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Journalist soll Strafe zahlenZitieren bleibt verboten

Das Landgericht Hamburg bestätigt eine Geldstrafe gegen den Journalisten Carsten Janz. Der hatte aus einem Gerichtsbeschluss zitiert.

Hieraus dürfen Journalisten nicht zitieren: Gerichtsakten Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Kämpferisch geht Carsten Janz am Dienstagmorgen in den Verhandlungssaal im Hamburger Landgericht. Der Investigativjournalist hat Berufung gegen eine Geldstrafe von 2.600 Euro eingelegt, zu der ihn das Amtsgericht Hamburg im September 2024 verurteilt hatte.

Janz hatte am 11. Dezember 2023 bei t-online den Text „Durchsuchung rechtswidrig – Niederlage für Staatsanwaltschaft“ veröffentlicht. Darin schrieb er über eine Polizeimaßnahme nach dem Amoklauf bei den Zeugen Jehovas in Hamburg, bei dem – mit dem Täter – acht Menschen starben.

Aus einem unveröffentlichten Gerichtsbeschluss des Landgerichts zitierte Janz dabei zwei Sätze wörtlich, die deutlich machten, dass die Hamburger Staatsanwaltschaft ohne ausreichenden Anfangsverdacht gehandelt und eine rechtswidrige Durchsuchung veranlasst hatte.

Paragraf 353d des Strafgesetzbuchs (StGB) untersagt die wörtliche Veröffentlichung amtlicher Dokumente aus schwebenden Verfahren, mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe als Konsequenz. Zweck der Norm ist der Schutz der Unvoreingenommenheit von Verfahrensbeteiligten, vor allem Laienrichter*innen.

Paragraf „pressefeindlich“

Janz betonte am Dienstag jedoch, dass er angenommen hatte, das Verfahren, aus dem der Beschluss stammte, sei bereits abgeschlossen. Eine Rückfrage bei der Gerichtspressestelle habe er jedoch nicht gestellt, bestätigte er auf Nachfrage.

In seiner Einlassung zu Beginn der Verhandlung betonte Janz, dass die Information über die rechtswidrige Durchsuchung für die Öffentlichkeit von hoher Relevanz sei, da sie Fehlverhalten der Staatsanwaltschaft offenlege. Direkte Zitate seien ein Beleg journalistischer Sorgfalt, deren Strafverfolgung die Pressefreiheit einschränke. Er nennt den Paragrafen „pressefeindlich“ und will eine grundsätzliche Prüfung erreichen.

Ähnlich kritische Fragen zur Pressefreiheit hatte kürzlich der Fall des Journalisten Arne Semsrott aufgeworfen, der 2023 wegen der wörtlichen Veröffentlichung dreier Gerichtsbeschlüsse des Amtsgerichts München angeklagt wurde. Diese Dokumente betrafen Durchsuchungen und Maßnahmen gegen die Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“, die von der Generalstaatsanwaltschaft München als kriminelle Vereinigung eingestuft wurde.

Semsrott hatte ebenfalls argumentiert, dass solche Strafverfolgungen investigativen Journalismus behindern – sein Fall endete mit einem Schuldspruch, aber nur mit einer Verwarnung. Semsrott will nun vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ziehen.

Vor der Kammer in Hamburg argumentierten Janz und seine Anwälte Frédéric Schneider und Sebastian Seel am Dienstag, dass die Norm des Paragrafen zu unbestimmt sei, unverhältnismäßig ins Presserecht eingreife und gegen Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoße, die die Meinungsfreiheit einschließlich der Pressefreiheit regelt.

Fragen der Verhältnismäßigkeit

In einem Fall wie Janz’ sei eine Abwägung nach den Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zwingend erforderlich, bei der das öffentliche Interesse gegen den Schutz der Justiz abzuwägen ist, erklärte Seel nach der Verhandlung.

Insbesondere müsse geprüft werden, ob eine Verurteilung in einer Demokratie notwendig sei. Diese Abwägung würde Janz entlasten, sagte Seel im Plädoyer, weil sein Bericht Missstände ohne Einfluss auf laufende Verfahren zeige. Die Verteidiger beantragten, den Fall dem BVerfG vorzulegen, um die deutsche Praxis neu bewerten zu lassen.

Hintergrund dieser Argumentation ist unter anderem der Fall „Pinto Coelho v. Portugal“. Der EGMR hatte darin 2011 ein pauschales Veröffentlichungsverbot für unverhältnismäßig erklärt und eine Einzelfallabwägung zwischen Pressefreiheit und Interessen wie Verfahrensintegrität oder Privatsphäre gefordert.

Auch der Bundesgerichtshof stellte 2023 im Fall der „Olearius-Tagebücher“ fest, dass wörtliche Zitate einen dokumentarischen Wert haben können, was die Bedeutung präziser Berichterstattung untermauert und die Entscheidung des EGMR stützt.

Gericht verzichtet auf Abwägung

Das BVerfG hingegen hielt den Paragrafen 353d in Urteilen von 1985 und 2014 für verfassungskonform, ohne die Pressefreiheit eingehend zu prüfen. Das Landgericht Hamburg war dieser Linie gefolgt und hatte die EGMR-Kriterien unberücksichtigt gelassen.

Doch die Kammer folgte der Argumentation von Janz' Verteidigung nicht. In ihrem Urteil am Dienstagmittag wies sie die Berufung zurück und hielt Paragraf 353d für verfassungsgemäß. Eine Vorlage für das BVerfG erübrige sich, da das Gericht 1985 bereits alle wesentlichen Punkte geklärt habe, erläuterte sie in der mündlichen Begründung. Auch mit Artikel 10 EMRK gebe es keinen Konflikt – ebenso wenig zur Rechtsprechung des EGMR.

Er sei von dem Urteil enttäuscht, sagt Janz am Nachmittag zur taz – vor allem, weil das Gericht die geforderte Abwägung gar nicht vorgenommen hat, obwohl dies der Schwerpunkt der Argumentation der Verteidigung gewesen war.

„Eine solche nach dem EGMR notwendige Abwägung hätte zu einem anderen Ergebnis geführt“, sagte der Anwalt Seel nach der Verhandlung. Janz und seine Anwälte warten nun auf das schriftliche Urteil und planen, mit der Revision dagegen vorzugehen. Kämpferisch ist Janz weiterhin: „Dann machen wir eben weiter.“

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1 Kommentar

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  • Naja, der Journalist ist mir sympathisch, aber er hat einen Verfahrensfehler begangen: Hätte er mal vorher bei der Pressestelle gefragt ob das Verfahren abgeschlossen ist ....



    Aber da er seinen Artikel mit dem Zitat ja schon veröffentlicht hat, sind diese 2600 Euro doch relativ günstig. Das kann solidarischerweise doch der Verlag übernehmen oder er macht eine Soliparty und sammelt dort das Geld wieder ein.