Journalismus in Grenzregionen: Grüne Grenze des Schweigens
An den EU-Außengrenzen wird die Pressefreiheit stark eingeschränkt. Gerade dort aber ist unabhängige Berichterstattung enorm wichtig.
Am Freitag vergangener Woche wird der deutsche Tagesspiegel-Reporter Sebastian Leber in Kroatien, nahe der bosnischen Grenze, festgenommen. Leber recherchiert dort zu Pushbacks auf der Balkanroute. Die Polizei hält Leber 24 Stunden fest, wirft ihm Menschenschmuggel vor.
Ein Vorwurf, der – wie ein kroatischer Staatsanwalt und eine Richterin bestätigten – unsinnig ist. Leber hatte zwar die grüne Grenze, also einen Ort ohne Grenzübergangsstelle, von Bosnien aus übertreten, was in Kroatien eine Ordnungswidrigkeit ist. Ein Festhalten für einen ganzen Tag ist dafür jedoch unverhältnismäßig. Leber ist mit einem Ordnungsgeld von 300 Euro wieder frei und nach Deutschland zurückgekehrt, sagt aber, die Erfahrung habe ihn psychisch belastet.
Die Tagesspiegel-Chefredaktion verurteilt den Versuch, „unabhängige journalistische Berichterstattung zu kriminalisieren und somit die Pressefreiheit einzuschränken“. Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr kritisiert, kroatische Behörden hätten „so gut wie kein Interesse daran, Journalistinnen und Journalisten in den Grenzregionen unabhängig arbeiten zu lassen“.
Kroatien hatte an seiner Grenze zu Bosnien besonders früh und exzessiv Pushbacks betrieben – die Öffentlichkeit erfuhr davon überhaupt nur, weil NGOs und Medien das immer wieder gegen alle Widerstände dokumentierten. Wo die Fluchtrouten über den Balkan, das Mittelmeer und Osteuropa die Außengrenzen der EU kreuzen, wird unabhängige Berichterstattung dringend gebraucht.
Kroatien hatte zwar im Sommer auf Druck der EU versprochen, Menschenrechtsverstöße im Grenzgebiet durch ein „Border Monitoring“ zu verhindern. Menschenrechtsorganisationen kritisierten dieses jedoch als wirkungslos: zu intransparent, zu wenig unabhängig, weil direkt vom Innenministerium, und ohnehin beschränkt auf offizielle Grenzübergänge – für die grüne Grenze gilt es nicht. Die Einzigen, die also unabhängige Informationen über die Lage dort liefern können, sind Reporter:innen und journalistische Filmteams.
Offizielle Verbote oder Schikanen
Doch diese müssen immer wieder damit rechnen, an ihrer Arbeit gehindert zu werden. Durch offizielle Verbote – oder Schikanen. Das zeigt sich derzeit deutlich auch im ostpolnischen Grenzgebiet zu Belarus. Anfang Oktober wurde dort die Arte-Filmemacherin Ulrike Däßler gemeinsam mit ihrem Kameramann und einer Stringerin festgenommen. Das Team wurde voneinander getrennt eine Nacht in Gewahrsam gehalten. „Hier aber wurden wir gar nicht nach unserer Arbeit gefragt. Es war von Anfang an klar, dass wir etwas verbrochen hatten“, sagte Däßler später der Deutschen Welle. Die Beamten hätten kaum Englisch gesprochen, Familie und Vorgesetzte habe sie nicht verständigen dürfen. „Wir wurden quasi halb ausgezogen und kamen in Einzelhaft in eine kleine Zelle. Und niemand konnte mir sagen, was als Nächstes passiert.“
Im gegenwärtigen Konflikt zwischen Belarus und der EU über Migrationsbewegungen in Osteuropa hat die polnische Regierung eine sogenannte „Emergency Zone“ definiert. Diese „Notfallzone“, einen drei Kilometer breiten Landstrich entlang der Grenze zu Belarus, dürfen Journalist:innen nicht betreten. Däßler war zum Verhängnis geworden, dass die „Emergency Zone“ nicht ausgeschildert war. An den großen Straßen sind Polizeisperren, auf Feldwegen ist man hingegen auf Google Maps angewiesen – doch Handys haben oft keinen Empfang. Die Richterin habe es letztlich bei einer Ermahnung belassen, nachdem sie die Aufnahmen gesichtet habe. Däßler will nun wegen „unmenschlicher Behandlung“ klagen.
Über Monate wird die Presse in Ostpolen von einer der größten humanitären Krisen des Kontinents ferngehalten, weil die polnische Regierungspartei PiS die Kontrolle über die Berichterstattung behalten will. Ein in dieser Breite und Dauer beispielloser Angriff auf die Pressefreiheit, der von der EU-Kommission hingenommen wird. In Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyens Statement zur Krise vom 8. November findet sich zur Pressefreiheit: nichts.
