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Jugendliche ProtestformenHungern als Trend

Juri Wasenmüller
Kommentar von Juri Wasenmüller

Weil die Politik die Geflüchteten in Griechenland im Stich lässt, sind Jugendliche in der Pfalz in den Hungerstreik getreten. Eine gute Idee?

Kinder im Lager Moria, viele sind unterernährt Foto: dpa

A m 29. April starteten zwei Jugendliche in Landau die Aktion „Coloured Rain“. Sie traten in den unbefristeten Hungerstreik und fordern die sofortige Evakuierung der Geflüchtetenlager in Griechenland und die Aufnahme der Menschen in Deutschland.

Seitdem sitzen sie fast jeden Tag auf dem Rathausplatz der pfälzischen Kleinstadt, singen, tanzen und dokumentieren den Protest auf Instagram und twitter. Ihrem via Social Media verbreiteten Aufruf „auch dabei zu sein“ haben sich mittlerweile weitere Jugendliche angeschlossen. Im Hungerstreik sehen sie die letzte Möglichkeit, ihren Forderungen Ausdruck zu verleihen.

Ist das so?

Dass Demonstrationen und Petitionen anscheinend nichts bringen, wird deutlich, wenn die Bundesregierung die Aufnahme von 50 Kindern für eine angemessene Reaktion auf die Situation an den europäischen Außengrenzen hält. Ein Hungerstreik kann eine Strategie sein, weiße Privilegien zu nutzen, um politische Forderungen durchzusetzen – denn wahrscheinlich ist es tatsächlich so, dass deutsche Politiker*innen ein größeres Problem damit hätten, wenn deutsche Jugendliche im Hungerstreik sterben als sie ein Problem mit der Situation in Moria haben.

Pathos und Inszenierung

Schüler*innen von Fridays for Future haben im vergangenen Jahr bewiesen, dass alte Protestformen wie der Schulstreik, neu gebranded mit einer fetten Social-Media-Kampagne versehen, plötzlich wieder ziehen; und medienwirksame Proteste sind in Zeiten von Corona schwierig. Aber ist es wirklich sinnvoll, wenn Jugendliche in Deutschland aufhören zu essen und daraus ein Internet-Trend wird?

Ein Hungerstreik ist oft das letzte Protestmittel von Menschen, die keine andere politische Plattform haben als ihren eigenen Körper zu bestreiken. Am 7. Mai starb der Bassist der linken türkischen Folkband Grup Yorum, Ibrahim Gökçek, an den Folgen seines 11-monatigen Hungerstreiks. Am 3. April war bereits die 28-jährige Grup Yorum-Sängerin Helin Bölek nach 288 Tagen Hungerstreik gestorben. Mehrere Bandmitglieder sind immer wieder inhaftiert und gefoltert worden.

Es geht nicht um die Frage, wer zum Hungerstreik berechtigt ist und wer nicht. Es gilt aber zu hinterfragen, ob der Pathos und die mediale Inszenierung von „Coloured Rain“ sein muss. Ob es angemessen ist, Tagebucheinträge hochzuladen, in denen sie schreiben, dass sie „symbolisch für all die Menschen in den Lagern leiden“ oder dass sie jetzt wüssten „wie es ist zu hungern und niemanden interessierts.“

Die Jugendlichen schreiben darüber, welche Chai-Tees sie trinken und bekommen dafür Herzen und Likes auf Instagram. Sie rücken sich in ihrer privilegierten Position in den Vordergrund. Jetzt kann man sagen, dass die Aktivist*innen eben noch jung seien und es doch nur gut meinen. „Gut gemeint und schlecht gemacht“ ist allerdings ein tragender Bestandteil von white charity-Aktivismus.

Vom Slogan „They need us“, den die Jugendlichen anfangs auf Protestschildern in die Kamera hielten, haben sie sich mittlerweile distanziert: Sie wurden darauf hingewiesen, in welch kolonialer Tradition der Spruch und Gedanke steht. Vielleicht gilt es jetzt für sie auch nochmal zu überdenken, ob „Hungern für Geflüchtete“ tatsächlich das beste politische Mittel weißer Jugendlicher ist.

