Jahrestag der Loveparade-Katastrophe: Als wären die Opfer selber schuld
Vor 15 Jahren wurden bei einer Massenpanik 21 Menschen in Duisburg getötet, Hunderte verletzt und traumatisiert. Verantwortung hat niemand übernommen.

E s war ein Bild der Erbärmlichkeit. Bis heute kommt bei der Erinnerung an diese unwürdige Pressekonferenz im Duisburger Rathaus am Tag danach Empörung, ja Wut hoch. Vorne saßen jene, die verantwortlich dafür waren, dass trotz aller Warnungen am 24. Juli 2010 die Loveparade in der Ruhrgebietsstadt stattgefunden hatte. Nun schauten die Herren von der Stadt und der Polizei sowie der Chef einer Billigfitnessstudiokette mächtig bedröppelt in die Kameras.
Oberbürgermeister Adolf Sauerland fabulierte etwas von einem „entsetzlichen Unglück“ und dem „Mitgefühl aller Duisburgerinnen und Duisburger“. Was halt ein politischer Repräsentant so sagt, wenn er Anteilnahme demonstrieren will. Angesagt gewesen wäre etwas anderes. Doch weder er noch sonst einer der Verantwortlichen wollte für irgendetwas irgendwie Verantwortung übernehmen – schon gar nicht rechtlich, aber auch nicht einmal moralisch oder politisch. Von Minute zu Minute wurde die Stimmung gereizter im Saal. Die Empörung über die versammelte Unverantwortlichkeit brachte ein Kollege auf den Punkt: „Es sind Menschen gestorben, und Sie eiern hier herum!“
Fünfzehn Jahre ist es jetzt her, dass bei einer Massenpanik auf der ersten und einzigen Loveparade in Duisburg 21 Menschen im Gedränge getötet und mehr als 650 verletzt wurden. Hinzukamen unzählige traumatisierte Festivalbesucher:innen. Sie alle wurden Opfer einer fatalen Mischung aus Größenwahn, Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit.
Mit knapp zweijähriger Verspätung musste immerhin Oberbürgermeister Sauerland, der das Techno-Spektakel entgegen späteren Behauptungen auf Biegen und Brechen in seine Stadt hatte bekommen wollen, die Konsequenzen tragen. Nachdem er einen Rücktritt entschieden abgelehnt hatte, wurde der Christdemokrat im Februar 2012 per Bürgerentscheid mit großer Mehrheit aus dem Amt gejagt – was Sauerland bis heute für zutiefst ungerecht hält. Er ist nach wie vor überzeugt davon, es liege keine Schuld bei der Stadt Duisburg und schon gar nicht bei ihm. Aber bei wem dann?
Recht ist nicht immer gerecht
Juristisch zur Rechenschaft gezogen wurde niemand: Kurz vor der Verjährung wurde vor fünf Jahren das Strafverfahren gegen die letzten der ursprünglich zehn wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung Angeklagten ohne Schuldspruch eingestellt. Allerdings standen ohnehin nur Befehlsempfänger vor Gericht, sechs städtische Mitarbeiter und vier Beschäftigte der Veranstaltungsfirma. Oberbürgermeister Sauerland und dem 2022 bei einem Flugzeugabsturz verstorbenen McFit-Manager Rainer Schaller, Veranstalter des Todesevents, blieb das erspart. Recht ist nicht immer gerecht.
Nach so manchen Verschleierungsversuchen im Vorfeld ist es dem Landgericht Duisburg immerhin gelungen, in 183 Hauptverhandlungstagen minutiös die Entstehung und den Ablauf der Katastrophe aufzuklären. Allein die Hauptakte umfasste am Schluss mehr als 60.000 Seiten, hinzu kamen mehr als 1.000 Aktenordner mit ergänzendem Aktenmaterial und knapp 1.000 Stunden an Videomaterial. Herausgekommen ist, was eigentlich von Anfang offensichtlich war: Die Katastrophe war das Ergebnis massiv schlechter Planung, unzulässiger Genehmigungen und fehlerhaften Polizeiverhaltens – und am Ende auch einer Verkettung unglücklicher Umstände.
Für die Überlebenden und Hinterbliebenen hat die juristische Aufklärung keinen großen Trost gebracht. Am Rande einer der jährlichen Gedenkveranstaltungen brachte ein Vater, der seinen Sohn auf der Loveparade verloren hat, traurig wie verbittert das Grundproblem auf den Punkt: „Es gibt keine Verantwortlichen“, sagte er der taz. „Es ist, als würde man sagen: Die waren selber schuld.“
Am Karl-Lehr-Tunnel, der vor 15 Jahren zur Todesfalle wurde, sollte nach Redaktionsschluss am Mittwochabend zum letzten Mal die traditionelle „Nacht der 1.000 Lichter“ stattfinden. Auch wie es mit der für diesen Donnerstag geplanten jährliche Gedenkfeier am selben Ort weitergehen wird, ist unklar. Die von Hinterbliebenen und Überlebenden gegründete Stiftung, die sie organisiert hat, löst sich auf. Die Ausrichtung einer möglichen neuen Veranstaltung müsste wohl künftig in städtischer Hand liegen. Konkrete Planungen sind jedoch bislang nicht bekannt.
„Wahnsinnig spannendes Stück Zukunft“
Immerhin soll es aber wohl die kleine Gedenkstätte am Karl-Lehr-Tunnel weiterhin geben. Das einstige Festivalgelände, auf dass die Raver:innen über eine Rampe hatten kommen sollen, steht hingegen vor einer radikalen Umgestaltung. Auf dem Gelände des früheren Güterbahnhofes soll bis zum Jahr 2032 ein neues modernes Stadtquartier entstehen. Bis zu 5.000 Menschen sollen dort künftig wohnen können, rund 8.000 Arbeitsplätze entstehen.
„Aus einem alten, brachliegenden Bahnhof wird ein dynamisches und wahnsinnig spannendes Stück Zukunft“, schwärmt Duisburgs heutiger sozialdemokratischer Oberbürgermeister Sören Link, der Nachfolger Sauerlands. Hoffentlich wird’s was. Die Verantwortlichen in der heruntergekommenen Eisenhüttenstadt des Westens hatten immer schon gerne hochfliegende Pläne. Die Verantwortung zu übernehmen, wenn’s dann doch mal wieder schiefgeht, fiel ihnen stets schwerer. Zum Glück waren die Folgen nicht immer so fatal wie vor 15 Jahren.
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