Italienische Politikerin Giorgia Meloni: Die Postfaschistin
Giorgia Meloni könnte bald Ministerpräsidentin Italiens werden. In einer Videobotschaft wendet sich die Rechtsnationale versöhnlich an die EU.
Sprachen kann sie. Gleich in drei Videos – auf Englisch, Französisch und Spanisch – meldete Giorgia Meloni sich jetzt zu Wort, um ausländischen Ängsten und Befürchtungen vor ihrem allseits erwarteten Sieg bei den italienischen Parlamentswahlen am 25. September entgegenzuwirken.
Schließlich greift da nicht irgendwer nach der Macht, sondern die Chefin der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens), eines nationalistischen, migrantenfeindlichen, homophoben Vereins, der im Parteiwappen immer noch die fiamma tricolore führt, die Flamme in den Farben der italienischen Trikolore, seit 1946 das Symbol der Neofaschisten im Land.
Dennoch kann die polyglotte 45-jährige Römerin sich nur wundern über die Furcht im Ausland. Die internationale Presse, beschwert sie sich zu Beginn ihres Videos, habe tagelang Artikel geliefert, „in denen ich als Gefahr für die Demokratie, für die italienische, die europäische, die internationale Stabilität beschrieben werde“. Und sie übernimmt es gleich auch noch, die Gefahr zu konkretisieren. Ihr Wahlsieg, so die Auslandspresse, wäre ein „Desaster, das zu einer autoritären Wende, zu Italiens Austritt aus dem Euro und zu weiterem Nonsens der gleichen Sorte führen soll“.
Hinter solchem Nonsens können – und hier gibt Meloni die bei der radikalen Rechten weltweit beliebte Opferrolle – nur „die mächtigen Medien der Linken, die in Italien sehr stark sind“, stehen: ein Medienkartell, das nach dieser Lesart die in Rom tätigen, anscheinend nicht besonders hellen Auslandskorrespondent*innen am Nasenring durch die Manege führt.
Nervöse Finanzmärkte
Doch die ehrgeizige FdI-Chefin weiß nur zu gut, dass zu jammern nicht reicht, um Sorgen jenseits der italienischen Grenzen zu zerstreuen. Gewiss, in Italien darf ihre Partei auf etwa 25 Prozent der Stimmen hoffen, kann die Allianz der Rechtsparteien mit 46 Prozent und damit der klaren Mehrheit der Parlamentssitze rechnen, ohne dass deshalb im Land echte Panik ausgebrochen wäre.
Wie aber werden Brüssel, Paris, Berlin oder Washington reagieren, wenn am 26. September Meloni tatsächlich als Regierungschefin in Rom feststehen sollte, wie auch die Finanzmärkte, die eh schon immer nervös nach Italien blicken? Für sie ist es mit Abwinken nicht getan, für sie müssen echte Dementis her. Und Meloni liefert: „Die italienische Rechte hat den Faschismus der Geschichte überantwortet und völlig eindeutig die Unterdrückung der Demokratie sowie die schändlichen antijüdischen Gesetze verurteilt“, erklärt sie kategorisch.
Doch auch zur Gegenwart hat sie einiges zu sagen. Ihre Partei FdI sei „eine Bastion der Freiheit und der Verteidigung der westlichen Werte, die Zugehörigkeit zum westlichen Lager sei „kristallklar“, beginnend beim Ukrainekrieg. FdI habe „Russlands brutale Aggression ohne Wenn und Aber verurteilt“; mehr noch, die Partei habe aus der Opposition heraus die Regierung unter Mario Draghi auf diesem Feld immer ohne Vorbehalt unterstützt.
Auch Europa, so Meloni, hat schlicht gar nichts zu befürchten, angefangen bei der ordnungsgemäßen Verwendung der 190 Milliarden Euro, die gerade im Rahmen des Coronawiederaufbauprogramms nach Italien fließen. Ein „absurdes Narrativ“ sei es, wenn jetzt behauptet werde, eine Rechtsregierung werde die Next-generation-EU in Gefahr bringen.
Kein böses Wort über Mussolini
Alles also muss sich ändern, wenn endlich die Rechte gewinnt, doch alles wird dann so bleiben, wie es ist – dies scheint, ganz auf den Spuren des Romans „Der Leopard“, Melonis beruhigende Botschaft zu sein. Ein paar Leerstellen bleiben dann aber doch. Darf man ihr glauben, ist der Faschismus Vergangenheit. Doch wie immer in den letzten Jahren schafft sie es einfach nicht, auch nur ein böses Wort über den von der Parteibasis weiterhin geliebten Benito Mussolini zu verlieren, kein Wort auch hat sie dafür übrig, dass auf Parteiveranstaltungen sich immer wieder Arme zum Römischen Gruß recken.
Einige konkretere Antworten hätte man sich auch zur EU gewünscht. Noch im Europaparlamentswahlkampf 2019 hatte FdI recht raue Töne angeschlagen, die EU als „von Bürokraten und Technokraten regierte supranationale Entität“, als „Spielplatz Frankreichs und Deutschlands“ verortet und das Vorrecht des nationalen gegenüber dem europäischen Recht gefordert.
Akkurat die gleiche Forderung erheben Orbáns Ungarn und Kaczyńskis Polen. Und wenn Meloni blauäugig erklärt, sie sei Chefin der europäischen Konservativen, vergisst sie hinzuzufügen, dass dort die PiS aus Polen die stärkste Partei ist, dass dort auch die rechtsradikale VOX aus Spanien ihre Heimstatt hat. Von VOX redet sie in ihrer Videobotschaft gar nicht – wohl aber von Trumps US-Republikanern, mit denen FdI „Werte und Erfahrungen“ teile. Fraglich, ob das die Gemüter in Europas Hauptstädten wirklich beruhigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste