Italien und die Geflüchteten: Ertrinken lassen, aber freundlich
Die Italiener sehen sich selbst gern als anständige Leute. Fragt sich nur, warum sie sich ausgerechnet eine rechte Regierung zugelegt haben.
Von ihren jeweiligen Mythen können alle Nationen ein Lied singen. Nur hierzulande ist man vorsichtiger geworden: Dass Deutschland über alles gehe, ist dahingehend abgewandelt worden, dass der deutsche Exportüberschuss über alles gehen müsse.
Die BewohnerInnen Italiens wiederum müssen sich gerade verschärft fragen und fragen lassen, wer und wie sie eigentlich sein wollen – seit ihr Innenminister Matteo Salvini, Chef der rechtspopulistischen Partei Lega, die Häfen der Halbinsel für das Rettungsschiff „Aquarius“ mit 629 Flüchtlingen an Bord gesperrt hat.
Waren sie nicht immer die „Italiani, brava gente“, die netten, die guten Leute? Die den Krieg ihres – offensichtlich vom Himmel gefallenen – faschistischen Führers Benito Mussolini ablehnten, die die Juden vor den deutschen Nazibarbaren beschützt haben, die sich schließlich dank der Partisaninnen und Partisanen selbst von Diktatur und Fremdherrschaft zu befreien vermochten? Und die ja keine Rassisten sein können, weil sie selbst in alle Welt emigriert und oft diskriminiert und verfolgt worden seien?
Die Wirklichkeit ist komplexer. Zur aktuellen politischen Dimension hat Michael Braun bereits alles geschrieben: Die anderen europäischen Regierungen, die sich hinter dem Dublin-Abkommen verschanzen, „sind die Letzten, die jetzt das Recht hätten, im Namen der Menschenrechte Italien zu geißeln“. Dass das Land mit dem Problem alleingelassen werde, sei nationaler Konsens.
Das stimmt. Und doch ist damit nichts darüber gesagt, wie nun konkret umzugehen sei mit den Menschen in Seenot. Gino Strada, der Gründer der Hilfsorganisation Emergency, spricht von „Rassisten und Bullen“, die Italien heute regieren. Gleichzeitig quellen die Kommentarseiten zu den Posts von Salvini und seinem Kollegen Luigi di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung vor hasserfüllter Zustimmung zur Grenzen-dicht-Politik geradezu über. Politisch profitiert Salvini enorm von seiner verächtlichen Kampagne – was um so wichtiger ist, als die neue Regierung voraussichtlich eben ausschließlich im Kampf gegen die Schwächsten Erfolge wird erzielen können.
Sehr zupass kommt den Populisten dabei, dass Italien seine Geschichte von Kolonial- und Kriegsverbrechen nie aufgearbeitet hat. Die mindestens 350.000 Toten in der Folge des faschistischen Überfalls auf Äthiopien 1935 – damals Abessinien – spielen im nationalen Gedächtnis ebenso wenig eine Rolle wie die Massaker bei der Eroberung Libyens 1911, an die ausgerechnet Oberst Gaddafi 2009 bei seinem ersten offiziellen Staatsbesuch in Italien erinnerte, indem er sich das Bild des in Ketten vorgeführten libyschen Nationalhelden Umar al-Muchtar ans Revers seiner Uniform heftete.
Was fehlt? Eine linke Volkspartei
Kein einziger verantwortlicher Militär wurde für die Kriegsverbrechen der italienischen Armee in Jugoslawien, Griechenland und Albanien während des Zweiten Weltkriegs zur Rechenschaft gezogen, ein italienisches Nürnberg hat es nie gegeben: Man sei halt stets „brava gente“ geblieben, die fremden Völkern nicht Giftgas und Internierungslager, sondern Pasta, amore und Zivilisation gebracht hätten – und jetzt reicht es ihnen eben mit der „Invasion“.
Will man diesen italienischen Mythos kritisieren, kann man nicht nur nach rechts gucken. Der untergegangenen Kommunistischen Partei Italiens war es durchaus recht, sich dank der Resistenza sozusagen als Vorkämpfer der nationalen Befreiung darstellen zu können. Wer gestern noch die Faschistenhymne „Giovinezza“ geträllert hatte, kam nach Kriegsende meist ungeschoren davon, wenn er nur zügig zum Partisanengassenhauer „Bella ciao“ überwechselte.
Gleichzeitig ist es aber eben das, was heute in Italien fehlt und was die verstreuten Intellektuellen nicht müde werden zu beklagen: Eine linke Volkspartei, die den Leuten nicht nach dem Mund redet, sondern Migration aktiv politisch, human und sozial gestaltet – im Mittelmeer wie in Brüssel und in Berlin. Aber die – fehlt ja nun nicht nur in Italien.
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