der eigenen Partei.
Bewusste Verdrängung?
Zudem kritisiert Gückel, dass das vom Bezirk ausgeschriebene Anforderungsprofil für die Neunutzung erneute Investitionen erfordere, die Hüseyin Ünlü nicht stemmen könnte. Daher rührt sein Verdacht, den auch AnwohnerInnen teilen, dass das Verfahren der Neugestaltung der Fläche geplant wurde mit dem Wissen, dass das Café Leo den Anforderungen überhaupt nicht gerecht werden könne. Sie sprechen von „bewusster Verdrängung“.
Gückel erinnert sich, dass Ünlü sein Café in einer Zeit errichtet hat, als viele Menschen noch einen weiten Bogen um den Leopoldplatz gemacht haben. Seiner Meinung nach hat der Kiosk maßgeblich zu einer positiven Entwicklung im Kiez beigetragen: „Das Café Leo ist mittlerweile eine Institution im Herzen von Wedding und Anlaufstelle für verschiedenste Menschen.“ Auch Tobias Schulze (Linke) betont in seiner Rede auf der Kundgebung die Bedeutung vom Leo für den Standort. Er sieht darin „Pionierarbeit“ in puncto Sozialarbeit im Kiez.
„Die Aussage Der Wedding kommt hört man in Berlin oft“, bemerkt Simon Gückel. Gemeint ist eine gewisse Entwicklung im Stadtteil: neue Geschäfte, höhere Mieten, Zuzug von Besserverdienenden, kurz um: Gentrifizierung. Der Wedding sei Gückel zufolge eine Zeit lang davon verschont geblieben, werde jetzt aber doch „mit voller Härte“ getroffen.
Hüseyin Ünlü gibt nicht auf
Auch wenn nicht geplant wird, das Café Leo durch eine Starbucks-Filiale zu ersetzen, sei eine mögliche Räumung für viele AnwohnerInnen ein großer Verlust. Die Angst vor weiterer Verdrängung vor allem im Bereich wohnen ist dennoch groß. Es treffe „meist nur die Menschen, die nicht viel Geld haben“, erzählt eine Anwohnerin des Leopoldplatzes.
Am Donnerstag soll in der BVV erneut über das Café Leo gesprochen werden. Dort kann allerdings lediglich ein weiteres politisches Zeichen gesetzt werden, die Entscheidung liegt beim Bezirk und ist zunächst gefallen. Laut Stellungnahme des Bezirks handelt es sich nicht um „Verdrängung“, sondern „Fortbetrieb mit einem alternativen gemeinnützigen Angebot“.
Hüseyin Ünlü gibt aber nicht auf und sagt, er werde „weiterkämpfen“. Rechtlichen Beistand bekommt er von seinem Anwalt Heinz Paul, der seinen Mandanten vor dem „wirtschaftlichen Ruin“ retten will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga