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K.-o.-Tropfen„Genauso gefährlich wie die Verwendung einer Waffe“

Der Bundesrat will eine Strafverschärfung bei K.-o.-Tropfen. Anja Schmidt, Expertin des Deutschen Juristinnenbunds, erklärt, was es damit auf sich hat.

Da K.o.-Tropfen nicht lange nachweisbar sind, müssen betroffene Personen schnell merken, dass etwas nicht mit ihnen stimmt Foto: Depositphotos/imago
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Frau Schmidt, das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) hat kürzlich einen Gesetzesantrag in den Bundesrat eingebracht, der härtere Strafen für den Einsatz von K.-o.-Tropfen vorsieht. Warum?

Anja Schmidt: Der Bundesrat hatte die Bundesregierung im März aufgefordert, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Nun hat NRW selbst einen Gesetzesantrag in den Bundesrat eingebracht. Den kann der Bundesrat als Gesetzentwurf dann dem Bundestag vorlegen.

taz: Aber warum das alles?

Schmidt: Hintergrund ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 2024, die besagt: K.o.-Mittel, ob sie nun als Tropfen oder in Form von Tabletten verabreicht werden, sind kein gefährliches Werkzeug. Das wiederum heißt, dass beim Straftatbestand des sexuellen Übergriffs bestimmte Qualifikationsstufen nicht greifen.

Bild: privat
Im Interview: Anja Schmidt

vetritt die Professur für Strafrecht an der Leuphana Universität Lüneburg und Mitglied der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbunds djb.

taz: Was heißt das für die Strafbarkeit von K.-o.-Mitteln?

Schmidt: Es ist schon jetzt strafbar, K.-o.-Mittel zum Ermöglichen eines sexuellen Übergriffs anzuwenden. Das K.-o.-Mittel stellt zudem ein Mittel zur Überwindung eines Widerstandes dar, so dass Freiheitsstrafen von drei bis zu 15 Jahren verhängt werden können. Würden K.o.-Mittel aber als gefährliches Werkzeug gelten, wäre bei ihrer Verwendung der Mindeststrafrahmen höher: er würde bei fünf und nicht bei drei Jahren liegen.

taz: Was wäre denn ein gefährliches Werkzeug?

Schmidt: Was wir gewöhnlich unter einem Werkzeug verstehen, ist ein fester Gegenstand, zum Beispiel ein Hammer. Es muss kein Werkzeug in dem Sinn sein, dass es in einer Werkstatt zu finden ist – aber es muss fest sein. Selbst wenn man argumentieren würde, dass K.o-Tabletten fest sind, sagt der Bundesgerichtshof (BGH): Sie wirken aber aufgrund von Stoffwechselprozessen innerhalb des Körpers – und nicht von außen. Sie sind deshalb weder Waffe noch Werkzeug.

taz: Was halten Sie von der Entscheidung des BGH?

Schmidt: Dessen Definition von Werkzeug ist vielleicht nicht zwingend, aber sie ist nachvollziehbar und sehr gut vertretbar. Das Problem der Gleichstellung von K.o.-Mitteln mit einem gefährlichen Werkzeug ließe sich aber über eine Änderung des Paragrafen 177 im Strafgesetzbuch lösen, der sexuelle Übergriffe, Nötigung und Vergewaltigung unter Strafe stellt – so, wie es der Gesetzesantrag aus NRW vorschlägt.

taz: Was genau will NRW?

Schmidt: Der Antrag sieht vor, dass Paragraf 177 so ergänzt wird, dass ein sexueller Übergriff durch die Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen genauso bestraft wird wie die Verwendung einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs bei der Tat. Dann würde auch bei der Gabe von K.o.-Mitteln und anderen betäubenden Substanzen der Strafrahmen von 5 bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe gelten.

taz: Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Schmidt: Der djb begrüßt diesen Vorschlag. Die Verwendung von K.o.-Mitteln ist genauso gefährlich wie die Verwendung einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs. Sie werden gezielt eingesetzt, um sexuelle Übergriffe zu ermöglichen.

taz: Haben K.o.-Mittel eine geschlechtsspezifische Komponente?

Schmidt: Es gibt wenig gesichertes empirisches Wissen zu K.o.-Mitteln. Das liegt vor allem daran, dass die Personen, die die Mittel verabreicht bekommen, das oft nicht merken. Oft kommen Fälle zufällig ans Licht oder dies beruht auf intensiven journalistischen Recherchen, wie bei der Recherche von Strg F zu Vergewaltigernetzwerken, die sich über den Messengerdienst Telegram organisieren. Letztere deuten ein erhebliches Ausmaß des Phänomens an. Wir müssen deshalb vermuten, dass es ein sehr großes Dunkelfeld gibt. In vielen Fällen, die ans Licht kommen, haben Männer Frauen vergewaltigt.

taz: Dazu gehört auch der Fall Gisèle Pelicots, die in Frankreich von ihrem eigenen Mann betäubt und anderen Männern zur Vergewaltigung angeboten wurde.

