piwik no script img

„Junge Welt“ veröffentlicht ReisedatenLinke Solidaritätsreise sabotiert?

Linken-Chefin Janine Wissler und Abgeordnete wollten in die Ukraine reisen. Dann werden vertrauliche Daten über Route und Zeitraum öffentlich.

Muss doch zuhause bleiben: Linken-Vorsitzende Janine Wissler reist vorerst nicht in die Ukraine Foto: Martin Schutt/dpa

Berlin taz | Solidarität mit der Bevölkerung vor Ort zeigen, statt nur davon zu reden – mit diesem Ziel wollte eine Gruppe von Linken-Po­li­ti­ke­r:in­nen am Donnerstag in die Ukraine aufbrechen. Nach dem Besuch von Gregor Gysi wäre es der erste Besuch einer Linken-Delegation seit dem russischen Überfall vor fast sechs Monaten. Die kleine Delegation mit der Parteivorsitzenden Janine Wissler an der Spitze wollte sich ein Bild von dem zerstörten Irpin machen, die Gedenkstätte Babyn Jar besuchen, Ge­werk­schaft­e­r:in­nen und Verbündete in Kiew und Lwiw treffen.

Blöd nur, dass all diese Details samt Reisezeitraum und den Namen aller Mitreisenden zehn Tage zuvor schon von der Tageszeitung junge Welt veröffentlicht wurden. Wer die Infos an das marxistische Kampfblatt durchgestochen hat, ist unklar. Aber der Verdacht steht im Raum: Es ging den Whistle­blowern nicht um Öffentlichkeitsarbeit, sondern darum, die Reise zu verhindern. Genau das passierte auch. Die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung, die die Reise organisierte und die Termine mit den Partnern in der Ukraine gemacht hatte, sagte den Besuch am vergangenen Freitag ab.

Grund sind Sicherheitsbedenken, wie die geschäftsführende Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Daniela Trochowski, der taz erläuterte: „Für uns ist es nicht zu verantworten, wenn prominente Mitglieder der Bundestagsfraktion und die Parteivorsitzende in ein Kriegsgebiet reisen und Datum und Reiseziel vorab veröffentlicht werden. Es geht auch um die Sicherheit der Partnerorganisationen vor Ort.“ Menschen, die sich in der Ukraine politisch links engagieren, werden immer wieder zur Zielscheibe rechter Attacken, sie werden verprügelt und beschimpft. Rechtsradikale beschmierten vor zwei Jahren auch das Kiewer Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Wer die Informationen rund um die Reise an die junge Welt weitergereicht hat, kann Trochowksi nicht sagen, will darüber auch nicht spekulieren. Eine genaue Übersicht über den Kreis der Mit­wis­se­r:in­nen gab es jedenfalls nicht. Dieser war, trotz strikter Diskretion, recht groß: Neben Mit­ar­bei­te­r:in­nen der Stiftung und den Abgeordneten, waren auch das Auswärtige Amt, das Bundeskriminalamt und Teile der Linksfraktion im Bundestag involviert.

Wer steckt hinter dem Leak?

Die Reisegruppe nahm die Absage mit gemischten Gefühlen auf. Sie bedaure sehr, dass die Reise kurzfristig abgesagt werden musste, sagte Wissler der taz. „Nach den Beschlüssen des Bundesparteitags wäre es ein wichtiges Signal der Solidarität gewesen an die Menschen, die unter dem Krieg leiden, und auch an unsere Partner vor Ort.“

Auch die Berliner Landesvorsitzende Katina Schubert, die ebenfalls mit von der Partie gewesen wäre, bedauert die Absage. Gleichzeitig ist sie empört. Details der Reise vorab an die junge Welt zu geben, sei ein unheimlicher Vertrauensbruch. „Hier wurde mit den Sicherheitsinteressen unserer Partner vor Ort und der Teilnehmer gespielt.“

Es sei eigentlich Usus, dass Informationen über Reisen in ein Krisengebiet nicht vorab veröffentlicht würden, um die Sicherheit aller Beteiligten nicht zu gefährden, erklärt die ebenfalls reisewillige innenpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, Martina Renner, der taz. „Wer immer das geleakt hat, hatte ein Interesse daran, die Reise zu sabotieren.“ Renner befürchtet, dass nun eine Chance verspielt wurde, „Vertrauen bei jenen Teilen der linken Öffentlichkeit zurückzugewinnen, die uns eher kritisch gegenüberstehen.“

Wegen ihrer latent russlandfreundlichen Haltung musste die Linkspartei viel Kritik einstecken. Das Verhältnis der Linken zur Ukraine und zum russischen Angriffskrieg ist zwiespältig. Zwar hat die Partei auf ihrem Parteitag im Juni einen Leitantrag beschlossen, in welchem sie den Angriffskrieg Russlands „aufs Schärfste“ verurteilt und ihre Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung bekräftigt.

Zuvor hatte aber eine Gruppe von Po­li­ti­ke­r:in­nen um die Ex-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht versucht, genau diese Passage zu streichen. Sie und ihre An­hän­ge­r:in­nen in der Bundestagsfraktion fordern unverdrossen die Aufhebung der geltenden Sanktionen und rufen dazu auf, Russland die Hand zu reichen. Einige von ihnen, darunter die abrüstungspolitische Sprecherin Sevim Dağdelen, arbeiten im Arbeitskreis Internationale Politik der Fraktion mit, der ebenfalls über die Reisepläne informiert war.

Die Vermutung steht deshalb im Raum, dass Infos über die geplante Solidaritätsreise in die Ukraine aus diesem Kreis weitergegeben wurden. Beweise gibt es nicht, eine Anfrage der taz an den Arbeitskreis Internationale Politik blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Der Parlamentarische Geschätfsführer der Fraktion, Jan Korte, teilte aus dem Urlaub mit: „Der Vorgang wird selbstverständlich in der kommenden Vorstandssitzung der Fraktion aufgerufen.“ Korte ist auch Mitglied des Vorstands der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Trochowski kündigte an, dass man den geplatzten Ukrainebesuch in der Stiftung aufarbeiten werde. „Wir werden schauen, wo die Fehler lagen, und dann wird es im Herbst sicher eine Neuauflage der Reise geben.“ Wissler, Renner und Schubert hoffen jedenfalls sehr, dass es klappt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Eine linke Partei hat neutral zu sein anstatt die Regierungsparteien nachzuäffen und PR-mäßig in die Ukraine zu fahren, wo augenscheinlich die Rechten nicht unter Kontrolle sind, wie ja auch Anna Lehmann selber zugeben muss:

    "Menschen, die sich in der Ukraine politisch links engagieren, werden immer wieder zur Zielscheibe rechter Attacken, sie werden verprügelt und beschimpft. Rechtsradikale beschmierten vor zwei Jahren auch das Kiewer Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung."

  • Es gibt immer wieder Auffrischungen unterhaltsamer Themen. Wer etwas schmunzeln will, im Archiv ist zum Thema Freundschaft in der Politik ein reicher Schatz zu heben. Zerstrittene Parteien im linken Spektrum, da ist die Vier-Letter-Gazette bestimmt auch schwer interessiert.



    //



    taz.de/Kolumne-Der-rote-Faden/!5464504/

  • "Vertrauen bei jenen Teilen der linken Öffentlichkeit zurückzugewinnen, die uns eher kritisch gegenüberstehen.“

    Ich verstehe nicht, warum eine Reisegesellschaft der Partei Die Linke mit Beschau der Kriegsfolgen Vertrauen zurück gewinnen soll. Wenn das der Grund für die Reiseabsichten wäre, würde die Ukraine geradezu dafür instrumentalisiert werden, Imageprobleme der PDL zu korrigieren.



    Irgendwie auch eine Denke auf der Grundlage von Doppelmoral und Heuchelei.

    Reicht es nicht, sich mit den Menschen in der Ukraine solidarisch zu erklären und Russland zu verurteilen? Müssen es jetzt politische Sightseeingtouren sein?

    • @Rolf B.:

      Natürlich muss das (leider) sein, so funktioniert unser politischer Zirkus leider.

  • Warum reist die Delegation nicht nach Moskau, um für Frieden zu sorgen?

  • Wenn das innerparteilich war ist das schon sehr kalt. Das erinnert an die dunkelsten Stunden linker Parteien.

  • Einmal mehr zeigt sich wie Teile dieser Partei drauf sind. Hat ja super geklappt mit der auf dem letzten Parteitag - wieder einmal - Verkündeten Einigkeit und Aufbruch, aber wer hätte auch ernsthaft Anderes erwartet. Die nächste Wahl wird dann wohl ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit MLPD und DKP.