Verteidiger über Loveparade-Prozess: „Ein würdiger Abschluss fehlt“

Strafverteidiger Thomas Feltes hält das plötzliche Ende des Loveparade-Prozesses für einen Fehler. Hinterbliebene könnten kein Schlusswort sprechen.

Stilisierte Figuren sind an den Wänden des Tunnels, dem damaligen Zugang zur Loveparade, zu sehen.

Stilisierte Figuren an den Wänden eines Tunnels, dem damaligen Zugang zur Loveparade Foto: dpa

taz: Herr Feltes, nach 183 Verhandlungstagen will das Landgericht Duisburg den Loveparade-Prozess einstellen. Die Staatsanwaltschaft hat am Freitag zugestimmt. Auch die Angeklagten sind einverstanden. Damit ist der Prozess am Montag am Ende, oder?

Thomas Feltes: Am Montag sicherlich nicht, denn die Nebenkläger haben noch bis zum 27. April Zeit, Stellung zu nehmen. Aber: Wir als Nebenklage-Vertreter sind von diesem Vorpreschen des Gerichts überrumpelt worden: Es gab keinerlei Hinweis, dass der Prozess ohne jedes Urteil schon jetzt, drei Monate vor der Verjährungsfrist, eingestellt werden soll. Trotzdem ist leider zu befürchten, dass genau so entschieden wird.

Ein Veto können Sie nicht einlegen?

Nein. Laut Strafprozessordnung dürfen wir nur eine Stellungnahme abgeben. Wir werden deutlich machen, wie unverständlich und belastend dieses Prozessende nicht nur für unseren Mandanten ist.

Sie vertreten Manfred Reißaus, der am 27. Juli 2010 seine 22-jährige Tochter verlor. Wie geht er mit dem drohenden Ende des Prozesses um?

Für ihn war der Tod seiner Tochter verheerend. Das Unglück hat ihn aus dem Nichts heraus getroffen. Das Verfahren hat er von Anfang an als ständiges Auf und Ab erlebt. Immer wieder wurden die Gedanken und Bilder an die Katastrophe, die tödliche Enge, an die panischen jungen Menschen hochgeholt – bei Herrn Reißaus ebenso wie bei allen anderen Angehörigen und Verletzten. Er hat zwar geahnt, dass der Prozess eingestellt wird – trotzdem trifft ihn das sehr. Auch eine Entschädigung des Veranstaltungsversicherers AXA hat er bis heute nicht erhalten.

Warum nicht?

Weil ihm der angebotene Betrag auch im Vergleich zu anderen Zahlungen zu niedrig erschien. Für viele Hinterbliebene ist es schwierig zu sehen, wie im deutschen Zivilrecht der Wert einer oder eines Toten ermittelt wird. Da geht es darum, wie lang der Todeskampf war, wie groß die Schmerzen waren, die das Opfer erleiden musste. Bei der Tochter von Herrn Reißaus kam der Tod sehr schnell, sie ist erdrückt worden – daher das relativ geringe Zahlungsangebot.

Das Gericht erklärt, der Prozess könne wegen Corona nicht weitergeführt werden: Die Ansteckungsgefahr für viele ältere Beteiligte sei zu groß. Stimmt das?

Das ist, mit Verlaub gesagt, an den Haaren herbeigezogen und unehrlich. Die für den Loveparade-Prozess angemietete riesige Messehalle in Düsseldorf ist der sicherste Gerichtssaal Deutschlands. Zwischen den Prozessbeteiligten ist ein Abstand von zehn Metern möglich – alle erforderlichen Hygienemaßnahmen können eingehalten werden. In NRW finden jeden Tag Prozesse in kleineren Räumen statt.

Außerdem argumentieren die Richter, die verbliebenen drei Angeklagten, allesamt Beschäftigte des Loveparade-Veranstalters Lopavent, treffe nur eine geringe Schuld. Sehen Sie das auch so?

Die Katastrophe war das Ergebnis massiv schlechter Planung, unzulässiger Genehmigungen und fehlerhaften Polizeiverhaltens – und am Ende auch einer Verkettung vieler unglücklicher Umstände. Das Gericht erklärt zwar, es sei „vermeidbar und vorhersehbar falsch“ eingeschätzt worden, wie viele Menschen in welcher Zeit durch den Tunnel unter dem Duisburger Hauptbahnhof auf das Veranstaltungsgelände geschleust werden könnten. Andererseits: Lopavent-Chef Rainer Schaller und besonders die Politik um Duisburgs Ex-Oberbürgermeister Adolf Sauerland wollten die Loveparade unbedingt. So entstand extremer Zeitdruck, und dann ist schludrig gearbeitet worden.

Die Rolle der Polizei, deren Absperrungen überrannt wurden und die kurz vor der Massenpanik noch mit einem Kastenwagen in die Menge gefahren ist, wurde dagegen kaum beleuchtet.

Das ist der Skandal des ganzen Verfahrens! Die Ermittlungen gegen verantwortliche Polizeibeamte sind sehr schnell eingestellt worden – und jetzt schreibt das Gericht, dass „pflichtwidriges Verhalten Dritter für das Geschehen mitursächlich“ gewesen sei. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Staatsanwaltschaft.

Standen die falschen Angeklagten vor Gericht?

Von den Verantwortlichen ist nur die zweite und dritte Reihe angeklagt worden. Nicht umsonst ist das Verfahren gegen sieben Angeklagte, darunter alle Mitarbeiter der Stadt, schon 2019 wegen geringer Schwere der Schuld eingestellt worden. Ich hatte natürlich gehofft, dass Ex-Oberbürgermeister Sauerland und Lopavent-Chef Schaller freiwillig ihre Mitverantwortung einräumen. Zu erwarten ist das in einem Strafverfahren aber nicht – auch wenn es sich sicher strafmildernd ausgewirkt hätte. Für eine Anklage aber waren sie von den konkreten Planungen viel zu weit weg, um ihre Schuld gerichtsfest nachzuweisen. Ich habe deshalb schon die Eröffnung des Prozesses von Anfang an für einen Fehler gehalten.

69, war bis 2019 Professor für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Er vertritt die Bundesrepublik in der Anti-Folter-Kommission des Europarats und ar­bei­tet als Strafverteidiger.

Wieso das?

Das Strafrecht ist das denkbar schlechteste Instrument, ein Unglück wie die Loveparade-Katastrophe aufzuarbeiten. Ein Strafprozess kann Angehörigen und Opfern keinen Frieden schenken – eben weil er Verantwortlichen wie Sauerland und Schaller nicht die Möglichkeit gibt, sich offen und ehrlich zu bekennen und sich glaubhaft zu entschuldigen.

Was wäre die Alternative?

Eine Untersuchungskommission nach britischem Vorbild, wie sie nach der Hillsborough-Katastrophe mit ihren 96 Toten im Fußballstadion von Sheffield eingesetzt wurde. Die hätte nicht nur mit Juristen, sondern auch mit Experten wie Ingenieuren und Psychologen besetzt werden können – und hätte ohne Strafandrohung eine ehrliche Aufarbeitung der Unglücksursachen möglich gemacht.

Warum protestieren Sie dann trotzdem gegen das Ende des Prozesses?

Weil dem Verfahren ein würdiger Abschluss fehlt. Bisher konnte nicht einmal der Gutachter, der den Ablauf der Katastrophe detailliert untersucht hat, mündlich befragt werden. Und: Hinterbliebenen wird die Möglichkeit genommen, sich noch einmal zu äußern, ein Schlusswort zu sprechen. Stattdessen wird jetzt die eiskalte Sense geschwungen.

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