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Jérôme Boateng und Till LindemannVerbrüderung gegen MeToo

Leyla Roos
Kommentar von Leyla Roos

Der Fußballer Jérôme Boateng und der Sänger Till Lindemann senden vergiftete Ostergrüße. Sie inszenieren sich als Opfer der Berichterstattung.

Ostergrüße mit Beigeschmack: Boateng und Lindemann lassen sich gemeinsam fotografieren Foto: Instagram

E in überraschendes Duo sendete am Wochenende österliche Grüße: Rammstein-Frontmann Till Lindemann und Fußballer Jérôme Boateng grinsen bei Kerzenlicht freundlich in die Kamera. Auf dem gemeinsamen Foto auf Instagram liegt vor ihnen im Bild eine scheinbar zufällig platzierte Zeitung mit der Schlagzeile „Von Lindemann bis Boateng: ‚Schuldig!‘“

Wie ein spontaner Schnappschuss soll es wirken, allerdings ist es ein ­inszeniertes Bild, das vor allem eines tut: Die beiden Männer lenken die Aufmerksamkeit auf sich und inszenieren sich als Opfer von Vorverurteilung. Beide wurden in der Vergangenheit der sexualisierten Gewalt gegen Frauen beschuldigt. Gegen Boateng gab es mehrere Gerichtsverfahren wegen Körperverletzung, Nötigung und Verleumdung gegenüber Ex-Partnerinnen.

Auch gegenüber Lindemann wurden im Sommer 2023 schwere Vorwürfe erhoben. Mehrere Frauen berichteten über ein System, bei dem junge Frauen gezielt ausgewählt wurden, um auf spezielle Aftershowpartys nach Rammstein-Konzerten zu gehen. Die Ermittlungen aufgrund der Vorwürfe der Sexualdelikte und die Abgabe von Betäubungsmitteln stellte die Staatsanwaltschaft Berlin im August 2023 aufgrund mangelnder Beweise ein.

Das Problem ist größer als die beiden

In dem auf dem Bild zu sehenden N-tv-Artikel kritisiert die Autorin die Berichterstattung um Missbrauchsvorwürfe und meint, es ginge den Medien um Aufmerksamkeit und Profit statt um wirkliche Aufklärung der Fälle. Medien würden die MeToo-Bewegung als Geschäftsmodell missbrauchen. Eine Verdachtsberichterstattung sei nur dann legitim, wenn es Beweise für die Vorwürfe gebe. Sonst würde die Berichterstattung sowohl dem Vertrauen des Journalismus schaden als auch den Ruf der vermeintlichen Täter schädigen.

Doch ganz recht hat sie damit nicht, die Unschuldsvermutung ist natürlich ein wichtiger Bestandteil eines demokratischen Rechtssystems. Allerdings spielt die Verdachtsberichterstattung eine große Rolle bei der Aufarbeitung von Straftaten, die juristisch meistens nicht nachweisbar sind. Trotzdem nutzen solche Artikel Männer wie Boateng und Lindemann für ihre Vorteile. Das Ganze scheint eine inszenierte Verbrüderung gegen die Anschuldigungen zu sein. Denn es gibt gar keine Print-Ausgabe des Fernsehnachrichtensenders N-tv. Der Artikel scheint nur für das Foto in Zeitungsform gedruckt worden zu sein.

Lindemann und Boateng inszenieren sich mithilfe des Artikels, der die Berichterstattung über Vorwürfe der sexualisierten Gewalt konkret an ihren Fällen kritisiert, als Opfer der Vorverurteilung und des Unrechts. Dabei ist das Problem viel größer als sie: denn sexualisierte Gewalt hat System. Jede dritte Frau in Deutschland ist betroffen. Den Frauen wird oft nicht geglaubt, und aufgrund der Stigmatisierung und der Täter-Opfer-Umkehr trauen sich viele Opfer von sexualisierter Gewalt nicht, die jeweiligen Tä­te­r:in­nen anzuzeigen.

Nur etwa 10 Prozent aller Taten werden angezeigt, ein Bruchteil davon verurteilt. Die Dunkelziffer ist hoch. Entgegen dem Stereotyp, ein sexualisierter Übergriff sei ausgedacht, um Aufmerksamkeit zu erhalten, liegt der Anteil an Falschbehauptungen bei Vorwürfen der sexualisierten Gewalt nicht höher als bei anderen Straftaten.

Insgesamt herrscht weltweit eine große Diskrepanz zwischen der Häufigkeit von sexualisierten Übergriffen und deren Aufklärung sowie Verurteilung. So fragt man sich am Ende: Welche Karrieren und wessen Ruf wurde denn wirklich nachhaltig von den Vorwürfen geschädigt? Die Karrieren der mutmaßlichen Täter sind es offensichtlich nicht. Boateng spielt weiterhin Fußball, Lindemann gibt weiterhin Konzerte. Letzterer spielt sogar mit den Vorwürfen, beispielsweise durch explizite Darstellungen von Gewalt an Frauen in Musikvideos. Das Foto ist eine typische Demonstration von männlicher Macht. Ein geschädigter Ruf sieht anders aus.

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Leyla Roos
hat interdisziplinäre Medienwissenschaft (Intermedia) in Köln studiert. Vorher hat sie bei MAITHINK X gearbeitet und schreibt jetzt für taz2. Darüber hinaus macht sie intersektional-feministische Aufklärung auf Social Media.
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12 Kommentare

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    Die Moderation

  • Gesucht und gefunden. Die neue Bromance, demnächst bei RTL 2. Obwohl, ich glaube (die Hoffnung stirbt zuletzt), die beiden wären selbst RTL 2 zu widerlich. Da Bild TV nicht mehr existiert, also demnächst bei Servus TV

  • Die beiden können sich nur zum Opfer machen, wenn man sie dazu macht.