Ein Bild der Willkür
Der Journalist Krzysztof Boczek hat für das polnische Magazin Oko die bislang umfassendste Sammlung von Aussagen von Reporter:innen zusammengetragen. Sie zeichnen ein Bild der Willkür. Mit zunehmender Dauer der Krise gibt es auch immer mehr Übergriffe auf Journalist:innen, die gar nicht in der „Emergency Zone“ waren.
Vor zehn Tagen etwa wurden die drei Fotojournalisten Maciej Nabrdalik (New York Times), Maciej Moskwa (Testigo, Fotograf des Bilds auf dieser Seite) und Martin Diviska (European Pressphoto Agency) von Soldaten aus dem Auto gezerrt und mit Handschellen gefesselt. Sie mussten die Händen erhoben halten, ihr Gepäck wurde durchsucht, obwohl sie angaben, Reporter zu sein, ihre Aufnahmen wurden gesichtet. Der Vorfall ereignete sich an einem Checkpoint an der Grenze zur Roten Zone. Der Aufenthalt dort ist legal.
Vor zwei Wochen wurde laut Oko ein französisches Fernsehteam auf einer öffentlichen Straße vor der Grenzwache in Michałówo angehalten. Ein uniformierter Mann ohne Identifikation an der Uniform habe sich genähert, das Kennzeichen aufgeschrieben und sie aufgefordert zu verschwinden, so berichten es die Franzosen gegenüber dem Magazin. Auf den Hinweis, dass es sich um eine öffentliche Straße handele, habe der Mann geantwortet: „Deshalb ist es kein Befehl, sondern eine Aufforderung, hier wegzufahren. Und wenn nicht, übergebe ich ihre Daten an den „Służba Kontrwywiadu Wojskowego (SKW)“, (Militärischen Abschirmdienst Polens, Anm. d. Redaktion).“ Der habe „seine Methoden, um euch die Arbeit zu erschweren“.
Anderen Reporter:innen wurde angedroht, ihre Autos auf eigene Kosten abschleppen zu lassen; es wurde behauptet, dass sie per Haftbefehl gesucht würden; so genannte IMEI-Nummern von Handys wurden notiert, mit denen sich die Geräte orten lassen; oder es wurde behauptet, TV-Teams seien in die Rote Zone eingedrungen, obwohl sie sich außerhalb befanden. Die Behörden „schüchtern Journalisten ein und erpressen sie – auch außerhalb der Roten Zone“, ist Boczeks Fazit.
Situation in Griechenland
Schikane, Willkür und Versuche, Pressearbeit zu kriminalisieren, kennen Journalist:innen, die von den griechischen Ägäisinseln berichten, schon lange. Im Oktober 2020 zum Beispiel wurde auf Samos ein deutsches Filmteam sieben Stunden ohne konkrete Vorwürfe festgehalten, obwohl man sich als Presse ausgewiesen hatte. Ein Fall von vielen, die Presse- und Menschenrechtsorganisationen dort seit Jahren dokumentieren. Ohnehin wird Berichterstattung aus bestimmten Bereichen wie den „Hotspots“ genannten Aufnahmelagern offiziell verhindert. Presse wird dort nur zu bestimmten Anlässen Zugang gewährt.
Franziska Grillmeier, Reporterin in Griechenland
Die Reporterin Franziska Grillmeier, die auch schon für die taz aus Griechenland berichtet hat, sagt: „Eine würdevolle und unabhängige Berichterstattung ist im griechischen Grenzgebiet nicht möglich.“ Die Sicherheit und Bewegungsfreiheit von Journalist:innen sei zuletzt noch einmal dramatisch eingeschränkt worden. „Wie in anderen EU-Grenzregionen soll es nicht zur Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen kommen“, sagt Grillmeier. Die Grenzgebiete seien fester Bestandteil des sogenannten „Migrationsmanagements. Deshalb ist auch die Einschränkung der Pressefreiheit zur neuen Normalität in Europa geworden.“
Der EU-Abgeordnete Erik Marquardt (Grüne), der regelmäßig Grenzgebiete besucht, sagt: „An den EU-Außengrenzen in Polen, Kroatien und Griechenland findet eine massive Einschränkung der Pressefreiheit statt, die nicht mit den europäischen Werten vereinbar ist.“ Die EU-Kommission sei verantwortlich, die Mitgliedsstaaten zum Einhalten der europäischen Grundsätze zu verpflichten. „Hier passiert leider zu wenig. Viele Mitgliedsstaaten und politische Parteien in Europa dulden den täglichen Rechtsbruch an unseren Außengrenzen, weil ihnen Abschottung wichtiger ist als Rechtsstaatlichkeit.“
In Griechenland arbeiten örtliche und internationale Journalist:innen nun an einem Flyer mit den wichtigsten juristischen Infos für Kolleg:innen, die aus der Grenzregion berichten wollen. Sicherheitstipps, Adressen für rechtlichen Beistand. Vernetzung soll der Willkür etwas entgegensetzen. Das ist auch in den Grenzregionen Osteuropa und Balkan längst notwendig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld