Kampf gegen das Putschregime in Myanmar: Mehrfrontenkrieg holt Junta ein
Landesweit gehen Rebellengruppen in die Offensive gegen die Militärjunta. Ein Rebellenkommandeur spricht von einer „politischer Wende“.
Damit droht das seit dem Putsch 2021 brutal regierende Militär noch weiter überdehnt zu werden und dürfte die jüngst im Osten verlorenen Gebiete kaum zurückerobern können.
Auslöser ist die am 27. Oktober begonnene „Operation 1027“ der Brotherhood of Northern Alliance im Norden des Shan-Staates an der Grenze zu China. Dort haben drei ethnische Armeen, darunter die AA, in wenigen Tagen mehr als 100 Militärposten eingenommen und zwei wichtige Straßen nach China sowie zwei Grenzstädte unter ihre Kontrolle gebracht. Die Junta verlor damit nicht nur strategische Gebiete, sondern wichtige Zolleinnahmen. Schon aus Prestigegründen wird die Militärregierung versuchen müssen, diese Niederlage wettzumachen.
Zwar war die AA im Osten mit den anderen Gruppen der Brotherhood bei der „Operation 1027“ in die Offensive gegangen, hatte sich aber in ihrem Stammland im Westen bisher noch an einen Waffenstillstand mit der Junta gehalten. Das scheint jetzt vorbei zu sein.
Empfohlener externer Inhalt
Junta verhängt Kriegsrecht über nordöstlichen Shan-Staat
„Die Operation 1027 ist ein Game-Changer, eine politische Wende“, sagte der Rebellenoffizier Ko Mone Dine von der Mandalay People’s Defense Force (MPDF), einer Bürgermiliz aus Myanmars zweitgrößter Stadt, kürzlich in einem Zoom-Call mit deutschen Journalisten.
Die MPDF bekennt sich zur Untergrundregierung (NUG) der Demokratiebewegung und ist Teil der jetzigen Offensive der Brotherhood. Die habe dem Widerstand zu einem großen Momentum verholfen. „Wir sind sehr motiviert“, erklärte der 29-Jährige, der vor dem Putsch für eine NGO zu Wahlen und Parlamentarismus arbeitete.
Bei der „Operation 1027“ wurden mutmaßlich mehrere Hundert Soldaten getötet und unzählige Waffen erbeutet. Ein ganzes Bataillon ergab sich kampflos den Rebellen. An diesem Montag verhängte die Junta über den nordöstlichen Shan-Staat das Kriegsrecht. Für die Rebellen dürfte das keinen Unterschied machen.
Längt hat die „Operation 1027“ in anderen Regionen Rebellenangriffe ausgelöst. So war letzte Woche in der westlich gelegenen Sagaing-Region von Kachin-Rebellen in Kooperation mit der AA und mit Kawlin die erste Kreisstadt erobert worden. Dabei sollen bei der Einnahme der Polizeitstation auch mehr als 60 politische Gefangene befreit worden sein.
Die Zahl der Binnenflüchtlinge wächst
Im westlichen Chin-Staat nahmen Rebellen nach eigenen Angaben bereits einen zweiten Grenzort zu Indien ein. 5.000 Menschen flohen dabei vor den heftigen Kämpfen und Bombardierungen durch die Luftwaffe ins Nachbarland.
Nach UN-Angaben hatte die „Operation 1027“ die Zahl der Binnenflüchtlinge bereits um 50.000 steigen lassen. Bisher war landesweit schon von mehr als eine Million Vertriebenen ausgegangen worden, seit April 2021 die Kämpfe eskalierten.
Die renommierte birmessiche Menschenrechtsorganisation AAPP gibt aus ihrem thailändischen Exil die Zahl der bisher vom Militär getöteten Zivilisten mit 4.182 an, die Zahl der Inhaftierten mit 25.402, wovon aktuell noch 19.675 in Haft seien. Angaben zu getöteten Rebellen oder Regimekräften gibt es nicht.
Im Karenni-Staat wurde bei einem Rebellenangriff mit einem von einer Drohne abgeworfenenen Granate letzte Woche erstmals ein Brigadegeneral getötet. In den letzten Tagen haben die Rebellen bis zu zehn Panzer, gepanzerte Fahrzeuge und sogar einen Raketenwerfer übernommen oder zerstört.
Militär spricht von drohender Spaltung des Landes
Das Militär hat offensichtlich Probleme, Verstärkungen einzufliegen und schlägt vor allem mit Artilleriebeschuss und Luftangriffen zurück. Doch dabei stürzte am Samstag im Karenni-Staat ein Kampfjet ab. Laut Rebellen wurde er von ihnen abgeschossen, laut Militär gab es ein technisches Problem.
Die Junta gab nicht nur gewisse Gebietsverluste zu, sondern berief auch den Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrat (NDSC) ein. Putschführer und Juntachef Min Aung Hlaing beschuldigte danach die Rebellen, ihre Offensive mit Drogengeldern zu finanzieren, lieferte aber keine Beweise.
Der vom Militär eingesetzte Präsident, General Myint Swe, erklärte, das Land drohe auseinanderzubrechen. Damit unterstreicht er das übliche Narrativ des Militärs, dass nur dessen weitere Herrschaft Myanmars nationalen Zusammenhalt sichern könne.
Zwar lassen sich viele Angaben aus dem Kampfgebiet nicht überprüfen, doch sind sich Beobachter darin einig, dass das Militär von der gut koordinierten und unerwartet schlagkräftigen Offensive der Rebellen völlig überrascht wurde. „Wir haben gelernt, eine Armee zu führen und zu kämpfen,“ sagt Ko Mone Dine stolz. Die Rebellen hätten die Unterstützung der Bevölkerung, eine hohe Kampfmoral und einen großen Durchhaltewillen.
Mangel an Kampftruppen des Militärs
Die Offensive hat zugleich die Schwächen des Militärs verdeutlicht, dem es offenbar an Kampftruppen fehlt. Bisher war die Stärke des Militärs auf 350.000 bis 400.000 Soldaten geschätzt worden. Jetzt wird die Zahl eher auf 150.000 geschätzt, wovon aber letztlich nur 70.000 einsatzfähige Kampftruppen sein sollen.
Die Junta ist noch längst nicht entmachtet, auch wenn es ihren Soldaten an Kampfwillen fehlt und es das Militär auch politische Probleme hat. So wurd erst kürzlich der Innenminister, Generalleutnant Soe Htut, zu fünf Jahren Haft wegen Korruption verurteilt. Er soll sich durch den Verkauf von Pässen bereichert haben.
„Ohne Unterstützung der Bevölkerung kann die Junta nicht überleben“, meint Ko Mone Dine. Sie habe keinen Ausweg. Denn Scheinwahlen oder Friedensgespräche seien aussichtslos, weil niemand daran teilnehmen werde. „Für Min Aung Hlaing gibt es weder militärisch noch politisch einen Ausweg. Die Frage ist, wie er gestürzt wird?“ Den Rebellen fehlten Drohnen, Raketen und Flugabwehr. „Für uns ist klar, dass Min Aung Hlaing militärisch besiegt werden muss.“
Zu Berichten über einzelne Kämpfe zwischen rivalisierenden Rebellengruppen, die kein einheitliches Kommando haben, sagt Ko Mone Dine: „Das ist falsch.“ Erst kürzlich war nach der Einnahme der Grenzstadt Muse von einer tödlichen Schießerei berichtet worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen