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Junge Menschen in der Coronakrise„Die Kinder nicht ewig einsperren“

In der Debatte über Grundrechte kommen Kinder und Jugendliche kaum vor. Psychologin Alexandra Langmeyer sagt, wie Jüngere die Coronakrise erleben.

Bewegung hilft auch bei Kindern gegen psychische und physische Belastungen Foto: Ute Grabowsky/photothek/imago
Ralf Pauli
Interview von Ralf Pauli

taz: Frau Langmeyer, im ersten Lockdown hat jedes vierte Kind unter Einsamkeit gelitten, wie Sie in einer Studie ermittelt haben. Wie ist die Situation heute?

Alexandra Langmeyer: Leider nicht besser. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben zu Beginn der Pandemie gedacht, dass sich die Kinder gut an die Veränderungen anpassen würden. Das ist nicht eingetreten, wie zum Beispiel die Copsy-Studie oder auch internationale Studien zeigen.

Zwar sind heute die Kontaktbeschränkungen nicht mehr so strikt wie vor einem Jahr, und Kinder dürfen auch wieder auf Spielplätze. Dennoch sehen wir sogar einen verstärkten Anstieg bei Verhaltensproblemen seitens der Kinder. Das hat mich, ehrlich gesagt, überrascht, dass sich das eingeschränkte soziale Leben so stark auf die Psyche der Kinder auswirkt. Das Thema Einsamkeit ist wie vor einem Jahr ein großes Problem.

Bild: David Ausserhofer
Im Interview: Alexandra Langmeyer

ist promovierte Psychologin. Seit 2013 leitet sie die Fachgruppe „Lebenslagen und Lebenswelten von Kindern“ am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München.

Die Bundesnotbremse, die seit Samstag gilt, macht es nicht unbedingt besser, oder? Kitas und Schulen müssen bei der Inzidenz 165 schließen, Sport dürfen Kinder und Jugendliche nur mehr eingeschränkt machen.

Ich würde es so formulieren: Es war vorher schon schlimm – und die Bundesnotbremse hat die Situation nicht grundlegend geändert. Vielerorts sind Schülerinnen und Schüler jetzt wieder im Distanzunterricht. Schule als Ort der sozialen Begegnung findet damit nicht statt. Beim Sport ist es ähnlich. Ich begrüße aber, dass in der Bundesnotbremse Sport für Kinder bis 14 Jahren erlaubt ist.

Sportverbände schlagen dennoch Alarm, dass sich die Kinder seit einem Jahr zu wenig bewegen. Zu Recht?

Ich halte die fehlende Bewegung der Kinder für sehr bedenklich. Nicht nur, weil man beim Sport auch Freunde trifft und dies aus sozialen Gründen wichtig wäre. Sport schützt Kinder auch vor psychischen Belastungen wie depressiven Verstimmungen, Ängstlichkeit oder eben Einsamkeit. Auch deshalb ist es für Kinder superwichtig, sich zu bewegen.

Das ist aber in dem vergangenen Jahr weitgehend weggefallen. Die Kinder hocken mehr zu Hause rum. Der Weg zur Schule fällt weg, Sportunterricht sowieso und großteils auch der Vereinssport. Mehrere Studien belegen, dass Kinder an Gewicht zugelegt haben im vergangenen Jahr. Deshalb wäre es wichtig, Kinder jetzt im Sommer viel zum Sport draußen zu bewegen.

Nicht alle gesellschaftlichen Gruppen sind in der Pandemie gleich sichtbar. Manche haben wie soeben die Künst­le­r:in­nen medienwirksam auf ihre Bedürfnisse aufmerksam machen können. Haben wir Kinder und Jugendliche aus dem Blick verloren?

Zu Beginn der Pandemie waren sie ganz aus dem Blick. Das war auch der Grund, warum wir die Studie „Kind sein in Zeiten von Corona“ durchgeführt haben. Alle haben auf die Unternehmen geguckt und auf das Infektionsgeschehen. Wie es den Kindern geht, war da erst mal kein Thema.

