Junge Linke-WählerInnen: Kein Herzchen für Selenskyj
Die Linkspartei konnte auch deshalb gewinnen, weil ihrer Fanbase die Ukraine egal ist. Das liegt auch an einer Infantilisierung durch Social Media.
H eidi-Hype, Jan van Akens schönes Lächeln, eine konsequente Social-Media-Strategie, eine klare Antifa-Haltung – die Erklärungsansätze für den überraschenden Erfolg der Linkspartei sind vielfältig, und an allen dürfte etwas dran sein. Die Partei, die vor einem halben Jahr noch als politischer Insolvenzfall galt, punktete bei der Bundestagswahl besonders bei jungen Leuten: 27 Prozent der WählerInnen bis 24 Jahren gaben laut Nachwahlbefragungen der Linken ihre Stimme; sie ist damit in dieser Altersgruppe die erfolgreichste Partei.
Irritierend ist dabei, dass die JungwählerInnen die Haltung der Linkspartei in der Ukraine-Frage offenbar nicht stört. Die Linke lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab und fordert stattdessen, genau, „diplomatische Initiativen“, um den Krieg zu beenden. Die Sorge vor einem „Ausverkauf des Landes an westliche Konzerne“ ist der Linkspartei offenbar wichtiger als die Gefahr, dass die Ukraine schlichtweg aufhört zu existieren. Die Partei hat es geschafft, sich als Friedenspartei zu inszenieren – ohne den unappetitlichen Beigeschmack der Putin-Nähe wie beim BSW.
Nicht wenige der neuen jungen Linke-WählerInnen dürften zu denjenigen gehören, die sich vor drei Jahren noch in gelb-blaue Fahnen gewickelt, den Spruch „Stand with Ukraine“ vor die WG-Balkonbrüstung gehängt und Ukraines Präsident Selenskyj auf Social Media ein Herzchen spendiert haben.
Hier zeigt sich die reale Gefahr einer Infantilisierung von Politik durch Social Media, denn ein drei Jahre andauernder Krieg ist offenbar zu lang für die digitale Aufmerksamkeitsspanne. Trumps Seitenwechsel zu Putin, die dramatisch gewandelte geopolitische Lage – das ist alles zu komplex, um es in den schlichten Kategorien von „Herzchen geben“ und „Daumen runter“ zu erfassen.
Dass die Linke in Fraktionsstärke in den neuen Bundestag einzieht, ist gut für die parlamentarische Demokratie und Pluralität. Aber die Gleichgültigkeit der neuen hippen Linken-WählerInnen gegenüber dem Schicksal der Ukraine ist erschreckend.
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