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Pushbacks an der kroatischen GrenzeFatales Wegschauen

Gastkommentar von Dominik Winkler

Videos über eine prügelnde Grenzpolizei in Kroatien haben jüngst die Öffentlichkeit aufgerüttelt. Dabei ist das Problem seit Jahren bekannt. Konsequenzen? Fehlanzeige.

Selbstorganisierte Proteste von Flüchtenden Anfang Oktober Foto: theborderstartshere.com

D ie Videos von prügelnden Po­li­zis­t:in­nen an der EU-Außengrenze verbreiteten sich schnell in den sozialen Medien. Das mediale Echo ist angemessen. Dass es erst jetzt kommt, zeigt jedoch Leerstellen in der Berichterstattung auf. Seit Jahren berichten Flüchtende und Ak­ti­vis­t:in­nen von Gewalt an den EU-Außengrenzen – ohne Reaktionen der breiten Öffentlichkeit.

Die große Mehrheit der Schutzsuchenden im bosnisch-kroatischen Grenzgebiet hat eine zweistellige Anzahl an versuchten Grenzübertritten hinter sich, die alle mit illegalen Rückführungen endeten. Zugegeben, die neuen Aufnahmen sind wichtig für die Dokumentation der Menschenrechtsverletzungen. Aber Neues berichten sie nicht.

Dass systematische Gewalt erst nach Veröffentlichung der Videos in den Medien breiter diskutiert wird, zeugt von einer Gesellschaft, in der die Lebensrealitäten von Flüchtenden keinen Platz haben. Das kollektive Wegschauen ist so fatal, weil die Gewalt tief im Zentrum der EU verankert ist. Die Grenzpolizei und Frontex werden mit EU-Geldern finanziert. Europäische Unternehmen sind Teil der Militarisierung und Technologisierung des Grenzregimes.

Dominik Winkler

26, ist politischer Geograf. Er schreibt als Teil des Netzwerks „The border starts here“, das die Perspektiven von Flüchtenden an der EU-Außen­grenze sichtbar machen will.

Auch vermeintlich humanitäre Hilfsorganisationen tragen aktiv zur Abschottungspolitik bei, indem sie Schutzsuchende in Camps fernab der Grenzen unterbringen. Die International Organisation for Migration (IOM) unterstützt bei gewaltsamen Räumungen selbst organisierter Camps die bosnische Spezialpolizei. EU-Gelder an die Organisation fließen in Drohnen, Wärmebildkameras und Spezialfahrzeuge.

Diese Informationen sind frei zugänglich, und die Ent­schei­dungs­trä­ge­r:in­nen hinter dieser Politik werden oftmals wiedergewählt. Wir als Steu­er­zah­le­r:in­nen tragen diese Grenze mit. Die Schuld auf das kroatische Innenministerium abzuwälzen, ignoriert die eigene Verantwortung und blendet Möglichkeiten politischen Handelns aus. Wir dürfen unsere Bestürzung nicht auf die kroatische Polizei beschränken: Die Gewalt wird durch unser Wegschauen und unsere Steuergelder ermöglicht.

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10 Kommentare

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  • Es war kein Wahlkampfthema, weil es insgeheim eine Mehrheit der EU Bevölkerung befürwortet.

  • Herr Winkler, eine Frage an Sie als Geograf: EU-Außengrenze? Wie kamen diese Menschen nach Bosnien? Auf dem Seeweg? Mit dem Flugzeug? Wenn sie - was anzunehmen ist - auf dem Landweg dahin kamen, dann hatten sie die EU bereits erreicht und haben sie (freiwillig?) wieder verlassen. Bei aller verständlicher Empörung über die Brutalität der Kroaten: Um Schutz in der EU kann es bei diesem Drama nicht gehen: der war bereits gegeben und wurde wieder aufgegeben.

  • Jetzt sind gerade Koalitionsverhandlungen: wie steht eigentlich die FDP dazu?

  • Warum war wohl die Migrationspolitik kein Thema im Wahlkampf?

  • Jeder Schutzsuchende hat vor der Einreise nach Kroatien den Schutzraum EU schon mindestens einmal wieder verlassen. An dem Punkt geht es also nicht mehr primär um Schutz. Deutschland sollte unseren europäischen Partnern auf dem Balkan den Gefallen tun, die Einreise endlich direkt ohne die brutale Wanderroute zu ermöglichen. Wir tun aber so als würden wir Geflüchtete aufnehmen und bezahlen hintenrum den Grenzschutz auf der Balkan-Route. Wenn dann was schief geht, wird auch noch mit moralischem Impetus auf die bösen Anrainer mit dem Finger gezeigt. Das Erstarken der populistischen Rechten überall in Osteuropa und auf dem Balkan resultiert aus dieser deutschen Heuchelei. Wir sollten uns da dringend mal ehrlich machen.

    • @Šarru-kīnu:

      Korrekt, das ist die unerträgliche Heuchelei der deutschen Migrationspolitik. Wir bezahlen übrigens auch Marokko dafür, dass sie uns die Migranten vom Leib halten.

  • Selbst die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung kümmert sich lieber um mexikanische Menschenrechtsverletzungen als um die an den Grenzen der EU. Schämt euch.

  • Ich vermute, dass die Mehrheit der EU Bürger das billigt.

    • @Paul Rabe:

      Das glaube ich nicht. Ich billige das überhaupt nicht. Gewaltanwendung ist zu verurteilen. Und es ist gut, dass die Medien auf die brutalen Pushbacks hinweisen.

      Die versuchten Grenzübertritte sind dennoch illegal. Kroatien ist ein souveräner Staat und hat das Recht zu bestimmen, wer einreisen darf. Nur die Mittel, die die Kroaten hier anwenden, sind brutal und weit jenseits von Anstand und Moral.

      Es gibt kein Menschenrecht auf Ansiedlung in einem bestimmten Land. Mit EU oder Nicht-EU hat das Drama an der kroatischen Grenze jedenfalls nichts zu tun. Die betroffenen Menschen dürften durch Griechenland, also ein EU-Land, gereist sein. Vielleicht wollen manche von ihnen am Ende sogar nach Großbritannien - also kein EU-Land. Tausende "fliehen" ja aus der EU über den Ärmelkanal.

      Man muss schon ehrlich sein in dieser Debatte: Es geht um das Erreichen von Wunschländern durch illegale Migranten, nicht um "Schutzsuchende". Schutz in der EU hatten sie bereits gefunden.

      • @Winnetaz:

        Ich denke, Sie täuschen sich. Die Wahlergebnisse und das politische Handeln sprechen eine deutliche Sprache. Ja, Grenzen muss man falls notwendig auch mit Gewalt schützen. Wollen Sie, dass man mit ausreichender Aggressivität alles erreicht?