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Jüdische Realitäten in DeutschlandOffenbarungseid in der Kultur

Eine Tagung in Frankfurt am Main kreiste um jüdisches Leben in Deutschland. Viele Juden fühlen sich von der Mehrheitsgesellschaft verraten.

In Düsseldorf wird mit der Fahne gegen die Feinde Israels, in Israel wird mit ihr gegen die Feinde der Demokratie demonstriert Foto: Ying Tang/nurphoto/imago

Es war eine an bitteren Befunden und traurigen Artikulationen mehr als reiche Fachtagung, zu der in Frankfurt am Main unter dem Titel „Jüdisches Leben in Deutschland – im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Autonomie“ ins Jüdische Museum geladen wurde. Denn zum Ausdruck kam am Montag durch verschiedene Red­ne­r:in­nen ein überwiegendes Gefühl der Enttäuschung, der Einsamkeit und des Verrats. Der Adressat: die nichtjüdische deutsche Mehrheitsgesellschaft.

Schon zum Auftakt der von Shelly Kupferberg moderierten Tagung, die in der Manier schneller Schlagabtäusche und hellwacher, diskursiver „Nummernrevues“, wie die Gastgeberin es treffend bezeichnete, auf der Bühne daherkam, brachte der Präsident des Zentralrats der Juden Josef Schuster vor, unter welcher Ausgrenzung jüdische Kulturschaffende seit dem 7. Oktober stünden. „Ihr gehört nicht zu uns“, sei die Message der sich angesichts der Lage in Israel und auch in der jüdischen Diaspora wegduckenden Kulturszene.

Der stille Boykott israelischer und jüdischer Künst­le­r:in­nen ist längst ein offenes Geheimnis. Wer dieser Tage mit Israelis und auch mit jüdischen Deutschen spricht, die sich nicht ostentativ vom jüdischen Staat distanzieren, erhält immer häufiger die Aussage zu hören: „Ich bekomme keine Einladungen mehr“, wie zuletzt der Schriftsteller Etgar Keret es im Interview mit der taz kundtat.

„Antisemiten diskutieren, was Antisemitismus ist“

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Sprecher der Initiative Kulturelle Integration, der nach Schuster das Podium einnahm, sprach im selben Zusammenhang Klartext: „Ich schäme mich für Boykotte von Kulturverantwortlichen.“ Publizist Michel Friedman sprach gar von einem „Offenbarungseid in der Kultur“. Die Situation sei mitunter so weit gediehen, dass Antisemiten darüber diskutierten, was Antisemitismus sei, und ihre eigenen Definitionen mitlieferten. Wohl ein Seitenhieb in Richtung derjenigen in Wissenschaft und Publizistik, die unentwegt gegen die IHRA-Definition argumentieren, zuletzt auch in der Diskussion um die von einem breiten Parteienbündnis getragene Bundestagsresolution zum Antisemitismus.

Friedman verwies zudem auf eine neue, vom Rechtsextremismus der AfD geprägte Realität für Juden in Deutschland, die sich auch durch den „banalen Judenhass“ radikaler Muslime verschärfe. Spoken Word Artist Anna Syrkina brachte den innerjüdischen Diskurs seit dem 7. Oktober in ihrem Performancetext „Dazwischen“ auf den Punkt: „Ein Jahr ist vergangen, es fühlt sich wie ein langer Tag an.“

Im Panel „Jüdische Widerständigkeit“ suchten Yael Kupferberg, Frederek Musall, Doron Rabinovici und Ron Segal zunächst nach einem Autonomiebegriff, der ins innerjüdische Selbstgespräch führen soll, um eine gesellschaftliche Standpunktverortung zu ermöglichen, so Yael Kupferberg. „Wo stehen wir gesellschaftlich?“, fragte die Professorin an der Martin-Buber-Professur in Frankfurt am Main.

Dort gegen die Regierung, hier gegen Antizionisten

Viele einstige Solidaritäten und Freundschaften sind nach dem 7. Oktober zerbrochen, darin stimmte das vierköpfige Podium überein. Schriftsteller Doron Rabinovici äußerte seine tiefe Enttäuschung über Verlässlichgeglaubte, mitunter im Freundeskreis, sowie eine ambivalente Gefühlslage gegenüber „falschen Leuten, die plötzlich das Richtige sagten“. Jüdischer Widerstand zeige sich für ihn idealerweise im Hochhalten der israelischen Flagge bei Demonstrationen in Israel gegen den „Justizputsch“ der Netanjahu-Regierung sowie im demonstrativen Behaupten gegenüber antiisraelischen Demonstranten, etwa in seiner Heimatstadt Wien. Dies bedeute harte Kante gegenüber Feinden, aber auch gegenüber vermeintlichen Freunden. „Widerstand kann es nur geben, wenn man eine eigene Stimme findet.“

Von einer eigenen, autonomen jüdischen Stimme hatte zuvor auch der Soziologe Natan Sznaider gesprochen, von einer, die sich unabhängig von den Diskursen der Mehrheitsgesellschaft und den Debatten Radikaler selbstbewusst zu behaupten verstehe. „Antisemitismus kann nicht verboten werden, da helfen keine Resolutionen.“

Frederek Musall, Professor für Jüdische Studien an der Uni Würzburg, der angesichts der Gaza-Proteste an Universitäten als Mediator auftritt, betonte, dass er noch nie einer solchen Feindseligkeit begegnet sei wie zuletzt in Hörsälen, wo er mit „From the River to the Sea“-Parolen begrüßt worden sei. Es zeige sich aber seit dem 7. Oktober auch eine nie da gewesene Solidarität, aus ihr könne sich eine besondere Form des Widerstandes speisen, die auf Zugewandtheit und Freundschaft beruhe. Menschen, die sie nach dem 7. Oktober zeigten, sei er dankbar: „Es tut gut, nicht erklären zu müssen, wie ich mich fühle.“

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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • In einem Artikel in der Jüdischen Allgemeinen zu dieser Tagung heißt es:

    „Natan Sznaider referierte über die Spannung zwischen Universalismus und Partikularismus. (...)



    Der Universalismus behaupte die Gleichheit aller Menschen. Doch er habe auch eine andere Seite – »die Intoleranz gegen das Partikulare«“

    Trifft er sich da nicht genau mit den Vertretern der postkolonialen Theorie, deren identitätspolitischer Infragestellung des Universalismus man ja als durchaus strittig ansehen kann?



    Oder was unterscheidet Partikularismus von Identitätspolitik?

    Wer mir unter den Teilnehmern der Tagung fehlt, ist der Leiter der Frankfurter (!) Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel. Es würde mich interessieren, warum er nicht dabei war.

    • @Klabauta:

      Zwischen den beiden Sätzen, die Sie aus der JA zitieren, ließen Sie Folgendes aus:



      „Die aus der jüdischen Erfahrung resultierende Spannung zwischen Universalismus und Partikularismus stellte der israelische Soziologe Natan Sznaider in den Mittelpunkt seines Vortrags. Israel habe sich niemals als universales Projekt verstanden, sondern sei die partikulare Lösung eines spezifisch jüdischen Problems, so Sznaider.“



      In dem Kontext (das spezifisch Partikulare an Israel als Schutzraum) ist Sznaiders Räsonnement zu verstehen.



      Der Postkolonialismus wird sich woanders bedienen müssen.

      • @Torben Jakowski:

        Keineswegs. “Den Postkolonialismus” gibt es ohnehin nicht, sondern nur verschiedene postkoloniale Ansätze. Unter deren Vertretern wird man zweifellos viele finden, die Israel nicht (nur) als Schutzraum verstehen, sondern (auch) als Produkt einer wiederum kolonialen Landnahme – aber das sind Einschätzungen, die auch innerhalb eines postkolonialen Rahmen diskutierbar sind (mit anderen Worten: Sie müssen zwischen einer Theorie und ihren Anwendungen unterscheiden!). Die grundsätzliche von Sznaider aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von Universalismus und Partikularismus wird jedenfalls auch in postkolonialen Ansätzen aufgeworfen. Das ist übrigens ein Punkt, der paradigmatisch ist: „Postkolonialismus“ ist zu einem gängigen Feindbild geworden, wobei dessen Kritiker oft gegen ein Zerrbild anrennen, ohne mit den konkreten Inhalten dieses Forschungsbereichs vertraut zu sein (eine Phänomen, das man aus den Diskussionen über die Gender Studies allzu gut kennt).

      • @Torben Jakowski:

        Anders als Sie sehe ich durchaus Parallelen in der Sicht auf das je eigene Trauma (ohne diese vergleichen zu wollen), der damit verbundenen Kritik am Universalismus, dessen Versprechen nicht eingelöst wurde und dem in der Folge unvermeidlich scheinenden Rückzug auf partikulare (im Falle Israels jüdische) Interessen.



