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Iran und das Attentat auf Salman RushdieWas bringen noch mehr Sanktionen?

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Iranische Medien feiern das Messerattentat auf den Schriftsteller. Manche fordern noch härtere Maßnahmen gegen Teheran – doch das ist kurzsichtig.

Der Anschlag auf Rushdie ist für die iranische Regierung ein Propagandaerfolg Foto: Morteza Nikoubazl/reuters

W ir wissen nicht, ob Iran den Auftrag für das Attentat auf Salman Rushdie gegeben hat. Oder ob den Täter nur die Fatwa von 1989 angestiftet hat. Aber die Hetze, die iranische Medien anstimmen, macht klar, worum es ging: die versuchte Exekution eines Häretikers.

Iranische Zeitungen verhöhnen das Opfer mit triumphalem Tonfall als „Satan“ und „Feind Gottes“ und feiern den Täter. Mit der Fatwa gegen den Schriftsteller benutzt die iranische Führung ein Herrschaftsmittel, das typisch für Diktaturen ist: Der Hass gegen einen äußeren Feind lenkt von eigenem Versagen, von Korruption und Unfähigkeit ab.

Für die Führung in Teheran ist dieser Anschlag ein Propagandaerfolg zur rechten Zeit. Die wirtschaftliche Lage ist miserabel. Die Inflation ist 2022 extrem (fast 50 Prozent bei Nahrungsmitteln), das Wachstum bescheiden. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, ebenso wie der Braindrain: Gut Ausgebildete verlassen den Iran.

Für das Regime ist die gärende Unzufriedenheit, die sich regelmäßig in Protestbewegungen Luft macht, bedrohlich. In Teheran regieren Hardliner. Die Repression hat in den letzten Jahren zugenommen. Intellektuelle wie Jafar Panahi werden willkürlich eingesperrt. Das Attentat auf Rushdie passt in dieses Bild. Wer stört, wird verfolgt, bedroht, vernichtet.

Westliche Doppelmoral

Muss der Westen jetzt auf dieses Attentat reagieren? Gerade weil es nicht nur einem Schriftsteller galt, sondern Liberalität, Geist, der Freiheit an sich? Dies ist nicht die erste Gewalttat in Sachen „Satanische Verse“. Die Fatwa kostete Rushdies japanischen Übersetzer das Leben, in der Türkei starben 37 Menschen, als Islamisten auf der Jagd nach dem türkischen Übersetzer ein Gebäude abfackelten. Der Impuls, nach dieser Tat nun nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen, ist naheliegend. Der britische Tory-Politiker Rishi Sunak fordert Sanktionen gegen Iran.

Doch es spricht nicht viel dafür, dass noch mehr Sanktionen Gutes bewirken würden. Deutschland hat 2021 Waren im Wert von 1,5 Milliarden Euro nach Iran exportiert. Das ist nicht viel. Nach Serbien exportierte Deutschland dreimal so viel.

Das Sanktionsregime gegen Teheran ist äußerst rigide. Iran ist schon lange vom internationalen Zahlungsverkehr Swift und dem Import von Hightechprodukten abgekoppelt. Zudem betreibt der Westen eine doppelgesichtige Sanktionspolitik. Scharf gegen den Iran, weich gegen das repressive Saudi-Arabien, das als Verbündeter gilt, dessen Öl man braucht.

Der Ruf nach noch mehr Sanktionen ist verständlich, aber kurzsichtig. Nicht zu vergessen: Die ultrakonservativen Hardliner sind in Teheran auch mithilfe von Trump an die Macht gekommen. Der entfachte ein Feuerwerk von Drohungen, Provokationen und immer neuen Sanktionen gegen den Iran. Genutzt hat das nichts, im Gegenteil.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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25 Kommentare

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    Die Moderation

  • Noch mehr Sanktionen helfen gar nichts.

    Haben in der Vergangenheit auch nichts gebracht.

    Den Mullahs gehtes blendend, das Volk hungert.

    Doch hungern würde das Volk anyway, seit Jahrzehnten. Das Regime hat sich den größten Teil der iranischen Wirtschaft unter den Nagel gerissen und füttert damit die Revolutionären Garden, ein riesiges Raketenarsenal Terrorgruppen gegen Israel etc.

    Die Rakteten reichen längst bis Zentraeuropa.

    "Die Mullah AG"

    www.handelsblatt.c...-nie/23970116.html

  • Islamismus ist keinem Land zugeordnet. Es nützt deshalb auch nicht Länder zu bombardieren or whatever. Vor allen wird man da nichts gegen Islamisten in NY mit ausrichten können.

  • "Feuerwerk von Drohungen, Provokationen und immer neuen Sanktionen gegen den Iran. Genutzt hat das nichts, im Gegenteil."



    Bekanntlich verlaufen Sanktionen meistens so. Und es bilden sich neue Allianzen. Über kurz oder lang wird sich ein neuartiger Machtblock etabliert haben.

  • Mir würden durchaus noch neh Menge anderer Leute einfallen, die man in dieser Causa sanktionieren könnte, z.B. Jawad Nasrallah, der Sohn von Hassan Nasrallah, der schiitischen Miliz Hezbollah im Libanon.

    Der führt aktuell auf Twitter eine Kampagne gegen die libanesische Journalistin Dima Sadek, inclusive Mord- und Vergewaltigungsaufrufen, weil die sich kritisch zum Attentat auf Rushdie geäußert hat.

    Screenshots davon hat Sadek davon gestern gepostet.

    nitter.it/DimaSade...8526738522677249#m

    Da auf Arabisch, hier ein Artikel dazu auf Englisch.

    today.lorientlejou...ushdie-attack.html

    Aber dieser ganze Artikel hier strotzt vor so einer typisch deutschen Appeasement Haltung, naja, das muss man ja alles abwägen, dann zerredet man das Thema und macht am Ende einfach gar nichts, das ist auch beim Thema Ukraine/Russland oft so.

    Und das ist eine sehr bequeme Haltung, denn man selbst kommt praktisch nie in die Nähe von Gefahr und kann das Geschenen entspannt vom Spielfeldrand kommentieren. Im Gegensatz zu Leuten wie Sadek oder Rushdie, die wirklich durch ihre Aussagen in Gefahr geraten. Sanktionen gegen den Iran lösen natürlich das Problem nicht durch Zauberhand, das ist auch nicht deren Sinn, aber es zeigt, das man ein bestimmtes Verhalten schlicht nicht toleriert. Wäre z.B. auch mal eine Idee gewesen, als die Russen mit Nervengift oder Polonium im UK unterwegs waren...

    • @Sven Günther:

      Ergänzen muss man das alles noch mit der Tatsache, dass der Iran nicht mehr weit davon entfernt ist, im Besitz von waffenfähigem Uran zu sein.

      Der Westen lässt es geschehen und im Zweifelsfall muss es Israel wieder richten.

      www-rnd-de.cdn.amp...7L6UVD5A6JGXQ.html

      • @Jim Hawkins:

        Israel muss sich immer selbst um seine Probleme kümmern, das ist für die nichts Neues, wer sich auf Andere verlässt, ist verlassen.

        Freunde hatten mir zu Yom Hashoah, das ist der Gedenktag an die Shoa in Israel, dieses Video geschickt, das fasst die Einstellung vieler Israelis ganz gut zusammen.

        youtu.be/lDcopmNc3xs

        • @Sven Günther:

          Sehr eindringlich, danke.

        • @Sven Günther:

          Die Wurzeln für die Verdrängung und Vertreibung der ursprünglichen Bevölkerung durch illegale Siedlungen im besetzten Westjordanland wo mittlerweile 8% der israelischen Bevölkerung wohnt, haben viel ältere, nationalistische Gründe.

          Nationalisten in Israel generieren die Probleme die sich für Israel dadurch ergeben auch selber. Nationalismus hat nie Verteidigung zum Ziel. Nationalismus ist aggressiv expansiv.

          Zudem steht Israel nicht alleine da in der Welt und muss sich nicht "immer selbst um seine Probleme kümmern". Achdas ist so ein nationalistisches Weltbild aus dem ewigen Schützengraben.. Es gibt viele befreundete Saaten und Bündnisse. www.bpb.de/shop/ze...ziehungen-israels/

          • @Rudolf Fissner:

            Der Kommentar wurde entfernt. Unsere Netiquette können Sie hier nachlesen: taz.de/netiquette

            Die Moderation

          • @Rudolf Fissner:

            Außer im Suezkrieg 1956 kämpfen nie Soldaten anderer Nationen für Israel. Und wenn ich in die Ukraine, nach Georgien oder Armenien schaue, ist sich nur auf sich selbst zu verlassen keine dumme Idee, denn z.B. Teile der Linken in Europa, das ist kein exclusives deutsches Problem, verkaufen dich für ein Linsengericht.

            Sind die illegalen Siedlungen in Judäa und Samaria wie Ariel eine dumme Idee, auf jeden Fall. Sind sie der Grund für das Scheitern der Friedensgespräche, nein.

  • Nachdem die deutsch-iranischen Beziehungen über viele Jahrzehnte sehr gut waren, hatten sich die Iraner bei der einseitigen Aufkündigung des Nuklear-Vertrags durch die USA und die anschließend ungerechtfertigen harten Sanktionen durch die wortbrüchigen USA sicherlich mehr Unterstützung durch die Europäer erwarten können.



    Die Europäer haben jedoch, wie immer, feige den Schwanz eingezogen und in Kauf genommen, das die pro-westliche Regierung abgewählt und durch eine sehr Konservative ersetzt wurde.

    Das war alles zum Fremdschämen.

    Jetzt hat der Iran offenbar in Russland einen neuen Bündnispartner gefunden – nicht zuletzt wir haben die Iraner dorthin getrieben.

    Wir sind raus. Dank Schwarz-Rot und Ampel.



    Wie lächerlich wirkt jetzt diese moralische Diskussion?



    Wo wir selbst mal wieder so wenig Moral gezeigt haben?

  • „Iranische Zeitungen verhöhnen das Opfer mit triumphalem Tonfall als „Satan“ und „Feind Gottes“ und feiern den Täter“



    Kennen wir schon. Typischer Täter-Opfer-Tausch. Den Mullahs müssten eigentlich leise Zweifel kommen, ob die gegen Rushdie verhängte Fatwa wirklich gottgefällig ist. In diesem Falle hätte vermutlich Gott die Hand des Attentäters geführt und Rushdies Leben wäre verwirkt gewesen. Das geschah nicht. Stattdessen bekommt der Attentäter voraussichtlich Jahre (oder Jahrzehnte?) Bedenkzeit in US-Haft. Die Lobeshymnen aus Teheran werden ihm nichts nützen.



    Ich hätte erwartet, dass die Mullahs eine halbwegs glaubhafte Begründung suchen, weshalb es diesmal (noch) nicht geklappt hat, wohingegen Rushdie auf dem Weg der Gesundung ist. Denn es müsste ihnen, den Geistlichen, doch um den eigenen Machterhalt gehen. Wo kämen sie und der „Gottesstaat“ Iran hin, wenn das Volk an der Gottgefälligkeit ihrer Anordnungen zweifelt?

  • Dann ist das so, wie man einen Gangster, der wieder ein Verbrechen begangen hat, nicht vor Gericht stellt, weil das ja ohnehin nichts bringt.

    Die Fatwa ist von 1989, das stimmt, das Kopfgeld wurde allerdings 2016 auf vier Millionen Dollar erhöht.

    www.tagesspiegel.d...hdie/13011998.html

    Die Fatwa befindet sich noch auf der Homepage von Khamenei und ist in Kraft:

    english.khamenei.i...ie-s-apostasy-from

  • In der Tat bringen Sanktionen nichts, jedenfalls nicht Gutes. Die Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen vertritt nicht ohne Grund die Ansicht, dass Sanktionen schweres Leid für Personen verursachen können, die weder Straftaten begangen noch anderweitig Verantwortung für unangemessenes Verhalten übernommen haben" : www.ohchr.org/en/p...e-severe-and-undue Die Heuchelei des Westens, die im Artikel korrekt angesprochen wird, zeigt sich auch im Umgang mit Saudi-Arabien, um ein Beispiel zu nennen, welches nicht nur nicht sanktioniert, sondern geradezu belohnt wird. Diejenigen, die für Sanktionen plädieren, sollten berücksichtigen, dass laut wissenschaftlicher Literatur diese zum Verlust viele Menschenleben und zur Beeinträchtigung erheblicher Teile der Bevölkerung führen können.

