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Kahlschlag bei der Afghanistan-PolitikDer Afghanistan-Ausverkauf

Thomas Ruttig
Gastkommentar von Thomas Ruttig

Zum dritten Jahrestag der Taliban-Machtübernahme wickelt die Ampel wichtige Institutionen ihrer Afghanistan-Politik ab – und kapituliert vor der Rechten.

Deutschland ist dann mal weg: Kabul im September für 2021, die Taliban haben übernommen Foto: Bernat Armangue/picture alliance

D ie deutsche Politik macht sich gerade verstohlen von einem Acker, den sie zwanzig Jahre lang mit einiger Verve, aber am Ende erfolglos bestellte: Afghanistan. Laut Bundestags-Enquetekommission ist Deutschland dort „strategisch gescheitert“.

Thomas Ruttig

ist Diplom-Afghanist und Mitbegründer des unabhängigen Thinktanks Afghanistan Analysts Network. Er lebte und arbeitete mehr als 13 Jahre vor Ort, u. a. als Mitarbeiter der DDR- und der deutschen Botschaft, der UNO und als stellvertretender EU-Sondergesandter.

Die Bundesregierungen seit 2001 aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen hielten sich lange zugute, dass Deutschland in Afghanistan der zweitgrößte Truppensteller und bilateraler Geber von Aufbauhilfe war. Inzwischen, da sich am Mittwoch die erneute Machtübernahme der Taliban zum dritten Mal jährt, ist Schluss mit großen Tönen. Berlin wickelt wichtige Institutionen seiner Afghanistan-Politik ab und gibt es nicht einmal zu.

Seit August 2023 gibt es keinen für Afghanistan zuständigen deutschen Botschafter mehr – im Kontrast etwa zu Japan, Frankreich, Italien und den USA. Auf der Webseite des Auswärtigen Amts (AA) heißt es nur, die Botschaft in Kabul sei „seit dem 15. August 2021 bis auf Weiteres geschlossen“. Auch der dezidierte Sondergesandte wurde abgeschafft. Afghanistan gehört jetzt als Nischenthema zum Riesenportfolio eines Diplomaten, der Südasien und den Indo­pazifik bearbeitet. Als die UNO im Juni zu Gesprächen mit den Taliban nach Katar lud, hielten weder er noch das AA es für nötig, sich dazu öffentlich zu äußern.

Auch dass die Ampelregierung die Direktpräsenz ihrer Entwicklungsorganisation GIZ in Afghanistan zum Jahresende beendet und alle örtlichen Mit­ar­bei­te­r*in­nen entlässt (offiziell laufen deren Verträge aus), machte erst eine Medien­anfrage publik. Als die Taliban 2021 auf Kabul vorrückten, wollten die GIZ und das ihr vorgesetzte Entwicklungsministerium (BMZ) ihr lokales Personal nicht einmal außer Landes bringen. Man dachte, auch die Taliban würden fortgesetzte deutsche Hilfe schon goutieren – noch so eine Fehleinschätzung. Dann nahmen die Taliban mehrmals afghanische GIZ-Sicherheitsanalysten fest. Sie hielten sie wohl für Spione.

Schon im Sommer 2021 hatte Berlin in einer glatten Kehrtwende wie alle westlichen Verbündeten die gesamte Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan eingestellt. Nur humanitäre Akuthilfe gibt es noch. Die Einsparungen bei Hilfsgeldern, GIZ und Botschaft passen gut zu den Lindner’schen Mittelstreichungen, die AA und BMZ überproportional treffen.

Für Abschiebungen interessant

Das einzige Feld, auf dem Afghanistan in der deutschen Politik noch für Getöse sorgt, ist die Asylpolitik. Die brutale Attacke in Mannheim befeuerte all jene, die in Afghanen und Moslems generell gefährliche Messerstecher sehen. Dabei hatte das Bundesinnenministerium (BMI) schon vorher mit Nachbarländern Afghanistans wie Pakistan und Usbekistan verhandelt, Schwerkriminelle und sogenannte Gefährder abzunehmen und weiter zu den Taliban zu verfrachten. Das stellt man sich wohl ähnlich vor wie die Auslieferung der militanten An­ti­fa­schis­t*in Maja T. nach Ungarn mithilfe von Österreichs Behörden.

Die Einsparungen bei Hilfsgeldern, GIZ und Botschaft passen gut zu den Lindner’schen Mittelstreichungen, die AA und BMZ überproportional treffen

Die Debatte weitete sich rasch auf Sy­re­r*in­nen und Af­gha­n*in­nen aus, denen immer mehr Po­li­ti­ke­r*in­nen von ganz rechts bis in die SPD keinen subsidiären Schutz in Deutschland als Kriegsflüchtlinge mehr geben wollen. Die Kriege in beiden Ländern seien vorbei, behaupten sie, bestimmte Gebiete dort „sicher“, also könnten die Menschen zurückkehren.

