Kampf gegen AfD in Ostdeutschland: Das Orchester neu aufstellen
Die AfD wird bald auf allen Ebenen der Politik vertreten sein. Es liegt nun an den anderen Parteien, sie aus dem Erfolgstakt zu bringen.
D ieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Kommunal- und Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier auf dem Spiel steht: Wer steht für die Demokratie ein? Welche Agenda verfolgen Rechte? Welche Personen und Projekte fürchten um ihre Existenz?
Das neue Jahr hat begonnen, und die Warnungen vor einem Durchmarsch der AfD bei den Wahlen in Ostdeutschland sind in allen Medien. Werden die Zeichen der Zeit für 2024 nun erkannt? Das ist zu hoffen. Denn um bis zu den Wahlen einen realistischen Blick für den von der AfD bespielten Resonanzraum, gerade in Ostdeutschland, zu gewinnen, bleibt nicht viel Zeit.
Zu diesem realistischen Blick gehört die Erkenntnis; die AfD steht selbst dann vor der Teilhabe an Macht, sollte sie bei den kommenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg „nur“ 30 Prozent und nicht etwa, wie teilweise prognostiziert, 35 Prozent bekommen. Die Erleichterung darüber hätte einen bitteren Geschmack.
Neben dem berechtigten Fokus der öffentlichen Wahrnehmung auf die drei ostdeutschen Landtagswahlen geraten die ebenfalls in diesem Jahr anstehenden Kommunalwahlen aus dem Blick. Bislang ist die AfD in den Kommunalgremien zwar vertreten. Die Übernahme von Landrats- und Oberbürgermeisterämtern blieb ihren Kandidaten, abgesehen von wenigen Ausnahmen wie zuletzt im sächsischen Pirna, versagt.
Jahrgang 1972, Sozialwissenschaftler und Theologe. Er arbeitet beim Magdeburger Verein Miteinander, der sich für Demokratieförderung einsetzt.
Will die Partei künftig realen Einfluss vor Ort nehmen, braucht sie die lokale Verankerung, die ihr derzeit fehlt. Es sind die Stadtverordnetenversammlungen, Kreis- und Gemeinderäte, in denen verwaltungsrechtliche und politische Kompetenzen erworben, Einflussbereiche aufgebaut und wirksame Entscheidungen erstritten und getroffen werden.
In den gewählten Gremien der Städte und Gemeinden wird konkreter über das Zusammenleben entschieden, als die vielerorts geringe Beteiligung an Wahlgängen für kommunale Ämter vermuten lässt. Die jeweiligen Landeshauptstädte, gar Berlin, sind weit weg, wenn vor Ort über Kirmes, Straßenbeleuchtung und die Öffnungszeiten des Kindergartens entschieden wird. Diese Orientierung an Sachfragen führt zu der Auffassung, vor Ort gehe es nicht um die große Politik, nicht um Ideologie, dort werde pragmatisch, am Wohl der Bürger orientiert entschieden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Lokale Entscheidungen nehmen Einfluss auf elementare Fragen der Umsetzung von Gesellschaftspolitik. Lokale Akzentsetzungen machen einen spürbaren Unterschied für das Leben von Familien, die Arbeit lokaler Unternehmen oder die Klimapolitik vor Ort.
In der AfD weiß man, dass es auf dem Weg zu einer rechten autoritären Umgestaltung des Landes nicht ausreicht, in den Landtagen mit starken Fraktionen vertreten zu sein. Ziel der AfD ist es 2024, auf lokaler Ebene jenen Wachstumsprozess nachzuholen, den sie in den Landtagen seit dem Jahr 2014 absolviert hat. Wichtigster Faktor der Normalisierung der AfD sind nicht in erster Linie die Reden Björn Höckes im Erfurter Landtag.
Ihre bisherigen, gemessen an ihren Zielen, bescheidenen Erfolge erreichte die AfD bei lokalen Wahlen mit einer scheinbar paradoxen Strategie. Während der Sonneberger Landrat Robert Sesselmann in seinem Wahlkampf regionale Themen aussparte und auf die Bundespolitik verwies, ging der AfD-Bürgermeister-Kandidat Hannes Loth in Raguhn-Jessnitz genau gegenteilig vor. Er dethematisierte die ideologischen Zuspitzungen der AfD weitgehend und setzte sich als lokaler Kümmerer in Szene.
Dass auch er kommunal keine Wunder vollbringen kann, zeigte sich in den ersten Monaten seiner Amtszeit. Die These aber, die AfD werde sich, einmal zu Ämtern gelangt, entzaubern, geht ins Leere. Die Partei wird nicht für ihre Lösungskompetenz gewählt, sondern aus Gründen der inhaltlichen Übereinstimmung oder der Ablehnung des Politikbetriebs der anderen Parteien.
Die AfD will ihrer Wählerschaft weismachen, sie könne die Menschen vor der gesamten Symptomatik der gegenwärtigen Krisen beschirmen. Alle Umfragen zur Kompetenz der AfD zeigen, dass die Menschen der Partei das eigentlich nicht zutrauen. Dies bedeutet, dass die AfD gerade kommunalpolitisch alles andere als unbesiegbar ist. Lokal gut vernetzte Kommunalpolitiker können gegenüber der AfD offensiv ihre Stärke ausspielen. Ihre Präsenz und Ansprechbarkeit in überschaubaren Sozialräumen, umfängliche Ortskenntnis und persönliche Authentizität können das von rechts verbreitete Bild von den vom „wahren Leben“ enthobenen Bürokraten korrigieren.
Die Skepsis gegenüber Parteien ist in Ostdeutschland in den letzten Jahren wieder gewachsen. Die Bereitschaft, sich in einer Partei zu engagieren, ist auch aus zeitgeschichtlichen Gründen gering. Händeringend werben deshalb die Parteien in den Regionen selbst mit offenen Listen um lokales politisches Engagement. Das ist gut, reicht aber nicht. Die AfD zielt gerade auf den vorpolitischen Raum, um eine Deutungshoheit zu erobern, die über eine Legislaturperiode im Stadtrat oder Landtag hinausreicht. Die Wirkung dessen sollte nicht unterschätzt werden.
Es gilt sich endlich von der Fixierung auf die Erfolge der AfD zu lösen, um ihre Niederlagen eingehend zu studieren. Aus diesen lässt sich für die demokratische Kultur lernen. Wo eine aktive Bürgergesellschaft Solidarität lebt, Erfolge sichtbar macht und dennoch lokale Widersprüche thematisiert, Teilhabe an Veränderungsprozessen im Ort offeriert und umsetzt, kann es gelingen, jene Wählerschaft zu gewinnen, die dem Gang gerade der lokalen Angelegenheiten resigniert oder gleichgültig gegenübersteht.
Diese gilt es zu gewinnen, statt sich wiederkehrend an der Agenda der AfD und ihrer Anhängerschaft abzuarbeiten. Die lokal in manchen Regionen Ostdeutschlands sehr lauten rechtsextremen Mobilisierungen im Dreieck zwischen Reichsbürgern, Verschwörungsgläubigen und AfD-Umfeld können nur mit den Kräften der örtlichen Zivilgesellschaft übertönt werden. Es ist Zeit, das eigene Orchester neu zu arrangieren, um die AfD aus dem Erfolgstakt zu bringen.
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