  • Höre ich "Religion", denke ich zuerst an Glaubenskriege und Kindsmißbrauch.



    Das mag der Religion gegenüber vielleicht ungerecht sein so zu denken, aber vielleicht sollte manche "Religion" auch mal darüber nachdenken, warum das so ist.



    Ich bleibe dem Islam und dem christliche Glauben gerne sehr, sehr fern.

    • RS
      Ria Sauter
      @Rudi Hamm:

      Da bin ich auch dabei!



      Wäre noch zu ergänzen um Kindestötungen in Nonnenklostern in Irland und Frauenverbrennung im Mittelslter. Frauenausschluss auch heute noch im Priestertum etc.etc.

  • Ist denn die Täterin schon bekannt?

  • "Die ultrakonservativen Hardliner sind in Teheran auch mithilfe von Trump an die Macht gekommen. Der entfachte ein Feuerwerk von Drohungen, Provokationen und immer neuen Sanktionen gegen den Iran. Genutzt hat das nichts, im Gegenteil." Das ist falsch, es gibt im Iran keine freien Wahlen, die Hardliner sind einfach immer mächtiger geworden.

    • @Machiavelli:

      Sie vergessen die Grundthese, das Trump an ALLEM schuld ist.

      Notfalls werden die Wahlen im Iran da auch mal als frei einsortiert.

  • "ist dieser Anschlag ein Propagandaerfolg zur rechten Zeit"



    Ich habe eher den Eindruck, dass die iranische Führung auf dem falschen Fuß erwischt wurde; für einen wirklichen Propaganda-Erfolg ist das Thema jenseits extremistischer Kreise einfach nicht mehr aktuell genug, selbst konservativere Iraner (bzw. die "Straße" in anderen islamischen Ländern) dürften anders im Kopf haben als einen Jahrzehnte alten Roman. Gleichzeitig erschwert das Attentat, wie im Artikel oben erwähnt, die Verhandlungen mit dem Westen, an desen Erfolg Teheran ja durchaus Interesse hat. Es ist bezeichnend, dass zwar einige konservative Zeitungen im Iran triumphiert haben, das klerikale und politische Establishment aber auffällig schweigt.

    • @O.F.:

      "Es ist bezeichnend, dass zwar einige konservative Zeitungen im Iran triumphiert haben, das klerikale und politische Establishment aber auffällig schweigt."

      Das macht sich einen schlanken Fuß und erklärt, dass Rushdie selbst an dem Attentat schuld ist:

      "Die Regierung in Teheran hat sich zum ersten mal nach dem Angriff auf den Autor geäußert. „Es gibt keine Verbindung zwischen dem Iran und dem Täter“, sagte Außenamtssprecher Nasser Kanaani am Montag, wie die iranische Nachrichtenagentur Isna berichtete. Rushdie habe mit seinem Werk nicht nur den Iran, sondern Muslime weltweit beleidigt, sagte Kanaani „Rushdie selbst ist für den Anschlag verantwortlich.“

      www.berliner-zeitu...wortlich-li.256630

      Und nur zu meinem Verständnis, welches sind denn die linken oder liberalen Zeitungen im Iran?

  • "Wir wissen nicht, ob Iran den Auftrag für das Attentat auf Salman Rushdie gegeben hat."



    Doch: Wissen wir! 1989 durch die Fatwa.

    " Zudem betreibt der Westen eine doppelgesichtige Sanktionspolitik. Scharf gegen den Iran, weich gegen das repressive Saudi-Arabien, das als Verbündeter gilt, dessen Öl man braucht."

    Daran ist nichts doppelgesichtiges! Moral ist ja nicht die einzige Leitlinie einer Politik. Wie der Autor selber schreibt: Saudi-Arabien ist unser Verbündeter, dessen Öl wir bauchen.