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Juri Wasenmüller
Schreibt über Klassismus, Queerfeminismus und postsowjetische Migration. Früher Social-Media-Redakteur*in @taz, jetzt freie Autor*in und Kolumnist*in @MissyMagazine.
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13 Kommentare

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  • ich finde hier etwas anderes viel problematischer. Solche politischen Aktionen sind und bleiben zwar legitim, allerdings ist die politische Wahrheit wahrscheinlich viel problematischer. Der Staat wird diese Jugendlichen weder sterben lassen müssen noch zwangsernähren. Es muss höchst wahrscheinlich nur abgewartet werden, bis Familie, Freunde oder Andere eingreifen. Das ist tatsächlich meiner Sicht nach wirklich viel problematischer. Hungerstreik ist kein Wochenendausflug und irgendwer aus der Zivilgesellschaft, wenn nicht die Jugendlichen selbst werden den Protest höchstwahrscheinlich selbst beenden. Damit spielen sie voraussichtlichletztendlich rechten und konservativen Populisten in die Hände, die wieder mal beweisen können (was ja der Ausgangspunkt war), das die Bequemlichkeit in privilegierten Gesellschaften letztendlich siegen wird...

  • "wahrscheinlich ist es tatsächlich so, dass deutsche Politiker*innen ein größeres Problem damit hätten, wenn deutsche Jugendliche im Hungerstreik sterben als sie ein Problem mit der Situation in Moria haben."

    Mal ein querliegender Gedanke: ist das nicht selbstverständlich? Macht das nicht eine Gemeinschaft, Verantwortung und Zusammenleben aus? Wenn ich sage, dass mir meine Familie wichtig ist, heißt das doch automatisch, dass ich meinen Kindern, meinem Partner mehr Aufmerksamkeit, Zeit, Initiative, Gedanken widme als anderen Menschen. Das heißt ja nicht, dass mir andere Menschen egal sind oder ich ihnen gar schaden will.

    Natürlich könnte ich sagen, dass ich Familie hin oder her es nicht akzeptieren will, dass es Menschen auf der Welt schlechter als irgendeine Grenze geht. Rein praktisch heißt das aber in unserer Welt, dass ich meine jetzige "Familie" auflöse, weil ich meine Zeit und Energie woanders brauche. Die Kinder gehen sogar so weit sich umzubringen. Mir scheinen hier sehr tiefliegende Zielkonflikte vorzuliegen.

  • Wenn man für die wirklich wahren Werte eintritt, die absolut unhinterfragbar richtig sind, dann kann man dafür auch hungern, muss man vielleicht sogar. Auch (fast) jedes andere Mittel muss für die Wahrheit richtig sein.

    Solange sich nicht alle Menschen einig sind, was die Wahrheit ist, ist die Demokratie damit allerdings schnell am Ende, denn auch andere Menschen werden dann für ihre Ziele zu ultimativen Druckmitteln greifen, die die (teilnahmslosen und nicht der Wahrheit verpflichteten?) Menschen dazu zwingt dem richtigen Weg zu folgen.

    Wie immer ist es eine Gratwanderung: es kann ein Anstoß zu einer besseren Welt sein oder zu einem Ende des demokratischen Zusammenlebens beitragen (oder beides?).

  • Zuerst einmal habe ich ernsthaft Respekt vor dem guten Ansinnen und der persönlichen Anstrengungen dieser Jugendlichen. Sie muten vielleicht etwas naiv an, aber das dürfen sie auch als Minderjährige. Und ihre Unsicherheit was vertretbare Slogans angeht ist auch verständlich bei so jungen Leuten.

    Aber ist nicht auch folgende Sichtweise nachvollziehbar?: Diese Menschen sollten erstmal ein paar Steuern bezahlen, bevor sie dem Staat geradezu erpresserisch vorschreiben wollen, wofür er Geld ausgibt.

    Das ist nicht meine Sicht, aber protestierende Kinder können diesem Vorwurf nicht entrinnen. Ist es überhaupt sinnvoll, wenn sie öffentlich protestieren? Können sie einer Sache überhaupt dienlich sein?

