Jagd auf Migranten in Libyen: Mit Stöcken und Peitschen
Eine Woche nach den Massenfestnahmen in Libyen werden Fluchtversuche mit Gewalt niedergeschlagen. Verzweifelte Proteste vor dem UNHCR-Gebäude.
„Die Wachen haben auf die flüchtenden Menschen geschossen haben, die in dem überfüllten Al-Mabani-Zentrum zusammengepfercht waren“, berichtet Frederico Soda, Leiter der Libyen-Mission der IOM.
Autofahrer auf einer Schnellstraße filmten mit ihren Mobiltelefonen Szenen einer Massenflucht aus der Lagerhalle, in der Tausende Menschen festgehalten wurden. Gruppen von dunkelhäutigen Migranten steigen in den auf sozialen Medien verbreiteten Clips über Betonabsperrungen, rennen über die mehrspurige Straße und verschwinden in verwinkelten Straßen, mehrere werden von Fahrzeugen erfasst und verletzt.
In der Vorwoche hatte Libyens Regierung in einer völlig überraschenden Verhaftungsaktion Tausende Flüchtlinge und Migrantinnen aus ihren Wohnungen, auf offener Straße und aus Massenunterkünften zusammentreiben lassen. In Bussen und auf Pick Ups wurden nach offiziellen Angaben 4000 Menschen in Lager gebracht, doch Anwohner im betroffenen Hauptstadtbezirk Gargaresch gehen gegenüber der taz von weit mehr Verhafteten aus.
Keine Nahrung, kein Wasser
Der Sudanese Ahmed Bol wurde aus seiner Wohnung verschleppt. „Maskierte Männer in Uniform nahmen uns Handy, Geld und Dokumente ab, obwohl wir alle Arbeit auf einer Baustelle haben und gemeinsam eine Wohnung mieten“, berichtet der 25jährige der taz am Telefon.
Auch er wurde mit per Plastikfessel hinter dem Rücken zusammengebundenen Händen nach Al-Mabani gebracht. Der Lagerhallenkomplex wird in Kooperation mit der UNO betrieben und ist für 1000 Migranten ausgelegt. IOM-Chef Soda geht nun von 3000 Menschen aus, die dort auf dem Boden schlafen und hungern.
Einige Verhaftete konnten mit eingeschmuggelten Handys filmen, wie Uniformierte mit Stöcken und Peitschen auf am Boden hockende Menschen einschlagen. Aus Verzweiflung über den Mangel an Wasser, Nahrung und Platz begannen dann am Freitag in mehreren Gefängnissen Aufstände, berichtet Ahmed Bol.
„Ein nicht endender Strom humpelnder Menschen“
Der libysche Student Osama Al-Ghmg lebt in Gargaresch und hat alles mitbekommen: die Abriegelung der Migrantenviertel, die Razzia, nun das Herumirren von Tausenden Migranten, die ins Viertel zurückwollen. „Auch heute am Sonntag zieht ein nicht endender Strom von humpelnden oder sich gegenseitig stützenden Menschen durch die Stadt, ich habe auch viele Frauen mit Kindern auf dem Arm gesehen“, sagt er.
Während einige Ladenbesitzer und Passanten Wasser und Lebensmittel verteilen, schließen andere aus Angst vor Plünderungen ihre Geschäfte. Auf von Anwohnern gefilmten Aufnahmen rufen junge Männer „Freiheit“ und „Somalia“, „Sudan“ oder „Ägypten“.
Die libyschen Behörden hatten versprochen, die Mehrheit der Verhafteten schnell in ihre Heimat zurückzufliegen. „Doch die Repatriierung ist ohne Papiere und Hilfe von IOM oder UNHCR kaum möglich“, berichtet der libysche UNHCR-Mitarbeiter Meftah Lawel. „Wir versuchen, Lebensmittel heranzuschaffen, weil viele nur noch besitzen, was sie am Leibe tragen.“
Regierung entschuldigt sich
Vor dem UNHCR-Hauptquartier in Tripolis suchen viele Schutz, die Behandlung ihrer Verletzungen oder schlicht eine Mahlzeit. „Wir wollen den besonders Betroffenen helfen, kommen aber wegen den Massen vor dem Gebäude nicht an sie heran“, berichtet ein anderer UNHCR-Angestellter.
So langsam schwant es auch libyschen Offiziellen, dass die ehemaligen Milizen im Dienst der Regierung diesmal zu weit gegangen sind. Regierungschef Dbaiba hatte sich noch am Tag nach der Razzia persönlich bei ihnen bedankt. Am Sonntag besuchte nun Moussa Kouni, Mitglied des dreiköpfigen Staatsrates, eine Gruppe von obdachlosen Migranten. Der Tuareg aus dem Süden Libyens entschuldigte sich und versprach die Freilassung ihrer Angehörigen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Nichtwähler*innen
Ohne Stimme