Schmidt: Ja, die Aufdeckung des Falles beruhte aber auf einem Zufallsfund der Polizei. Für den Nachweis entscheidend waren dort Fotos und Videos, die ihr Mann von den Vergewaltigungen gemacht hat. Solche Aufnahmen erleichtern die Nachweisbarkeit immens, sie haben eine Beweiskraft, der man sich nur schwer entziehen kann. Andererseits handelt es sich gleichzeitig um bildbasierte sexualisierte Gewalt in ihrer schwerwiegendsten Form. Es ist wichtig zu sehen, dass die Aufnahmen nicht nur ein gutes Beweismittel sind, sondern zugleich eine massive Rechtsverletzung. Was Frau Pelicot gemacht hat – zu sagen, ich will, dass das alle sehen, weil die Scham die Seiten wechseln muss – ist sehr mutig und hat geradezu etwas Revolutionäres im Hinblick auf die Umkehr der Scham. Aber natürlich hat jedes Gewaltopfer das Recht zu sagen: Das kann und will ich so nicht.

taz: Was, wenn eine Person in Deutschland merkt, dass ihr K.o.-Tropfen verabreicht wurden?

Schmidt: Tatsächlich gibt es ein Problem mit der Beweislage. Die Mittel sind nicht lange nachweisbar, die betroffenen Personen müssen also recht schnell merken, dass etwas nicht stimmt und zur Polizei, ins Krankenhaus oder zur anonymen Spurensicherung gehen. Die wird noch nicht in allen Bundesländern durch die gesetzliche Krankenversicherung bezahlt. Dann braucht es Personen bei den Ermittlungsbehörden, die für das Problem sensibilisiert sind. Die Strafverschärfung ist also wichtig. Genauso wichtig sind aber Aufklärung und bessere Strukturen.

taz: Was passiert nun mit dem Gesetzesantrag? Wie schätzen Sie die Chancen ein?

Schmidt: Wenn der Bundesrat ihn als Gesetzesentwurf beschließt, geht er zunächst an die Bundesregierung, danach mit einer Stellungnahme der Bundesregierung in das für Gesetzgebungsprozesse vorgesehene parlamentarische Verfahren im Bundestag. Wie es schon in der Entschließung des Bundesrates im März zum Ausdruck kam, stimmt mich dabei optimistisch, dass die Länder hier Handlungsbedarf sehen.

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3 Kommentare

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  • Ich finde, ob K.-o.-Tropfen ein gefährliches Werkzeug sind, ist doch völlig irrelevant. Bestenfalls ein Griff in die juristische Trickkiste, den Tatbestand dieser Form der Vergewaltigung straffzuverschärfen. Eine Gesetzesänderung sollte viel grundlegender ansetzen. Wer eine derartig perfide kriminelle Energie freisetzt, sich ein Mittel zu besorgen, um geplant und von langer Hand vorbereitet eine Vergewaltigung zu begehen, gehört vor der Gesellschaft weggesperrt. Da zeigt sich eine charakterliche Eigenschaft, die ihn zu einer ernsthaften Gefahr für seine Mitmenschen macht. So wie manche Mörder sollte er nach seiner Strafe in einer forensischer Einrichtung gesichert untergebracht werden, bis Fachleute feststellen, dass er ungefährlich geworden ist. Ob das einen geschlechtsspezifischen Hintergrund hat, sollte egal sein. Es sind halt meist Frauen, die vor meist männlichen Tätern mit derart kriminellen charakterlichen Dispositionen geschützt werden müssen. Es geht dabei nicht um Strafe oder Abschreckung, sondern um Schutz.

  • Ich finde k.o. Tropfen sogar schlimmer als ein Werkzeug/ eine waffe einzusetzen, da das Opfer sich weder wehren kann (Selbstverteidigung) noch im Anschluss eine Erinnerung hat, die wiederum für eine Anzeige notwendig ist. Der Täter kann sich also noch viel sicherer fühlen.

  • Das ist zwar alles richtig, öffnet aber eine Menge Unwägbarkeiten. Die mit Abstand häufig benutzte Droge für so etwas ist schlicht Alkohol und da gibt es nur unwesentliche chemische Unterschiede zu K.o.-Tropfen. Wo fängt man damit an, angestrebte Enthemmung bereits als Vorbereitung eines Übergriffs zu betrachten?

    Wenn es nur höhere Strafen geht, verfehlt das das Hauptproblem eklatant, das ist nämlich die geringe Anzeigen- und Überführungsquote.

    Aber ja, wenn da heimlich Drogen verabreicht werden, ist das eindeutig Vorsatz und Körperverletzung und sollte entsprechend behandelt werden, völlig unabhängig von (und zusätzlich zu ) eventuellen sexuellen Übergriffen.