Interview mit feministischer Autorin: „Moralischer Druck auf Schwangere“

Pro Femina eröffnet eine Beratungsstelle für ungewollt Schwangere in Berlin. Dort werden Frauen nicht ergebnisoffen beraten, sagt Kirsten Achtelik.

Demonstrantinnen mit Plakaten. Auf einem steht „My body, my choice“

Kampf für Selbstbestimmung: „My body, my choice“ Foto: Alexander Pohl/imago

taz: Frau Achtelik, am Donnerstag soll eine Beratungsstelle für ungewollt Schwangere auf dem Kurfürstendamm in Berlin eröffnen. Sie unterstützen den Aufruf zur Gegenkundgebung. Warum?

Kirsten Achtelik: Die „Beratungsstelle“, die dort eröffnet wird, ist von Pro Femina, dieser Verein gehört zum Spektrum sogenannter Lebensschutzorganisationen. Hier werden ungewollt Schwangere also nicht ergebnisoffen, sondern mit dem Ziel beraten, dass sie das Kind bekommen. Anders als offizielle Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen stellt Pro Femina auch keine Beratungsscheine aus, die für Schwangerschaftsabbrüche hierzulande nötig sind.

Auf der Website geht es um ein Angebot für „Frauen im Schwangerschaftskonflikt“. Woher wissen Sie, dass Pro Femina nicht ergebnisoffen berät?

Zum einen wird nicht offengelegt, dass keine Beratungsscheine ausgestellt werden. Das ist ein großes Problem, weil Frauen damit rechnen können, sie wären bei einer offiziellen Stelle gelandet. Reporterinnen von Buzzfeed haben sich außerdem in den bereits existierenden Beratungsstellen von Pro Femina in München und Heidelberg undercover angeschaut, wie tatsächlich beraten wird. Das ist erschreckend. Dort wird moralischer Druck auf Schwangere aufgebaut, außerdem wird versucht, sie hinzuhalten, bis die Frist verstrichen ist, innerhalb der sie abtreiben können. Die Frau ist für diese Abtreibungsgegner*innen bei aller angeblichen Zuwendung eher das Instrument, um den Fötus zu retten.

Auf der Website ist aber gar nicht erkennbar, dass die Seite zur Lebensschutzbewegung gehört.

Die Website ist sehr gut gemacht, scheinbar ganz nah bei der Schwangeren. Aber das macht sie nur gefährlicher. Schon der Name „Pro Femina“ klingt zum Verwechseln ähnlich mit „Pro Familia“, dem großen Feindbild der sogenannten Lebensschutzbewegung, die tatsächlich ergebnisoffen beraten und Scheine ausstellen. Die Webseite von Pro Femina ist zudem suchmaschinenoptimiert, wie Tina Reis, eine Expertin für dieses Thema, auf Netzpolitik für eine ganze Reihe solcher Seiten dargelegt hat. Wer nach Abtreibung googelt, landet also schnell oder sogar zuerst bei denen.

Dann wird eine ganz zugewandte Sprache verwendet, scheinbar offene Fragen wie „Abtreiben – ja oder nein“ werden gestellt. Erst auf den zweiten Blick wird klar, dass das Tricks sind und Menschen bewusst in die Irre geführt werden. So gibt es zum Beispiel einen länglichen Eintrag zu „Folgen und Gefahren“ von Abtreibung, der allerlei Horrorszenarien auflistet, aber ohne sie einzuordnen. Die Wahrscheinlichkeit für gesundheitliche Komplikationen bei Ausschabungen etwa ist gering. Die Beratung von Pro Femina bedeutet ganz konkret, dass schwangere Personen, die nicht schwanger sein wollen, Psychoterror ausgeliefert sein und teilweise die gesetzlich vorgeschriebenen Fristen verpassen werden.

Wer steht hinter dem Angebot?

Auf der Website selbst ist das nicht erkennbar, aber Pro Femina ist die Beratungsstruktur von 1000plus. Diese Kampagne hat wiederum eine eigene Website, auf der Pro Femina als ihr Verein aufgeführt wird. 1000plus ist im Spektrum „Lebensrecht“ eindeutig positioniert. Sie bekommen zum Beispiel Gelder von der Stiftung „Ja zum Leben“, diese ist wiederum Teil des Bundesverbands Lebensrecht. Das ist der größte Zusammenschluss deutscher Lebensschutzgruppen, der auch den „Marsch für das Leben“ in Berlin veranstaltet. Als Projektleiter von 1000plus sowie Vorstandsvorsitzender und Leiter von Pro Femina tritt Kristijan Aufiero auf, der international gut vernetzt ist.

Er hat unter anderem beim zweiten „One of Us“-Kongress in Budapest 2017, auf dem sich über 600 Vertreter*innen europäischer Antiabtreibungsorganisationen versammelt hatten, eine Rede gehalten. „One of Us“ ist ein europaweites Netzwerk, das 2013 eine sehr erfolgreiche EU-Bürgerinitiative zum Verbot zur Finanzierung von Abtreibungen und embryonaler Stammzellforschung durchführte. Aufiero hat auch am fundamentalistisch-christlichen World Congress of Families teilgenommen, dem größten globalen Treffen von sogenannten LebensschützerInnen, die bis in den Vatikan und sehr gut innerhalb der US-amerikanischen und europäischen extremen Rechten vernetzt sind.

Das Angebot ist kostenfrei für schwangere Personen. Woher kommt das Geld?

Laut eigener Auskunft sind das Spenden, und der Verein ist offenbar ziemlich gut darin, Spenden zu generieren. 2017 hat er laut Rechenschaftsbericht fast 3,5 Millionen Euro aus Spenden, Erbschaften und Nachlässen eingesammelt – jede Menge Geld, um Menschen davon abzuhalten, ihre reproduktiven Rechte in Anspruch zu nehmen. Woher das Geld konkret kommt, wird nicht offengelegt, aber in der Vergangenheit haben sie zum Beispiel Spendenkampagnen in Kirchen gemacht. Manche progressiven Kirchengemeinden haben dem in der Zwischenzeit schon einen Riegel vorgeschoben. Außerdem sind sie zum Beispiel 2012 vom christlichen Babynahrungshersteller Hipp unterstützt worden.

Das Bündnis „Marsch für das Leben – What the fuck“ und das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung rufen zur Kundgebung gegen die Eröffnung der Beratungsstelle Pro Femina am Kurfürstendamm 69 auf. Sie fordern die ergebnisoffene Beratung von Schwangeren in Krisensituationen, den freien Zugang zu Informationen über Abtreibungen und die Schließung der Beratungsstelle. Donnerstag, 1. August, 16-18 Uhr, U-Bahnhof Adenauerplatz.

Warum geht Pro Femina jetzt nach Berlin?

Berlin ist als ziemlich atheistische Stadt ein eher schwieriges Pflaster für die teilweise fundamentalistisch-christliche Lebensschutzbewegung. Wenn ich ein bisschen spekulieren soll, würde ich sagen, es ist eine Mischung aus Missionars- und Märtyrertum: Fundamentalistische Christ*innen fühlen sich umso besser, je schwerer ihre Aufgabe ist.

41, ist Sozialwissenschaftlerin und Autorin. Sie arbeitet zu feministischen Theorien und Bewegungen und der sogenannten Lebensschutzbewegung. Im März 2018 ist ihr Buch „Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der ‚Lebensschutz‘-Bewegung“ im Verbrecher Verlag erschienen, das sie zusammen mit Eike Sanders und Ulli Jentsch geschrieben hat.

Fakt ist: Jetzt hat Pro Femina eine Beratungsstelle in der Hauptstadt. Dabei gilt die Stelle weniger der politischen Einflussnahme als der konkreten Beeinflussung ungewollt Schwangerer: Damit können sie diese noch besser erreichen. Für die Stelle in Berlin hat 1000plus eine massive Kampagne in ihren Netzwerken gefahren. Die Argumentation, dass aus Berlin die meisten Suchanfragen kämen, weil hier angeblich ein so großer Druck auf „Schwangeren in Not“ laste wie „nirgends sonst in Deutschland“, war offensichtlich überzeugend.

ÄrztInnen dürfen auf ihren Webseiten nicht darüber informieren, mit welchen Methoden sie Schwangerschaftsabbrüche machen. Kann sich demgegenüber einfach jeder „Beratungsstelle“ nennen?

Die Beratungstellen, die Scheine ausstellen, brauchen eine Genehmigung. Als Pro Femina Anfang Juni verkündete, dass sie Räume für iher „Beratungsstelle“ in Berlin gefunden haben, habe ich bei der Senatsverwaltung für Gesundheit und Gleichstellung nachgefragt, ob sie eine Handhabe sehen, da einzugreifen. Die Staatssekretärin für Pflege und Gleichstellung, Barbara König (SPD), hatte bereits im April, als das antifaschistische Pressearchiv- und Bildungszentrum apabiz bekannt machte, dass Pro Femina diese Beratungsstelle eröffnen will, getwittert, dass sie da „kritisch draufschauen“ werde.

Auf meine Nachfragen hat sie inzwischen geantwortet, dass es bei privatrechtlichen Vereinen, die keine staatliche Unterstützung und Anerkennung beantragten, wenig Handhabe gäbe. Der Senat habe das „Thema politisch auf dem Schirm“ und werde das auch in die Bund-Länder-AG einbringen. Davon abgesehen tut die queere, feministische und linke Bewegung der Stadt gut daran, sich dem Versuch dieses Vereins entgegenzustellen, hier Fuß zu fassen. Das soll am Donnerstag passieren.

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