Israels innenpolitische Spaltung: Minister Gantz tritt zurück
Wie Mitte Mai angedroht, verlässt Benny Gantz nun das Kriegskabinett. Und kritisiert Netanjahu deutlich: Er halte Israel von einem „wahren Sieg“ ab.
Eigentlich hatte Gantz den 8. Juni als Endpunkt für sein Ultimatum gesetzt. Seinen Rücktritt wollte er in einem bereits angekündigten Statement am Samstagabend bekannt geben. Doch nachdem in einer als riskant beschriebenen Militäraktion am Samstagvormittag vier Geiseln aus der Hamas-Gefangenschaft in Gaza befreit werden könnten, verschob Gantz seine Ankündigung.
In seiner Rede macht Gantz klar: Netanjahu halte „uns davon ab, einen wahren Sieg zu erreichen“. Und: Schon bevor man sich entschlossen habe, der Regierung nach dem 7. Oktober im Rahmen des Kriegskabinetts beizutreten, hätten er und eine „National Unity“-Partei gewusst, „dass sie eine schlechte Regierung“ sei. Ein „wahrer Sieg“, so Gantz, sei die Rückkehr der Geiseln, ein Ersatz für die Hamas als Regierung in Gaza und eine Allianz gegen den Iran in der Region. Auch zu Neuwahlen rief er auf.
Verteidigungsminister Yoav Gallant sprach Gantz sogar persönlich an, und forderte ihn auf, die Regierung Netanjahu ebenfalls zu verlassen: „Gehorche dem Befehl deines Gewissens“. Gerade in diesen Zeiten seien Führungsstärke und Mut nicht nur, zu sagen was richtig sei – sondern es dann auch zu tun. In der Opposition, so Gantz weiter, wolle er sich nun für „sinnvolle Pläne, unsere Kämpfer, Israels Gesellschaft und jede richtige Entscheidung der Regierung“ stark machen. Gallant ist nach dem Rücktritt von Gantz aus dem Kriegskabinett neben Netanjahu der einzig darin Verbliebene mit Stimmrecht.
Netanjahu wird bezichtigt, den Krieg in die Länge zu ziehen
Netanjahu selbst bat derweil Gantz darum zu bleiben, und schrieb auf dem Sozialen Netzwerk X: Es sei nicht der rechte Zeitpunkt zurückzutreten – sondern sich zu vereinen. Seine Tür bleibe offen. Dass Netanjahu aus persönlichen Gründen – ihm drohen mehrere Gerichtsverfahren sowie potenziell eine Untersuchung des Scheiterns israelischer Sicherheitsmaßnahmen am 7. Oktober – versucht, den Krieg in die Länge zu ziehen, ist eine Auffassung, die viele vor allem linke Israelis derzeit teilen. Auch Vertreter der palästinensischen Autonomiebehörde äußern sich ähnlich.
Der Rücktritt wird nun wohl dazu führen, dass die rechten Kräfte in der Regierung – vor allem der Minister für Innere Sicherheit Itamar Ben Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich – noch stärker an Einfluss gewinnen. Denn die Regierung bleibt – dank ihrer Sitzmehrheit in der Knesset – auch nach dem Rücktritt von Gantz bestehen. Die beiden rechten Hardliner sind überzeugt, dass es nur einen Weg gebe, den Konflikt mit der Hamas in Gaza zu lösen: Mit Waffen.
Einen Geiseldeal lehnt etwa Ben Gvir vollkommen ab – und hatte am vergangenen Mittwoch mit seiner Partei Netanjahu die Kooperation in der Regierungskoalition entzogen. Am Sonntag – auch mit Bezug auf die damals noch bevorstehende Rücktrittsankündigung Gantz' – entschied die Partei, bei Entscheidungen wieder mit der Regierung zu stimmen.
Nach Angaben der Online-Zeitung The Times of Israel wittert Ben Gvir nun selbst seine Chance auf einen Sitz im Kriegskabinett: Gleich am Sonntagabend erklärte er gegenüber Netanjahu, dass ein Ersatz für Gantz ernannt werden solle: Nämlich er selbst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!