Das hat sich während des zweiten Lockdowns geändert, auch weil die Familien lauter geworden sind und sich auch die Familienministerin für die Belange der Familien und Kinder eingesetzt hat. Momentan ist es wieder ruhiger geworden um Kinder und ihre Bedürfnisse. Vielleicht, weil Eltern mit den Nerven und ihrer Energie am Ende sind – übrigens selbst die aus besser gestellten Verhältnissen, die im ersten Lockdown noch ganz positiv eingestellt waren.

Momentan dreht sich die Debatte sehr stark um die Wiedererlangung individueller Freiheitsrechte. Auf dem Impfgipfel am Montag wurde in Aussicht gestellt, vollständig Geimpften ihre Grundrechte zurückzugeben. Für Kinder und Jugendliche ist das jedoch in weiter Ferne.

Kinderrechte kommen in den aktuellen Debatten kaum vor. Eigentlich schreibt uns die UN-Charta vor, Kinderrechte bevorzugt in den Blick zu nehmen. Übrigens auch für den Fall, dass wir die Kinderrechte immer noch nicht im Grundgesetz verankert haben. Dass die Pandemie auch nach dem Sommer für Kitas und Schulen noch lange nicht vorbei ist, weil Kinder nach jetzigem Stand nicht geimpft werden können, ist aber nirgendwo Thema. Von bevorzugter Behandlung von Kindern kann also nicht die Rede sein.

Die Pharmaunternehmen arbeiten nach eigenen Angaben mit Hochdruck an einem Impfstoff für Kinder. Wie lässt sich, bis er verfügbar ist, das Dilemma zwischen Gesundheitsschutz und pädagogisch sinnvollen Kita- und Schulöffnungen auflösen?

Das finde ich eine schwierige Entscheidung. Grundsätzlich ist es natürlich richtig, auf die Virologinnen und Virologen zu hören. Andererseits können wir jetzt nicht bis zum Jahresende die Kinder einsperren, bis ein Impfstoff für sie da ist.

Das heißt was? Den Infek­tionsschutz hintanstellen?

Ganz hintanstellen natürlich nicht. Aber man muss das gesundheitliche Risiko der Kinder abwägen mit dem sozialen Risiko und den psychischen Folgen der Betroffenen. Soweit ich das einschätzen kann, verlaufen Infektionen bei Kindern, die keine Vorerkrankungen haben, in der Regel ja nicht so dramatisch. Spätestens wenn wir nach den Großeltern auch die Eltern durchgeimpft haben, sollte man neu überdenken, ob wir die Kinder nicht wieder in Kitas und Schulen schicken können.

Angenommen, im Winter ist die Coronapandemie beherrschbar geworden. Ist dann für Kinder und Jugendliche wieder alles gut?

Wir dürfen die Kinder nicht erneut vergessen, wenn die Pandemie vorbei ist. Ich habe die große Sorge, dass in den Schulen dann der Wunsch herrscht, alles nachzuholen, und dadurch ein enormer Leistungsdruck entsteht.

Wir wissen aus dem ersten Lockdown, dass Eltern gestresst und nicht entspannt waren und sich das natürlich auch auf die Kinder auswirkt. Da müssen wir vermeiden, dass die Familien aus dem Dauerstress nicht mehr rauskommen. Beispielsweise über individuelle Förderung, wie sie der Bund angekündigt hat.

Was wissen wir eigentlich über häusliche Gewalt gegen Kinder in der Pandemie?

Dazu gibt es leider keine soliden Daten. Normalerweise sind es ja die Schulen, die Meldungen an die Jugendämter machen. Das ist wegen der Pandemie im vergangenen Jahr natürlich weniger passiert. Man muss leider aber davon ausgehen, dass die Stresssituation zu Hause auch hier zu einer hohen Dunkelziffer geführt hat.

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11 Kommentare

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  • Liebe Frau Langmeyer,



    das sie überrascht sind, das Kinder empfindlich reagieren überrascht mich, angesichts ihrer Profession. Heranwachsende werden in ihrer Entwicklung ausgebremst, wenn die nicht mehr raus können und stark eingeschränkte Kontakte zu Gleichaltrigen haben, zumal sie dann die Tageswirklichkeit verstärkt aus der Perspektive von Erwachsenen spiegeln müssen. Das hätten sie abstrahieren können. Abstraktionsfähigkeit ist nichts Schlimmes.

