Journalismus im Exil: Andersdenkende in Gefahr
In Afghanistan gehen die Taliban juristisch gegen Exilmedien vor. Verbliebene Mitarbeiter:innen werden vorgeladen, ihnen drohen Repressionen.
„11.000 Menschen auf Ausreise-Sperrliste der Taliban.“ „Teenager festgenommen, weil sie ohne Rechtsvormund zusammenlebten.“ Das sind Schlagzeilen, unter denen afghanische Exilmedien kontinuierlich über die Lage im immer weniger zugänglichen Afghanistan unter Taliban-Herrschaft berichten. Nur wenige westliche Medien haben dort noch Korrespondent:innen. Dem islamistischen Regime ist solch eine Berichterstattung ein Dorn im Auge, auch wenn sich die einzelnen Berichte meist nicht unabhängig überprüfen lassen.
Nun haben die Taliban ein Verfahren eingeleitet, um zehn solcher Medien die Lizenz zu entziehen. Das gab Abdul Hak Hammad, Chef der Medienaufsichtskommission ihres Informationsministeriums, Anfang Januar in den Staatsmedien bekannt. Namen nannte er nicht, er sagte nur, dass es sich gegen Medien richte, deren „Besitzer und Chefs aus dem Land geflohen sind“, aus dem Exil „gegen die Interessen der Staatsordnung und des Volkes arbeiten“ und „Propaganda“ betrieben. Konkrete Anschuldigungen wurden nicht bekannt.
Da Vertreter:innen der betroffenen Medien, die sich noch im Land aufhalten, Vorladungen erhielten, ist inzwischen aber klar, um wen es sich handelt: drei ehemals führende, auch gegenüber der früheren Regierung kritische Zeitungen, Hascht-e Sobh (8 Uhr morgens), Etelaat-e Rus (Nachrichten des Tages) und Kabul Sobh (Kabuler Morgen) sowie kleinere Nachrichtenagenturen und Webportale. Alle arbeiten vom Ausland online weiter, verfügen aber über Mitarbeiter:innen und Netzwerke von Informant:innen in Afghanistan.
Zarif Karimi, der den Mediendachverband Nai (Die Rohrfeder) in Kabul leitet, sagte der taz, dass die Taliban versucht hatten, den Prozess im Alleingang durchzuziehen, nachdem Vertreter:innen der zehn Medien sich weigerten, vor Gericht zu erscheinen. Das Urteil sollte schon am vorigen Sonntag fallen. Aber örtliche Journalistenverbände, die inzwischen die Rechtsvertretung der Medien übernahmen, erreichten eine Verschiebung. Laut Karimi argumentierten sie mit dem Mediengesetz der alten Regierung, nachdem es vor einem Verfahren eine Anhörung bei der Medienaufsichtskommission geben müsse.
Ob es zu der Anhörung kommt, ist bisher unklar. Einen neuen Gerichtstermin gibt es jedenfalls noch nicht, so Karimi. Interessant ist, dass die Taliban damit einen ersten Anflug von Rechtsstaatlichkeit zeigen. Ansonsten sind nämlich Verfahren ohne Verteidiger oder das Recht, Zeugen der Verteidigung zu benennen, an der Tagesordnung. Auch darüber berichteten Exilmedien wiederholt.
Nur die Scharia soll zählen
Ansonsten ist die Rechtslage unklar. Er wird interessant zu sehen, ob das alte Mediengesetz noch zum Tragen kommt, das die Talibanführung formal nicht abgeschafft hat, obwohl sie mehrmals erklärte, nur islamisches Recht, die Scharia, anwenden zu wollen. Allerdings enthielt auch das alte Gesetz schon den Gummiparagrafen, dass Medienberichterstattung sich nicht „gegen islamische und nationale Werte“ und „nationale Interessen“ richten dürfe. So argumentieren auch die Taliban.
Trotz ihrer weitgefächerten Repressalien gegen Andersdenkende lassen die Taliban bisher weiter im Land arbeitenden unabhängigen Medien überraschenden Spielraum. Allerdings sind die Medien von den Taliban-Einschränkungen für das Arbeitsleben von Frauen betroffen und üben wegen der unklaren Rechtslage eine gewisse Selbstzensur. Andere Exilmedien wie die Frauen-Nachrichtenseite Ruchschana oder Amu TV, die erst nach der erneuten Machtübernahme der Taliban entstanden, befinden sich zumindest juristisch außerhalb deren Reichweite. Aber ihren Mitarbeiter:innen und Quellen im Land drohen ebenfalls Repressalien.
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