    Für mich sieht das aus wie ein Schuldgeständnis, vor allem in Verbindung mit dem arroganten Grinsen, was einfach nur sagt: "Wir sind trotzdem bis jetzt damit durchgekommen."



    Die beiden zeigen der Welt also, was sie von ihr halten; dass sie auf den Rest der Welt sch***en.

    Das sollte man in Artikeln betonen. Eine Opferrolle ist da doch gar nicht zu finden

  • Was für eine widerliche Inszenierung dieser beiden misogynen Figuren.

    Bezeichnend scheint mir zu sein, dass man, denkt man an den einen, nie auf einen Zusammenhang mit dem anderen kommen würde. Die Verbindung die sie hergestellt haben, erfolgt durch den gemeinsamen Hass auf Frauen und die abstoßende Zurschaustellung ihrer Haltung.

  • Wow, ist das gruselig.

  • Geld schießt nicht nur Tore. Geld gewinnt auch Gerichtsverfahren oder mildert das Urteil zumindest beträchtlich für den Angeklagten.



    Wer - von den Ramsteinfans - sich bisher noch hat blenden lassen, Lindemann macht es ihnen klar: Zwischen diesen beiden Vögeln auf diesem Foto gibt es keinen Unterschied.

    • @Nansen:

      Bei nicht wenigen Lindemann Fans ist das glaube ich etwas wie bei Trump: sie lieben ihn nicht trotzdem, sondern genau deswegen.

  • Wenn ich argumentiere das 90 Prozent Falschbeschuldigungen sind, dann ist das genau so Faktenbefreit wie das hier ". Entgegen des Stereotyps, ein sexualisierter Übergriff sei ausgedacht, um Aufmerksamkeit zu erhalten, liegt der Anteil an Falschbehauptungen bei Vorwürfen der sexualisierten Gewalt nicht höher als bei anderen Straftaten."

    Es gibt schlicht keine seriösen Studien beziehungsweise Zahlen dazu. Die Zahlen, welche von bestimmten Männern und Frauen als Beweis für hohe oder niedrige Falschbeschuldigungen aufgeführt werden sind einfach schlecht gemacht bis äußerst Manipulativ. Von Doppelbefragungen die vorgekommen sein können und bis wir nehmen nur die stichhaltigen Fälle, sortieren die dann bei Bedarf noch weiter aus, bis uns das Ergebnis gefällt ist alles dabei. Nur seriös ist nichts.

    Wenn man schon bewußt in Kauf nimmt das Leben von Menschen zu zerstören, dann sollte es vllt auf einem Beweisbaren Fundament stehen und nicht auf einem Gefühl. Genau so gehören Frauen ernst genommen, weil auch deren Leben zerstört oder zumindest sehr beeinträchtigt sein kann.



    Egal wer sich als Täter oder Opfer herausstellt, mindestens von einer Person ist das Leben nicht mehr wie zuvor.

  • Wenn die beiden das Bild wirklich selbst inszeniert haben, dann haben die sich doch gerade als Horrorclowns geoutet.



    Was haben die für ein Selbstbild? Denen ist doch wirklich alles egal und sicher auch alle gesellschaftlichen Konventionen.

  • "ein geschädigter Ruf sieht anders aus"? Wirklich? Wie groß doch der beiden Angst sein muss, ihren Bekanntheitsstatus zu verlieren. Dabei haben sich beide doch wesentlich disqualifiziert und sehen eben aufgrund der in ihren Augen "schlechten Presse" die Felle davon schwimmen. Das Gegenteil wird ihnen mit solchen Insta-auftritten gelingen.



    Wer es nötig hat, mit Gewalt gegen Frauen und mit Erniedrigung von anderen Menschen zu prahlen oder zu glänzen und mit billigen posts das bessere Image wieder auf die Bühne zu heben, hat einfach nichts verstanden im bisherigen Leben. A-.... Typen halt. Was soll mann (!) sonst dazu noch sagen.

  • "Doch ganz Recht hat sie damit nicht, die Unschuldsvermutung ist natürlich ein wichtiger Bestandteil eines demokratischen Rechtssystems. Allerdings spielt die Verdachtsberichterstattung eine große Rolle bei der Aufarbeitung von Straftaten, die juristisch meistens nicht nachweisbar sind. "

    Wie verhält es sich dann bei einem Freispruch, den die Medien so nicht erwartet haben oder für gerechtfertigt halten? In dem in diesem Artikel wieder die allgemein schlechte Aufklärungsquote von entsprechenden Fällen aufgegriffen wird, wird indirekt (oder direkt) angedeutet, dass diese beiden Männer schuldig sind. Es passiert also genau dass, was in dem Artikel bei N-TV angesprochen wird. Wenn die Bild so etwas macht, wird das von seriöser Presse zu Recht angeprangert. Und die Aufgabe, Straftaten nachzuweisen hat die Justiz, nicht die 4. Gewalt.

  • Insbesondere sei daran erinnert, dass das letzte Ermittlungsverfahren gegen Boateng eingestellt wurde, weil das Opfer Suizid beging und somit zwar Spuren körperlicher Gewalt, nicht aber deren Ursprung ermittelt werden konnten.

    Ein Umstand, der Boateng nicht davon abhielt, die Verfahrenseinstellung öffentlichkeitswirksam als vermeintlichen Freispruch zu feiern.