    • @Fabian Wetzel:

      "Diese Menschen sollten erstmal ein paar Steuern bezahlen" Wenn man das weiterdenkt ist man ganz schnell wieder bei Konzepten wie Klassenwahlrecht oder der Frage welche Ansprüche Arbeitslose und Rentner eigentlich noch formulieren dürfen. Aber Staat und Gemeinwesen sind kein Einkaufsladen.

  • Den hungernden Jugendlichen wurde gesagt, dass die Aussage "they need us" an irgendeinen kolonialen Zusammenhang erinnert und deswegen benutzen sie das nicht mehr? Ja, das klingt nach unserer Zeit...... Das war ja auch der wichtigste Punkt an der Sache....der Ausdruck ist echt verbrannt.

  • Kommentar entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette.

  • Man kann alternativ auch nichts tun und die Aktionsformen anderer auseinandernehmen. Damit ist aber auch niemandem geholfen.

    • @Kolyma:

      Ich finde nicht, dass eigener Aktivismus Voraussetzung dafür sein sollte um sich kritisch zu einem Thema äußern zu dürfen, weil dann die Zahl derjenigen denen man noch eine legitime Sprecherposition zubilligen würde ausgesprochen gering werden würde. Zumal der Beitrag ja eben auch nicht darauf abzielt statt dem Hungerstreik überhaupt nicht zu protestieren, sondern sich vollkommen zurecht der Frage widmet ob dies im gegebenen Kontext das richtige Mittel ist weil ein Hungerstreik eben nicht einfach eine x-beliebige Aktionsform ist, sondern nur das allerletzte Mittel eines gewaltfreien Widerstands sein darf.



      Ich kann mich daran erinnern, dass vor ein paar Jahren eine Gruppe wohlgenährter Bäuerinnen unter großem Interesse der Medien vor dem Brandenburger Tor erklärte für bessere Milchpreise für sieben Tage auf feste Nahrung zu verzichten. Ich fand diese Aktion einfach nur zum k...

  • wenn ich zynisch wäre würde ich schreiben dass diese Jugendlichen arbeiten gehen sollen, ein unbegleiteter Jugendlicher Flüchtling kostet 4000 - 6000 Euro pro Monat, die könnten dann das Geld dass sie verdienen spenden und damit den Jugendlichen ermöglichen nach Deutschland zu kommen.

    Aber, das bin ich ja nicht, mich erinnert der naive Glaube deutscher Wohlstandsjugendlicher ("schreiben darüber was für Chai Tee sie trinken" - was soll ich denn dazu sagen?) eher an ein früheres ich selbst in den 80ern. Dieses ich sollte später herausfinden dass der Sprecher der Jugendinitiative ein IM war, dass wir von den (damals) "coolen" Politaktivisten mainpuliert worden waren, dass viele der Aktionen anderen, dunkleren Zielen dienten.

    • @Gerald Müller:

      Wenn es denn so wäre, dass man gerne helfen würde, es sich aber beim besten Willen nicht leisten kann gäbe es eine ganze Menge Möglichkeiten Geld für die humanitäre Hilfe für Geflüchtete aufzutreiben. Man könnte etwa überlegen Schlupflöcher in Steueroasen zu schließen, Konzerne von staatlichen Hilfen auszunehmen die ihren Aktionären trotzdem fette Dividenden auszahlen oder man könnte auch darüber nachdenken den Arbeitsmarktzugang für erwachsene Geflüchtete zu erleichtern damit sie sich nicht zwischen staatlichen Zuwendungen und illegalisierter Arbeit entscheiden müssen.



      Es fehlt aber nicht am Geld, sondern am Willen zu helfen und da ist Protest durchaus angebracht (heutzutage übrigens sogar ganz ohne Gefahr möglich vom MfS manipuliert zu werden).

  • "Vielleicht gilt es jetzt für sie auch nochmal zu überdenken, ob „Hungern für Geflüchtete“ tatsächlich das beste politische Mittel weißer Jugendlicher ist."

    Wäre Hungern in diesem Fall ein besseres politisches Mittel, wenn die Jugendlichen einen Vater aus der Türkei oder Nigeria?

  • Alles ist besser als nichts tun! Vielleicht nicht das beste Mittel? Trotzdem besser als nichts tun!