Iran und die Welt: Märtyrertod oder Demütigung
Die Gefahr eines Krieges gegen Iran ist so groß wie noch nie, das würde im Nahen Osten einen Flächenbrand auslösen. Nun kommt es auch auf die USA an.
![Demonstrierende für iranische Oppositionelle Demonstrierende für iranische Oppositionelle](https://taz.de/picture/7518815/14/376301151-1.jpeg)
D as Attentat auf zwei Richter im Teheraner Justizgebäude vor knapp drei Wochen hat wohl bei den meisten Menschen im Iran ein Gefühl der Genugtuung ausgelöst. Ali Rasini und Mohammed Moghiseh waren für Hinrichtungen, Folter und lange Freiheitsstrafen gegen politische Gefangene mitverantwortlich. Vor allem Rasini war 1988 an den Massenhinrichtungen Tausender Oppositioneller direkt beteiligt. Innenpolitisch hat das Regime seine Basis im Volk längst verloren. Korruption, Misswirtschaft, die Unsummen, die das Land für militärische Aktivitäten im Ausland und für das unsinnige Atomprogramm ausgegeben hat, und nicht zuletzt die harten Sanktionen der UNO, der USA und der EU haben Millionen Menschen in die Armut getrieben. Die Massenproteste, die in immer kürzeren Abständen stattfinden, zuletzt die vorwiegend von Frauen geführten Proteste unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“, zeigen das Ausmaß der Unzufriedenheit in der Bevölkerung.
Außenpolitisch befindet sich Iran in einer äußerst prekären Lage. Die vor Jahren geplante Strategie – Loslösung vom Westen und Hinwendung zum Osten – hat bislang keinen Erfolg gebracht. Iran hatte gehofft, durch Annäherung an Russland und China ökonomische und politische Vorteile zu erzielen und vor allem Rückendeckung für seine nationale Sicherheit zu erhalten. Doch weder China noch Russland würden im Ernstfall dem Regime in Teheran als Schutzschild dienen. Das Verhältnis zu China ist vorwiegend ökonomisch. Iran verkauft Öl an China zu Vorzugspreisen und umgeht damit die Sanktionen. China selbst fügt der iranischen Industrie durch den Export von Billigwaren großen Schaden zu.
Auch Russland hat Iran in der Not nie beigestanden, im Gegenteil: Immer, wenn eigene Interessen es erforderten, war Moskau bereit, zum Nachteil Irans zu handeln. So bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über harte Sanktionen gegen Iran. Die Russen haben zudem immer wieder versucht, das Zustandekommen des Atomvertrags zwischen den UN-Vetomächten, Deutschland und Iran zu torpedieren. Auffallend war, dass Russland nie versucht hat, Angriffe Israels gegen iranische Stützpunkte in Syrien zu verhindern, während Iran mit Drohnen und Raketen Russland im Ukrainekrieg unterstützt.
Die jüngste Vereinbarung zwischen Moskau und Teheran über eine strategische Zusammenarbeit hat mehr Aufsehen erregt, als der Inhalt es erlaubt. Iran braucht dringend ausländische Investitionen, die kann und will Russland kaum leisten. Das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern ist weit geringer als zum Beispiel das zwischen Russland und der Türkei oder den arabischen Ländern. Russland braucht das Abkommen als Trumpf bei möglichen Verhandlungen mit den USA über einen Waffenstillstand in der Ukraine. Iran hofft, das Abkommen könne einen militärischen Angriff Israels beziehungsweise der USA verhindern.
Aktuell ist Iran so schwach wie noch nie. Die „Achse des Widerstands“, die die Islamische Republik im Laufe der vergangenen Jahrzehnte mit Milliarden Ausgaben und zahlreichen Opfern an Menschenleben aufgebaut hatte, wurde innerhalb weniger Wochen stark geschwächt. Syrien ist verloren, Hisbollah, Hamas und andere militante Organisationen in der Region, die von Iran unterstützt wurden, sind kaum noch einsatzfähig. Noch nie in ihrer nun 45-jährigen Geschichte war die Islamische Republik innen- und außenpolitisch derart in Bedrängnis. „Wann, wenn nicht jetzt“, sagte ein israelischer Politiker, sollte der Angriff gegen Iran stattfinden.
Kriegsgefahr so groß wie nie zuvor
Tatsächlich ist die Gefahr eines Krieges gegen Iran so groß wie noch nie zuvor. Medienberichten zufolge bereitet sich Israel schon darauf vor. Entscheidend ist nun, wie sich US-Präsident Donald Trump verhalten wird. Für die USA wäre ein militärischer Angriff gegen Iran mit großen Risiken verbunden. Iran ist zwar in einer schwachen Position, es gibt aber in der gesamten Region zahlreiche Ziele, darunter amerikanische Stützpunkte und Kriegsschiffe, die das Regime angreifen könnte. Auch hätte Iran die Möglichkeit, die Straße von Hormos, durch die rund 25 Prozent des weltweit gehandelten Öls transportiert wird, vorübergehend zu schließen.
Ein Angriff gegen Iran könnte die ganze Region in Aufruhr bringen und einen Flächenbrand auslösen. Fraglich, ob die US-Regierung zu diesem riskanten Spiel bereit wäre. Trump ist zwar unberechenbar, aber er ist eher ein Geschäftsmann als ein General. Während seines Wahlkampfs sagte er einmal, er strebe keinen Regimewechsel in Iran an, er wolle lediglich eine nukleare Bewaffnung Irans verhindern. Das deutet auf diplomatische Verhandlungen hin. Somit wäre es möglich, dass Trump zunächst versuchen wird, durch weitere harte Sanktionen Iran so lange in Bedrängnis zu bringen, bis das Regime zu weitgehenden Zugeständnissen bereit sein würde.
Die kürzlich geführten Gespräche zwischen Teheran und der EU haben zu keinem Ergebnis geführt. Während es bislang zwischen der Iran-Politik der EU und den USA Differenzen gab, scheinen sich die Europäer nun der US-Politik anschließen zu wollen. Die Machthaber in Iran stehen vor einer existenziellen Entscheidung. Sie können entweder ihren Widerstand fortsetzen und damit einen Krieg und das Ende ihrer Herrschaft riskieren. Oder sie müssen, wie Ajatollah Chomeini 1988 beim Waffenstillstand mit Irak sagte, den „Gifttrunk“ einnehmen und zu weitreichenden Zugeständnissen bereit sein.
Über diese Entscheidung tobt gerade in Teheran ein harter Machtkampf. Schon die Äußerung von Präsident Massud Peseschkian, Iran sei zu direkten Verhandlungen mit Washington bereit, löste bei den Hardlinern Entsetzen aus, sie warfen ihm Verrat vor. Doch eine Entscheidung in den nächsten Wochen scheint unumgänglich: den ehrenvollen Märtyrertod riskieren oder den demütigenden Gang nach Washington hinnehmen.
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