Islamfeindlichkeit in Europa: Die Macht des Ressentiments
Die Angst vor einer vermeintlichen Islamisierung Europas treibt Rechtspopulisten die Wähler zu. Rechte Hetzblogs liefern dazu die Ideologie.
V or ein paar Monaten war Dunja Hayali in Erfurt, um das Fürchten zu lernen. Die Moderatorin des ARD-„Morgenmagazins“ wollte sich einen Eindruck verschaffen von den Menschen, die sich dort, einem Aufruf der AfD folgend, jeden Mittwoch vor dem Dom versammelten, um gegen Angela Merkel und die Flüchtlinge zu demonstrieren. Den 25-minütigen Mitschnitt stellte sie Ende Oktober in voller Länge ins Netz. Er ist ein Dokument antimuslimischer Paranoia geworden.
Ein älterer Herr in beiger Allwetterjacke erklärte Dunja Hayali dort, es dürfe „niemals geschehen, dass der Islam zu Deutschland gehört“, weil „das eine aggressive, gefährliche Religion ist, und hier kommen jetzt Millionen von Muslime rein, und deswegen bin ich hier, das ist der Hauptgrund.“ Zugleich betonte der Mann, keineswegs fremdenfeindlich und kein AfD-Anhänger zu sein, er arbeite sogar in einem Flüchtlingsheim. Aber er habe sich mit dem Islam beschäftigt, und zum Beweis führte er Thilo Sarrazin und Alice Schwarzer an. Letztere möge er eigentlich nicht, aber sie habe gesagt, der Islam sei der Faschismus des 21. Jahrhunderts, und da gebe er ihr recht.
Ein anderer Mann teilte die gleiche Überzeugung. „Wenn ihr den Koran kennt, dann wüsstet ihr, dass der Koran ganz schlimm gegen die Christen ist“, warnte er. Die Flüchtlinge sollten „zu Hause bleiben, ihr Land wieder aufbauen“. Und eine ältere Frau redete sich in Rage. „Die Muslime haben hier nichts zu suchen, überhaupt nichts“, wütete sie, und: „Ich bin voller Hass.“ Eine andere Frau mischte sich ein. „Kennen Sie das Buch: „Die Islamisierung Deutschlands"?“ Kaufen Sie sich das mal“, empfahl sie Hayali. Sie hätte als Lehrerin früher Russlanddeutsche unterrichtet und mit niemandem ein Problem, sagte die Frau. „Aber wieso kommen so viele Türken?“, fragte sie.
Schaumkrone einer verbreiteten Stimmung
Es hat sich etwas zusammengebraut in Deutschland, und die Kundgebungen, zu denen Pegida oder die AfD regelmäßig aufrufen, bilden nur die Schaumkrone einer verbreiteten Stimmungslage. Laut Umfragen fühlt sich eine Mehrheit der Deutschen vom Islam bedroht. Und fast jeder Vierte vertritt die Auffassung, die weitere Einwanderung von Muslimen sollte untersagt werden, so der Bertelsmann Religionsmonitor 2015. Im Osten finden solche Aussagen noch größere Zustimmung, besonders Sachsen erreicht hier Spitzenwerte. Gerade dort, wo es an alltäglichen Kontakten zu Muslimen als Korrektiv fehlt, gedeihen die Vorurteile besonders gut.
Natürlich tragen der Terror des IS, die Anschläge von Paris und die Intoleranz von fundamentalistischen Staaten wie Saudi-Arabien dazu bei, vorhandene Ängste zu befördern. Und eine Berichterstattung, die sich ausschließlich auf Schreckensmeldungen konzentriert, verzerrt das Bild zusätzlich.
Denn wo haben die besorgten Bürger von Dresden, Erfurt und anderswo ihr Bild vom Islam denn her? Sicher nicht zuletzt aus den Massenmedien, von denen manche ihren Teil dazu beitragen, die Unterschiede zwischen gewöhnlichen Muslimen und Terroristen zu verwischen und das Misstrauen zu schüren – allen voran der Focus und Cicero, dessen Titelbilder (“Ist der Islam böse“?) manchmal mühelos Stürmer-Niveau erreichen.
Geschlossenes Weltbild aus dem Internet
Rechte Internethetzblogs wie pi-news liefern dazu das geschlossene Weltbild einer radikal antimuslimischen Ideologie, nach der alles Schlechte vom Islam und den Muslimen kommt.
Wer ungestört gegen Minderheiten hetzen möchte, beruft sich einfach auf die Meinungsfreiheit. Und längst hat sich Islam-Bashing zu einer florierenden Industrie entwickelt, in der sich viel Geld verdienen lässt, das zeigt auch der Blick auf den Buchmarkt.
Bücher wie das „Mohamed“-Pamphlet des deutsch-ägyptischen Renegaten Hamed Abdel-Samad, der den Islam per se als „faschistisch“ begreift und der deshalb bei AfD-Veranstaltungen ein gern gesehener Gast ist, finden sich seit Wochen in den Bestsellerlisten. Der Bestseller-Autor Udo Ulfkotte verbreitet die Verschwörungstheorie, wonach hinter der aktuellen Massenflucht ein geheimer Plan Saudi-Arabiens steckt, Europa zu islamisieren.
