piwik no script img

Internettrend RagebaitReichweite geht durch den Magen

Content Crea­to­r*in­nen auf Instagram und Tiktok kochen eklige Rezepte und setzen sich dem Hass ihrer Community aus – und das ist genau so gewollt.

Sorgt für Ekel und Aufregung im Netz: Ein Mett-Berliner Foto: Uwe Müller/imago

Im Sinne unseres ­Bildungsauftrags als Medium hier ein Rezept für ein gesundes Frühstück: Nehmen Sie 500 Gramm Hackfleisch und braten Sie es ohne Öl in der Pfanne an. Dann fügen Sie 50 Gramm klein geschnittene Datteln und drei Bananen hinzu. Alles zusammen für zehn Minuten anbraten – und fertig ist das perfekte Frühstück.

Wie fühlen Sie sich? Angewidert? Empört? Damit sind Sie nicht allein. Auch die Kom­men­ta­to­r*in­nen des Instagram-Reels, aus dem dieses Rezept stammt, waren wütend. „Leute, die nicht kochen können, sollten es auch nicht tun“, schrieb eine Userin. Andere griffen ganz einfach zu Kotzsmileys.

Doch diese Kommentare werden den Content Creator nicht zum Umdenken bringen. Der Shitstorm war nämlich von Anfang an einkalkuliert. Die Use­r*in­nen sind auf einen Rage­bait hereingefallen.

In der Liebe und in den sozialen Netzwerken ist alles erlaubt. Im Kampf um Reichweite, Klicks, Likes – und damit auch Macht – hat sich ein besonders provokantes Mittel etabliert: Rage­bait, zusammengesetzt aus rage (Wut) und bait (Köder). Gemeint sind Inhalte, die gezielt Empörung auslösen sollen. Sei es mit absurden Tagesabläufen, fragwürdigen Elterntipps, die an Kindesmisshandlung grenzen, misogynen Takes zu Dates – oder eben mit widerlichen Kochrezepten.

Eier in der Toilette, rohes Hack aus dem Toaster

Eine Content Creatorin beispielsweise (wir nennen den Namen nicht, um ihr nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen) hat ihren Account darauf ausgerichtet, mit ekligen Rezepten die Gemüter zu erhitzen. Wenn sie Eier in der Toilette färbt, rohes Hackfleisch aus dem Toaster kratzt oder mehrere Tief­kühl­lasagnen zusammenschüttet und mit Käse überbackt, wird das millionenfach geklickt.

Sie hat mit Essensverschwendung – und der Empörung darüber – Karriere gemacht. Und sie ist nicht die Einzige. Gerade im Essensbereich lässt sich mit wenig Aufwand viel Aufsehen erregen: mal die Eierschale im Teig lassen, mal einen Liter Öl ins Nudelwasser kippen, mal Hühnchen mit Spülmittel waschen – und wie auf Knopfdruck Hunderte empörte Kommentare.

Empörung verbreitet sich besonders schnell, und die Algorithmen gießen Öl ins Feuer, wie Christian Montag erklärt. Er ist Professor für Cognitive and Brain Sciences an der University of Macau und beschäftigt sich mit den psychologischen Auswirkungen von Social Media.

„Plattformalgorithmen sind zentrale Verstärker für Ragebait. Sie bevorzugen Inhalte, die hohe Interak­tio­nen erzeugen – ganz gleich, ob positiv oder negativ. Polarisierende Posts verlängern die Verweildauer und regen Diskussionen an, was für die Plattformen profitabel ist. Solange Werbeeinnahmen nicht gefährdet sind, haben sie wenig Anreiz, solche Inhalte zu dämpfen.“

Ein Gefühl von Überlegenheit

Hinter dem Erfolg solcher Essens­posts steckt aber nicht nur ­Empörung, sondern auch die Lust der User*in­nen, sich überlegen zu fühlen. Die Videos landen häufig auf sogenann­ten Reaction­kanälen, also ­Accounts, die mit eigenen Kommentaren auf solche Clips antworten. Das geschieht oft ganz nach dem Motto: Guckt euch diese Trottel mal an. Die Reaktionen gehen wiederum viral und verbreiten den ursprünglichen Ragebait weiter.

Das Ergebnis ist ein Schneeballeffekt. Immer absurdere Rezepte, immer mehr Reactionvideos – und Plattformen wie Instagram oder Tiktok versinken in einem Strudel aus Rage und Kotzsmileys. Diese Dauerempörung hinterlässt Spuren – selbst bei denen, die gar nicht kommentieren. Eine Studie der Yale University aus dem Jahr 2021 zeigt: Nutzer*innen, die für empörte Kommentare viel Zustimmung erhalten, neigen dazu, immer häufiger im selben wütenden Ton zu kommentieren. Auch stille Mit­le­se­r*in­nen übernehmen langfristig die Sprache und Stimmung ihres Feeds.

Empörung wird zur akzeptierten Norm. Das hat dann wiederum Auswirkungen auf gesellschaftliche und politische Debatten – und das alles wegen eines Nudelsalats im Waschbecken. Da weder Plattformen noch Politik etwas dagegen tun, bleibt für ­Use­r*in­nen nur eins: Don’t feed the troll. Denn: Stell dir vor, jemand macht Toiletteneier – und keiner kommentiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Hmmm…vielleicht ist mit sowas ja mit westlicher Dekadenz gemeint? Offenbar gibt es eine Menge Leute mit viel zu viel Zeit und einer tiefen Sinnkrise.

    • @Bambus05:

      Ja, da haben Sie sicher einen Punkt - aber in meinen Augen nicht den zentralen. Schauen Sie einfach was man mit dieser Idiotie "verdienen" kann, Ihnen werden die Augen über gehen. Es ist einfach ein Zeichen auseinanderfallender Kultur, wenn man mit soch' mutwilligem Schwachsinn, das x-fache dessen verdienen kann, was in einem sinnvollen Beruf verdienen kann. Kapitalismus im Endspiel...