  • Ein Problem dahinter ist halt auch das Verständnis von Arbeit im Kapitalismus. Laut der herkömmlichen Wirtschaftstheorie ist Arbeit eine Tätigkeit, die etwas produziert.

    Für Kinder zu sorgen gilt nicht im gleichen Sinne als Arbeit. Eher gilt es als Freizeitvergnügen von Eltern, oder aber als eine Art unerschöpflicher Ressource. Das hat historische Gründe: Die Sichtweise von Frauen galt halt lange Zeit als nicht ansatzweise relevant.

    Deshalb denken wir bei Kindererziehung und den-Haushalt-Schmeißen auch nicht im gleichen Maße an Arbeitsschutz wie bei industrieller Produktion. Dabei brauchen Eltern auch Pausen und Wertschätzung. Bekommen sie die nicht, wie zur Zeit in der Pandemie in sehr extremem Ausmaß, dann leiden auch die Kinder darunter.

  • Ich wünsche mir wirklich endlich eine realitätsnahe Behandlung dieses Themas - auch und insbesondere auf politischer Ebene: Eine Behandlung, die nicht immer nur "Kinder brauchen Kinder" wiederholt. Kinder brauchen auch ihre Eltern. Wenn diese schwer erkranken, sterben oder unter Long Covid leiden, ist den Kindern wirklich nicht geholfen. Zudem wissen wir mittlerweile entgegen der Aussage von Frau Langmeyer, dass Kinder durchaus von Covid schwer getroffen werden können, denn selbst wenn die eigentliche Infektphase oft harmlos verläuft, bekommen 1 Promille PIMS und 7% der infizierten Kinder trotz milder Verläufe Long Covid. Wir wissen auch, dass bei einer Inzidenz von 165 im Bevölkerungsdurchschnitt die Inzidenzen vom Kita-Kindern und Schüler*innen deutlich höher liegen. Wo Frau Langmeyer völlig Recht hat, ist, dass eine Langfriststrategie für Kinder aufgrund ihrer aktuellen Nicht-Impfbarkeit völlig fehlt. Es wäre daher wirklich an der Zeit, politisch eine solche zu entwickeln und zu schauen, wie man mehr Begegnung für Kinder unter Berücksichtigung bzw. Minimierung dieser Risiken ermöglichen kann statt ständig ritualisierte kontäre Positionen aufeinander prallen zu lassen, die die Komplexität der Wirklichkeit und der Langfristfolgen zu ignorieren und Eltern mit ihren Sorgen allein lässt.

    • @Sonja B.:

      "Kinder brauchen auch ihre Eltern. Wenn diese schwer erkranken, sterben oder unter Long Covid leiden, ist den Kindern wirklich nicht geholfen."

      Sehr richtig. Leider beschäftigen sich die meisten Psychologen scheinbar nicht damit. Jedenfalls habe ich in der TAZ noch keinen Beitrag zu diesem wichtigen Thema gelesen. Sterben scheint nicht so schlimm zu sein.

  • Es fließen generell viel zu wenige Ressourcen in den Reproduktionsbereich, seien es Schulen, Kitas oder das Gesundheitswesen. Jeder Aufwand für Reproduktion schränkt die Kapitalverwertung ein. Das hat dann natürlich seine Folgen besonders auch in Pandemiezeiten. Gäbe es die kleinen Kitagruppen mit ausreichend Personal und Räumen, die seit Jahrzehnten gefordert werden, wäre es deutlich einfacher mit dem Infektionsschutz. Analog in den Schulen und im Gesundheitswesen.



    Am meisten beunruhigt, dass die Forderungen gerade jetzt verstummt sind. Es gibt nur noch den Streit, ob Kitas auf oder zu sein sollen. Warum wird nicht mehr gestritten, wie Kitas ausgestattet sein sollen? Fällt nicht auf, dass es ein Unterschied ist, auch für den Infektionsschutz, ob da 10, 20 oder 80 Kinder untereinander Kontakt haben?

  • Schule war konsequent: An erster Stelle standen die Lehrerbedingungen, an zweiter die schulischen bzw. schulamtlichen Unterstützungsleistungen für Lehrer, dann die Rahmenbedingungen für die Lehrer, sodann die Frage wie Übertrittsklassen (Söders und Bayerns wichtigstes Thema, da die hohe Qualität bayerischer Gymnasien höchste Priorität besitzt) ) zu handhaben sind, dann auch die Abschlusskalssen, wo sich Lehrer seit gefühlt zehn Jahren bemühen eine Lösung zu finden, die die Schüler - da quai schin Erwachsen - selber gelöst haben: Die haben ohne die Störung durch Schule und Lehrer gelernt. Dann ein Jahr später wurde begonnen über die Schüler zu sprechen und Eltern, die ihre Kinder nicht lehrten. Die wurden mit Strafen überhäuft. Soweit die Schulen.



    Die Vorschulkinder waren nicht so relevant außer bezüglich ihrer Virulenz - die Saubankerden, denen immer eine Rotznase läuft - und die Eltern, die faulen Säcke, die sie trotzdem in die Kita brachten.



    Ja und die Eltern, sofern sie nicht Lehrer oder sonstwie im öffentlichen DIenst standen, hatten ein Problem. Diese Eltern haben auch in Zukunft ein Problem da psychische Leiden bei Kindern wie Eltern oft lange bleiben. Politik und WIrtschaft interessiert das aber nicht, da das die Probleme der Politik in zehn oder zwanzig Jahren sind, wenn die Spätfolgen so richtig zu sehen sein werden. Könnte noch mehr geschrieben werden ...

    • @StefanMaria:

      Zustimmung.



      Was wäre eigentlich, wenn es nur private Schulen in D gäbe? Meinetwegen mit staatlichen Zuschüssen für die Gebühren bei Kindern Geringverdienender? Lehrern als normalen Angestellten.. Nicht dass ich mir das in letzter Konsequenz wünschen würde... aber dann gäbe es jetzt zumindest eine Lobby für Schüler.. wenn auch nur aus Profitinteresse. Denn: Ohne Unterricht keine Monatsgebühren.. Kurzarbeit für die Lehrer. Urplötzlich wären revolutionäre Dinge wie digitaler Unterricht.. klassenweise Bustranfers zum Präsenzunterricht etc. möglich....

      • @weaver:

        Den Kultusminmisterien und den Innenministern rutscht das Herz in die Hose bei solchen Forderungen. Bei der allgemeinen Schulpflicht geht es wenig um Bidlungsgerechtigkeit. Eher Faktoren wie breite Kontrolle oder zumindest sozialisatorische Einflussnahme auf möglichst alle stehen da im Fordergrund. Wichtig ist sicher auch, dass ein Maß etabliert wurde, womit die Wirtschaft möglichst einfach Spreu vom Weizen trennen kann (oder Hausbesetzer von Sauters). Bildung ist da nur wichtiger Nebeneffekt, aber aus der Hand lassen sich die Ministerien die Schulen deshalb nicht nehmen - nie. So wird der Gründung einer neuen privaten Initiative zur Schulgründung immer ein Berg in den Weg gestellt, der erst umgangen, überschritten oder getunnelt werden muss.



        Hey, Teacher, leave those kids alone!

        All in all it's just another brick in the wall.

        • @StefanMaria:

          "So wird der Gründung einer neuen privaten Initiative zur Schulgründung immer ein Berg in den Weg gestellt, der erst umgangen, überschritten oder getunnelt werden muss."

          Ist doch garnicht so schlecht. So wird die Gründung von Querdenker Bildungszentren wenigstens erschwert :-)

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Ja so ähnlich argumentieren auch die Ministerien. Könnte ja jeder kommen - oder Homeschooling durch Eltern - das wurde in Deutschland von den Ministerien schon immer konsequent abgelehnt.

  • "„Die Kinder nicht ewig einsperren“"

    Wo ist das Problem? bei Tieren mit denen wir 90% aller Gene teilen, haben wir damit kein Problem. Ach stimmt ja, beim Überwesen Homo Sapiens gelten höhere Werte