Ebenfalls sehr gut verkauft sich derzeit das Buch „Scharia in Deutschland – Wenn die Gesetze des Islam Recht brechen“ der zum Rechtskatholizismus konvertierten Publizistin Sabatina James, die auch in evangelikalen Kreisen sehr geschätzt wird und die das Angstszenario einer islamistischen Unterwanderung Deutschlands entwirft. Und antimuslimische Vorurteile bedient auch „Deutschland im Blaulicht“ der Polizistin Tania Kambouri, das fast ausschließlich von Rechtsbrüchen muslimischer Mitbürger handelt - andere Probleme scheint die Polizei in Deutschland offenbar nicht zu haben.
Lohn der Angstpropaganda
Leider zeigt die Angstpropaganda Wirkung: Die Alternative für Deutschland steht in Umfragen stabil bei rund 10 Prozent, sie profitiert von der Flüchtlingsdebatte und dem antimuslimischen Ressentiment.
Als Reaktion rücken die anderen Parteien nach rechts. Die CDU-Politikerin Julia Klöckner hat die Forderung nach einem „Burka“-Verbot aus der Mottenkiste geholt, andere in der Union folgen ihr und drängen auf ein Verbot des Ganzkörperschleiers. Und obwohl das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich das Kopftuchverbot für Lehrerinnen gekippt hat, traut sich die grün-rote Regierung in Baden-Württemberg nicht, es vor der Wahl abzuschaffen, und die Berliner SPD möchte es in der Hauptstadt ausdrücklich beibehalten.
Dabei lehrt der Blick in die Nachbarländer, dass sich die Rechtspopulisten nicht bekämpfen lassen, indem man sie kopiert. Denn 2015 war das Jahr der Rechtspopulisten in Europa, sie haben praktisch bei jeder Wahl zugelegt – ob in Österreich, Dänemark, der Schweiz, Polen oder Frankreich.
Mit dem Slogan „Mehr Wohnungen statt mehr Moscheen“ konnte die FPÖ im Mai 2015 in der Steiermark ihren Stimmenanteil sogar fast verdreifachen – dabei gibt es in dem österreichischen Bundesland nur eine einzige Moschee, in Graz. Und Marine Le Pen malte vor den Regionalwahlen das Bild eines islamisierten Frankreichs an die Wand: „Die Scharia wird unsere Verfassung ersetzen und der radikale Islam unsere Gesetze, die Burka wird für alle Frauen obligatorisch, unsere Denkmäler werden zerstört, die Musik verboten“, tönte die Chefin des Front National am vergangenen Mittwoch im südfranzösischen Nimes.
Längst haben die Rechtspopulisten in Europa auch etablierte Parteien dazu gebracht, ihre Forderungen aufzunehmen. Die Kopftuchverbote für Schülerinnen und weibliche Beamte in Frankreich sind nicht zuletzt dem anhaltenden Druck von rechts zu verdanken, genauso wie das Verbot des Ganzkörperschleiers in Frankreich, Belgien und den Niederlanden. In der Schweiz, wo Rechtspopulisten bereits ein Minarettbauverbot per Referendum durchgesetzt haben, planen sie nun eine Volksabstimmung über ein Verhüllungsverbot.
Anti-Halal-Kampagnen und Moscheebauverbote
In den Niederlanden und Dänemark haben sie ein Schächtverbot durchgesetzt, in Österreich und Frankreich führen sie Kampagnen gegen Halal-Fleisch in Supermärkten oder Schulkantinen an. Und in Österreich hat die Regierung Sondergesetze für Moscheegemeinden erlassen, mit Auflagen, die es sonst für keine andere Religionsgemeinschaft gibt. Und in den österreichischen Bundesländern Kärnten und Vorarlberg sowie in der Lombardei, dem Stammland der Lega Nord, haben sie für ein De-facto-Bauverbot für Moscheen gesorgt.
Vor allem aber fordern Rechtspopulisten von Dänemark bis Frankreich einen kompletten „Einwanderungsstopp“, der auch für Flüchtlinge gelten soll, und die Rückkehr zu nationalen Grenzkontrollen. Unterstützung erhalten sie dabei aus Osteuropa. Ungarn hat sich an die Spitze jener Staaten wie Polen und die Slowakei gestellt, die gar keine Flüchtlinge aufnehmen wollen – vor allem aber keine Muslime. Denn Ungarns Premier Viktor Orbán ist der Meinung, durch deren Einwanderung drohten Zerfall, Überfremdung und Bürgerkrieg.
Das erinnert an dunkle Zeiten der europäischen Geschichte. Denn mit der Abschottung gegen Flüchtlinge und Muslime verrät Europa seine Werte. Von einer Islamisierung ist der Kontinent weit entfernt. Stattdessen erlebt es den Rückfall in die überwunden geglaubte Zeit eines kleingeistigen Nationalismus und der Hetze gegen eine religiöse Minderheit, die als Sündenbock für alles, was schiefläuft, herhalten muss.
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