Ja, gekämpft wird dort inzwischen deutlich weniger. Aber zutiefst menschenrechtsfeindliche Fraktionen gewannen die Oberhand. Will man Menschen jetzt dorthin zwangsausfliegen, um festzustellen, ob sie nicht doch verhaftet, gefoltert oder gar hingerichtet werden – und so Anspruch auf politisches Asyl hätten? Sogar mit den eben noch geächteten Regimen wollen die Ab­schie­be­be­für­wor­te­r*in­nen dafür auf einmal reden.

Aufnahmeprogramm aufgegeben

Schließlich wickelt Nancy Faesers BMI parallel auch noch das Bundesaufnahmeprogramm für verfolgte Af­gha­n*in­nen ab. Auch das läuft übers Budget: Für 2025 stellt es einfach keine Mittel mehr dafür ein. Auslöser hier war die perfide Kampagne rechtslastiger Medien mithilfe eines geleakten Briefes des deutschen Botschafters in Pakistan. Der behauptete darin, zur Evakuierung vorgesehene afghanische Richter*innen, die – übrigens in Kooperation mit renommierten deutschen Einrichtungen – in ihrem Land gegen erhebliche islamistische Widerstände an einer Justizreform arbeiteten, seien „Scharia-Richter“ und damit potenziell islamistische Gefährder.

Der Botschafter und die Bundesregierung hätten wissen müssen, dass die Scharia in Afghanistan unter der vom Westen gestützten Taliban-Vorgängerregierung eines von drei verfassungsmäßigen Rechtssystemen darstellte (und nicht nur aus Handabhacken bei Dieben besteht – was damals auch nicht vorkam). Und dass künftige Rich­te­r*in­nen in Afghanistan natürlich auch die Scharia studierten. Das macht sie genauso wenig zu Islamisten, wie ein Mediziner beim Studium der Pocken zum Virus wird.

Wegen einer perfiden Kampagne rechtslastiger Medien wird das Aufnahme­programm 2025 eingestellt

Das Schlimme: Die Ampel knickte sofort ein. Sie stoppte das Programm und führte zusätzliche „Sicherheitsbefragungen“ mit dubiosen Fragen ein, nach denen viele An­trag­stel­le­r*in­nen ihre Einreisezusage verloren. Sie können nun nur in Pakistan untertauchen oder sich auf Gedeih oder Verderb zurück unter die Macht der Taliban begeben. „Deutschland, aber brutal“ könnte man als Titel über diese Debatte setzen, in Abwandlung eines Plakatslogans der AfD, jener Partei, deren Maximen seit Langem besonders in der Asylpolitik durch die angebliche Brandmauer bis in die politische Mitte sickern.

Mit seinem institutionellen Kahlschlag gibt Berlin ein zentrales außenpolitisches Politikfeld auf, auf dem es nach wie vor brennt. Berlin sollte bedenken, dass es mit seinem Scheitern in Afghanistan erheblich dafür mitverantwortlich ist, dass deren Regime wieder ans Ruder kam. Daraus erwächst durchaus eine Wiedergutmachungspflicht gegenüber den Menschen (von) dort.

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11 Kommentare

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  • Die Entscheidung sich in Afghanistan militärisch zu engagieren war schon falsch und zum Scheitern verurteilt. Einem früheren Mitarbeiter des SEZ-Regimes hier eine Plattform zu bieten, der uns dann auch noch eine Wiedergutmachungsverpflichtung einreden will, das tut schon weh.

  • Nein, es tut mir leid, aber der Ampel oder den Vorgängerregierungen auch nur eine Mitschuld an der Machtübernahme der Taliban zuzuschieben, ist zutiefst unredlich. Die Afghanen hatten mehr als genug Mittel, sich gegen die Taliban zu wehren. Sie haben es nicht einmal versucht. Von daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn Afghanen mit weniger Sympathie begegnet wird als Ukrainern. Natürlich bleibt eine Verantwortung für die, die uns in den 20 Jahren dieses idiotischen militärischen Abenteuers geholfen haben und die sich dafür in Gefahr begeben haben. Das ist aber eine Frage des Einzelfalls.



    Eine Mitschuld daran, dass dieses Elend 20 Jahre gedauert hat, haben zweifellos die Medien, die von einer angeblich gen Westen orientierten "Zivilgesellschaft" gefaselt haben, weil sie in Kabul mit ein paar Akademikerinnen Tee getrunken haben.