        Sznaider selbst sieht darin ein unlösbares Dilemma. Er schreibt: „Die Idee eines jüdischen Staates (…) trifft frontal auf ein universales aufklärerisches Gleichheitsdenken.“



        (Sznaider, Die jüdische Wunde)

        • @Klabauta:

          Dass „Trauma“ Parallelen aufweisen, ist unstrittig. Nur sollte man sie dort belassen, wo sie hingehören, z.B. in die Psychotherapie. Die postmodernen Derivate (Postkolonialismus, Gender Studies etc.) übertünchen ihre Ressentiments, indem sie sich zwanghaft therapeutische Begriffe wie Framing, Achtsamkeit, Sprechort oder Trauma unverstanden einverleiben, um von dort aus z.B. die “Nakba“ mit dem Holocaust zu verhandeln.



          Die Fachbereiche, aus denen sich der Campusmob rekrutiert, sind ja nun bekannt.



          Der Universalismus kann kein Verspechen brechen, seiner Natur nach bleibt er Verheißung und Norm wie die Menschenrechte. Ich kann daran festhalten oder sie wie China verwerfen. Wen Sie meinen ist sein politischer Sachwalter, der Liberalismus. Dazwischen nicht zu unterscheiden, könnte übrigens auch ein Problem bei Sznaider sein.

          • @Torben Jakowski:

            Ich bin kein Fan dessen, was gemeinhin unter Postkolonialismus zusammengefasst wird, eben weil ich die Infragestellung universeller Werte (und ich meine Universalismus im Sinne der AEMR, nicht Liberalismus!), durch Identitätspolitik, Kulturrelativismus oder Partikularismus als Gefahr betrachte.

            Zum Abschluss und zurückkehrend zum obigen Artikel möchte ich aus Omri Boehm, Israel – eine Utopie zitieren:

            „Er (Kant) und andere Aufklärer neigten dazu, couragiert für einen aufklärerischen Universalismus einzutreten, dann aber die Juden als ein diesem Universalismus fremdes Element und damit als das ‚Andere‘ der Aufklärung zu denken. Das ist die Falle, von der ich spreche, und man sollte nicht ein zweites Mal hineintappen, indem man eine allgemeingültige Ethik formuliert und dann die Juden als Ausnahme behandelt.“

            Vielleicht ist Sznaider in ebenjene Falle getappt.

    • @Klabauta:

      OK, Meron Mendel haben Sie vermisst. Das passt ein bisschen ins Bild. Es ist gleichzeitig ja nicht so, dass Mendel nicht auf jedem zweiten Podium wäre.

      Dieses Mal schienen die Anti-Antizionisten ein bisschen unter sich gewesen zu sein. Und es herrschte wohl nicht wenig Bitterkeit vor.

      Ist ihnen das schon zu viel?

      Und: Natan Sznaider zu unterstellen, er würde ähnlich wie die identitätspolitischen Ideologen argumentieren, das ist schon sportlich.

      • @Jim Hawkins:

        Ich möchte Sie bitten, mir gegenüber etwas abzurüsten.



        Ich habe keine, wie Sie es zu verstehen scheinen, rhetorische Frage gestellt, sondern der Unterschied würde mich wirklich interessieren. Vielleicht sind Sie ja bereit, anstatt zu polemisieren mir eine ernsthafte Antwort zu geben?

        Was Meron Mendel angeht, so habe ich nicht behauptet, dass er kein Podium bekäme. Ich wunderte mich nur, dass er als in Frankfurt Ansässiger nicht dabei war. Und ja, im Gegensatz zu Ihnen schätze ich ihn sehr.

    • @Klabauta:

      Ich denke, dass er sich in diesem Fall eher auf die Vertreter der jüdischen Aufklärung bezieht, deren Universalismus ja auch Raum für das Partikulare – nämlich das eigene Jüdisch-Sein in einer mehrheitlich nicht jüdischen Gesellschaft lassen müssten (es ist übrigens eine spannende Beobachtung, dass ein allzu rigoroser Vernunftsuniversalismus fast herrischer auf Partikulares reagiert als das vormoderne Christentum). Aber ja: sie haben Recht, dass er sich hier praktisch mit manchen Vertretern des Postkolonialismus trifft.

  • Obwohl atheistisch kann ich nur eins sagen:

    Verraten und verkauft.

    Dieses Land benimmt sich schon seit einer Reihe von Jahren gegenüber den Juden erbärmlich. Hätte ich nie gedacht.

    Shame.

  • Bitte dazu den 3Sat-Kulturzeit-Bericht über Hamas Propaganda anschauen: www.3sat.de/kultur...7-11-2024-100.html