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Jagd auf Migranten in LibyenMit Stöcken und Peitschen

Eine Woche nach den Massenfestnahmen in Libyen werden Fluchtversuche mit Gewalt niedergeschlagen. Verzweifelte Proteste vor dem UNHCR-Gebäude.

Ausweglos: Migranten suchen Schutz vor dem UNHCR-Büro in Tripolis, Samstag Foto: Yousef Murad / ap

Tunis taz | Die Lage der mehreren Tausend vor gut einer Woche inhaftierten Migrantinnen in Libyen spitzt sich zu. Mindestens sechs Menschen kamen am Freitag beim Ausbruchversuch aus einem Gefängnis in der libyschen Hauptstadt Tripolis ums Leben. 22 wurden mit Schusswunden in Krankenhäuser eingeliefert, berichtete die UN-Migrationsorganisation IOM (Internationale Organisation für Migration).

„Die Wachen haben auf die flüchtenden Menschen geschossen haben, die in dem überfüllten Al-Mabani-Zentrum zusammengepfercht waren“, berichtet Frederico Soda, Leiter der Libyen-Mission der IOM.

Autofahrer auf einer Schnellstraße filmten mit ihren Mobiltelefonen Szenen einer Massenflucht aus der Lagerhalle, in der Tausende Menschen festgehalten wurden. Gruppen von dunkelhäutigen Migranten steigen in den auf sozialen Medien verbreiteten Clips über Betonabsperrungen, rennen über die mehrspurige Straße und verschwinden in verwinkelten Straßen, mehrere werden von Fahrzeugen erfasst und verletzt.

In der Vorwoche hatte Libyens Regierung in einer völlig überraschenden Verhaftungsaktion Tausende Flüchtlinge und Migrantinnen aus ihren Wohnungen, auf offener Straße und aus Massenunterkünften zusammentreiben lassen. In Bussen und auf Pick Ups wurden nach offiziellen Angaben 4000 Menschen in Lager gebracht, doch Anwohner im betroffenen Hauptstadtbezirk Gargaresch gehen gegenüber der taz von weit mehr Verhafteten aus.

Keine Nahrung, kein Wasser

Der Sudanese Ahmed Bol wurde aus seiner Wohnung verschleppt. „Maskierte Männer in Uniform nahmen uns Handy, Geld und Dokumente ab, obwohl wir alle Arbeit auf einer Baustelle haben und gemeinsam eine Wohnung mieten“, berichtet der 25jährige der taz am Telefon.

Auch er wurde mit per Plastikfessel hinter dem Rücken zusammengebundenen Händen nach Al-Mabani gebracht. Der Lagerhallenkomplex wird in Kooperation mit der UNO betrieben und ist für 1000 Migranten ausgelegt. IOM-Chef Soda geht nun von 3000 Menschen aus, die dort auf dem Boden schlafen und hungern.

Einige Verhaftete konnten mit eingeschmuggelten Handys filmen, wie Uniformierte mit Stöcken und Peitschen auf am Boden hockende Menschen einschlagen. Aus Verzweiflung über den Mangel an Wasser, Nahrung und Platz begannen dann am Freitag in mehreren Gefängnissen Aufstände, berichtet Ahmed Bol.

„Ein nicht endender Strom humpelnder Menschen“

Der libysche Student Osama Al-Ghmg lebt in Gargaresch und hat alles mitbekommen: die Abriegelung der Migrantenviertel, die Razzia, nun das Herumirren von Tausenden Migranten, die ins Viertel zurückwollen. „Auch heute am Sonntag zieht ein nicht endender Strom von humpelnden oder sich gegenseitig stützenden Menschen durch die Stadt, ich habe auch viele Frauen mit Kindern auf dem Arm gesehen“, sagt er.

Während einige Ladenbesitzer und Passanten Wasser und Lebensmittel verteilen, schließen andere aus Angst vor Plünderungen ihre Geschäfte. Auf von Anwohnern gefilmten Aufnahmen rufen junge Männer „Freiheit“ und „Somalia“, „Sudan“ oder „Ägypten“.

Die libyschen Behörden hatten versprochen, die Mehrheit der Verhafteten schnell in ihre Heimat zurückzufliegen. „Doch die Repatriierung ist ohne Papiere und Hilfe von IOM oder UNHCR kaum möglich“, berichtet der libysche UNHCR-Mitarbeiter Meftah Lawel. „Wir versuchen, Lebensmittel heranzuschaffen, weil viele nur noch besitzen, was sie am Leibe tragen.“

Regierung entschuldigt sich

Vor dem UNHCR-Hauptquartier in Tripolis suchen viele Schutz, die Behandlung ihrer Verletzungen oder schlicht eine Mahlzeit. „Wir wollen den besonders Betroffenen helfen, kommen aber wegen den Massen vor dem Gebäude nicht an sie heran“, berichtet ein anderer UNHCR-Angestellter.