    • @Kurt Kraus:

      Dem schließe ich mich an. Abgesehen von ein paar Menschenrechtsaktivisten hat die überwältigende Mehrheit der Afghanen das Wiedererstarken der Taliban hingenommen bis begrüßt und lediglich die Finanzspritzen aus dem Westen gut gefunden. Für die Machtübernahme der Taliban Deutschland die Schuld zu geben ist abwegig.

  • Aber zutiefst menschenrechtsfeindliche Fraktionen gewannen die Oberhand. Will man Menschen jetzt dorthin zwangsausfliegen?

    Zunächst mal will an ja Menschen ausfliegen, die den gleichen menschenfeindlichen Gedankengut folgen, also geistig den Taliban äußerst nahe stehen. Ob einem islamistischen Gefährder in Afghanistan große Gefahr droht, darf man wohl in Zweifel ziehen, ebenso jemandem, der seine Frau umbringen wollte oder es sogar geschafft hat, weil sie "zu westlich" leben wollte.

  • Hätte die afghanische Zivilgesellschaft eine Demokratie nach westlichen Vorbild gewollt, so hätte sie zusammen mit den dort stationierten westlichen Staaten dafür kämpfen können. Dies ist nicht erfolgt. Einen nennenswerten Widerstand der Afghanen gegen die Taliban hat es nicht gegeben. Deutschland schuldet daher keine Wiedergutmachung.

  • Nicht die jungen Männer sind in Afghanistan bedroht, sondern tatsächlich die Frauen!



    Ich würde diese Youngsters alle nach Hause schicken.

  • Was mir hier fehlt ist der Perspektivwechsel: im Ruhrgebiet demonstrieren Taliban-Anhänger aus Afghanistan für die Errichtung des Kalifats - aber eine Abschiebung von Kriminellen, die sich dieser Position anschließen, soll nicht möglich sein? Mir erschließt es sich nicht, warum man Taliban-Anhänger*innen vor der Taliban beschützen soll. Warum leben sie in Deutschland?

  • "Daraus erwächst durchaus eine Wiedergutmachungspflicht gegenüber den Menschen (von) dort."

    War ja klar. Deutschland ist schuld und hat eine Wiedergutmachungspflicht.

    Typische Reflexe.

    Man darf raten: Viel Geld dorthin senden? Welche NGO benötigt Mittel?

    Und überhaupt: Warum schickt man keinen Diplomaten, warum öffnet man die deutsche Botschaft nicht? Die war ja 70 Jahre in Betrieb, bis man sich entschloss, das zu beenden.

    Man wird ja wohl erkennen können, wer in Afghanistan die Macht hat. Und mit denen sollte man reden. Auch wenn es schwerfällt, mit den Taliban über feministische Außenpolitik zu reden.

  • Die Politik in Bezug auf Afghanistan ist richtig. Da gibt es einfach keinen Blumentopf zu gewinnen. Die Gelder für Aufbauprojekte waren weitgehend verschwendet und noch weit mehr die Leben unserer Mitbürger in Uniform.

    In 10 Jahren kann man ja nochmal hinschauen, aber wenn man zurückdenkt, in welcher Geschwindigkeit das System vor Ort mit dem Abzug kollabiert ist, kann der Mehrzahl der Afghanen die Freiheit so viel nicht bedeutet haben. Zumindest war es wohl nichts, wofür es sich zu kämpfen gelohnt hätte.

    Die Menschen leben nun im selbstgewählten Schicksal und alle Bemühungen unsererseits waren vergebene Mühen. Ich sehe bei unserem Staat keine Verantwortung!

    • @insLot:

      keinen Blumentopf? Also das zweitgrößte Kupfervorkommen südlich von Kabul ist besser!

  • "Zum dritten Jahrestag der Taliban-Machtübernahme wickelt die Ampel wichtige Institutionen ihrer Afghanistan-Politik ab – und kapituliert vor der Rechten."

    Ich bin entsetzt, dass der Kampf gegen Rechte nun selbst für außenpolitische Ziele missbraucht wird.



    Es geht drum, dass D einen Angriffkrieg gegen ein Drittland nachträglich durch Besatzung mit unterstützt hat, aufgrund eines Fehlers des damaligen Regimes: eine einzelne Person, der Drahtzieher der Terroranschläge von 9/11 sollte nicht ausgeliefert werden. Entsprach dies wirklich dem Sinn unseres Grundgesetzes, sich hier militärisch zu beteiligen?



    Und nein, unsere Demokratie wird ganz sicherlich nicht am Hindukusch verteidigt. Insbesondere, wenn man betrachtet, was am Ende dabei herauskam.

    Am allerseltsamsten ist jedoch ein ganz anderer Aspekt: D hat diesen Krieg nicht angefangen, sondern nur im Nachhinein geholfen. Es waren die USA. Wieso nehmen nun also nicht auch die USA betroffene Flüchtlinge dieses gescheiterten Krieges auf?