So langsam schwant es auch libyschen Offiziellen, dass die ehemaligen Milizen im Dienst der Regierung diesmal zu weit gegangen sind. Regierungschef Dbaiba hatte sich noch am Tag nach der Razzia persönlich bei ihnen bedankt. Am Sonntag besuchte nun Moussa Kouni, Mitglied des dreiköpfigen Staatsrates, eine Gruppe von obdachlosen Migranten. Der Tuareg aus dem Süden Libyens entschuldigte sich und versprach die Freilassung ihrer Angehörigen.

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7 Kommentare

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  • Ich hoffe, dass die neue Bundesregierung sich hier energisch engagieren wird.



    Wir brauchen sofort sichere Korridore für Geflüchtete, damit die Menschen Deutschland sicher und menschwürdig erreichen.

    • @V M:

      Herzliche Sympathie für Ihr Anliegen. Aber Sie träumen wohl. Haben Sie noch nicht begriffen, dass keine deutsche Regierung mehr über dieses Thema entscheiden kann? Zum Thema Migration herrscht in Deutschland eine national-sozialistische Hegemonie. Wenn eine Regierung wagen würde, die Flüchtenden hier aufzunehmen, wählen die Leute eben Nazis in die Parlamente & die Avantgarde zieht los & zündet die Aufnahmeeinrichtungen an & ermordet die Menschen, jeder weiß das. Also werden sie schön weiter Millionen an die lybische Küstenwache überweisen, unsere "Partner" im "Migration Management", egal ob schwarz oder rot oder gelb oder grün. Die einzige Partei, die die Aufnahme gefordert hat, wurde kannibalisiert. Oder glauben Sie, das war wegen der NATO?

  • die eu mittel, die polen und ungarn ...

    im rahmen von flüchtlingshilfe theoretisch zugestanden hätten, sollten direkt in die fluchtländer investiert werden.

    • @adagiobarber:

      Und wem wollen Sie die Gelder in Somalia, Eritrea oder im Sudan geben?

  • Flüchtlingspolitik proudly presented by European Union.

    • @Jim Hawkins:

      Angeleitet von den Medien durchzieht der anhaltende Rechtsruck immer noch alle Institutionen unserer Gesellschaft. Die Zuständigen für z.B. Migrationspolitik, für Wirtschaftspolitik und für Bildungspolitik stabilisieren dabei dem Neoliberalismus, dem Kolonialismus und den neuen/alten Königen*innen strukturell den Weg.

      Dieser eher dokumentarische Artikel bildet den europäischen Humanismus, für den Deutschland immer wieder in zahlreiche Angriffskriege zieht, sehr gut ab.

      Die Frage bleibt jedoch, weshalb Politiker und Journalisten sich wundern, wenn Menschen z.B. in Frankreich, Polen, Deutschland oder Tschechien ultrarechte Parteien wählen. Schließlich wählen Sie nur die Parteien, die zu den Mainstream Ideologien Europas passen.

      Meritokratische hyperindividualistische Ideologien gepaart mit extremer Chancenungleichheit und dem totalen Verlangen der meisten Institutionen nach Konformität, führen eben zumeist direkt in den Abgrund.

      Europa sollte liberal werden. Chancengleichet und Diversität sollten im Zentrum jeglicher Politik stehen um jedes Innovationsfünkchen in unserer Gesellschaft mitzunehmen. Auf alte Machteliten, die sich insbesondere in den dunklen Ecken der antiliberalen FDP, CDU und AFD tummeln, sollte nicht allzu große Rücksicht genommen werden.

      • @Dr. Iustitia:

        Ehrlich gesagt fürchte, es bedarf gar keines weiteren Rechtsrucks, um das Grenzregime aufrechtzuerhalten.

        Selbst wenn Frau Baerbock Kanzlerin geworden wäre, würde sich an dem Elend in Libyen und an den östlichen Außengrenzen Europas nichts geändert haben.

        Das Geblöke von "2015" dürfe sich nicht wiederholen, ist völlig obsolet.

        Hunderte, wenn nicht tausende Kilometer Stacheldraht, völlig entfesselte Gewalt, wie im Artikel beschrieben, Elendslager, in denen Krankheit und Hunger herrschen und natürlich das Mittelmeer, in dem an manchen Tagen mehr Menschen ertrinken, als an der deutsch-deutschen Grenze in fast 30 Jahren getötet wurden, sorgen dafür, dass kaum noch Menschen, die man dort nicht will, nach Europa kommen.

        Sicher sollte Europa liberal werden. In weiten Teilen ist es das ja noch.

        Für die Flüchtlinge ist das allerdings Jacke wie Hose. Die Menschenrechte enden an den europäischen Außengrenzen für sie.