Interne Chats der Hamburger Linken: Sprecher mit gewaltigen Fantasien
Bei der Hamburger Linken liegen die Nerven blank. In einem Chat werden wegen eines umstrittenen Mitglieds Gedanken über Gewaltanwendung ausgetauscht.
In der Telegram-Gruppe diskutierten Mitglieder über Bijan Tavassoli. Tavassoli sorgt wegen seiner Äußerungen und Aktionen bei der Mehrheit der Hamburger Linken mittlerweile für Wut.
Und die ist offenbar so groß, dass etwa Dorschel in der Gruppe über den künftigen Umgang mit Tavassoli vorschlagend schrieb: „Beton-Fuß und zu den Landungsbrücken?“ Ans Ende des Beitrags setzte er noch einen Smiley.
Zuvor hatte es im Chatverlauf bereits zwei weitere Beiträge eines Linkenmitglieds gegeben, die in dieselbe Richtung stoßen: So gehörten Leute wie Tavassoli nicht nur aus der Partei ausgeschlossen, vielmehr hätten sie „für die Gewalt, die sie andern antun […] aufs Maul verdient“. Derselbe Verfasser schrieb anschließend, dass er zwar kein Freund körperlicher Gewalt sei – „ Aber es gibt Menschen, die auf Worte nicht mehr hören“.
Immer wieder Tavassoli
Geschrieben hat diese beiden Beiträge Marco Hosemann. Er war zeitweilig im Landesvorstand, ist Mitglied der Bezirksversammlung Hamburg-Nord und in vielen außerparlamentarischen Gruppen aktiv. Er bestätigt der taz, dass er die Beiträge verfasst hat. Zugleich betont er, die Aussagen zu bedauern.
Öffentlich hätte er sich so nie geäußert und er habe die Beiträge auch nicht als Gewaltaufruf gemeint: „Ich habe nur zum Ausdruck bringen wollen, dass ich kein Mitleid mit ihm hätte, sollte er Gewalt erfahren.“ Schließlich füge Tavassoli mit seinem Handeln trans* Personen Leid zu und schüre Hass und Ängste ihnen gegenüber. Das habe bei Hosemann für Wut gesorgt.
Tavassoli war früher Sprecher der Hamburger Linksjugend Solid, fällt seit einigen Jahren mit immer kruderen Positionen und Auftritten auf: Vergangenes Jahr etwa freute er sich in den sozialen Medien, dass die „US-Imperialisten“ in Afghanistan eine Niederlage erlitten haben.
Mehr noch: Die Taliban könnten die „Kollaborateure“, also jene Afghanen, die für fremde Armeen gearbeitet haben, nach Tavassolis Ansicht hinrichten. Das sei grundsätzlich okay, denn es handele sich dabei schließlich um „Landesverrat“.
Eklat beim Parteitag
Zum Eklat kam es auch auf dem Parteitag der Hamburger Linken Anfang September: Tavassoli ließ mitteilen, er habe kürzlich das Geschlecht gewechselt und kandidiere nun für den weiblichen Spitzenposten.
Stellvertretend für ihn las dann eine mit Maske und Kapuze vermummte Person eine wirre Erklärung Tavassolis vor, in der auch Linke-Mitglieder mit persönlichen Beleidigungen überzogen wurden.
Dass die Erklärung gar nicht von Tavassoli stammt, wie er – beziehungsweise sie – später mitteilte, ist zweifelhaft. Auch am vergangenen Freitag versuchte Tavassoli die Hamburger Linke zu trollen: Bei der Flinta*-Demo zum Tag gegen Gewalt an Frauen konfrontierte Tavassoli mit laufender Kamera Demo-Teilnehmer:innen der Linkspartei und versuchte sie bloßzustellen. Auch andere Aktionen sorgten in Linkenkreisen zuletzt für Entsetzen.
Wegen der Taliban-Aussagen war Tavassoli bereits aus der Hamburger Linkspartei ausgeschlossen worden, auf Bundesebene legte er beziehungsweise sie jedoch erfolgreich Widerspruch ein. Ein zweites Ausschlussverfahren wegen des Eklats auf dem vergangenen Parteitag läuft dagegen derzeit noch.
War es nur ein Scherz?
Ralf Dorschel erklärt, er habe mit seinem Beitrag auf die intern diskutierte Frage geantwortet, „wie sich mit so einer Situation angemessen umgehen ließe“. Ernst habe er seine Aussage keinesfalls gemeint. „Es ist offensichtlich, dass es sich um einen Scherz handelt. Dies bewusst misszuverstehen und mir Gewaltfantasien zu unterstellen, ist absurd“, teilt Dorschel mit.
Dorschel ist seit September 2020 Pressesprecher der Bürgerschaftsfraktion. Zuvor arbeitete er als Journalist und war lange Zeit Redakteur bei der Hamburger Morgenpost.
Kritik an den Chatbeiträgen kommt von der linken Hamburger Bundestagsabgeordneten Żaklin Nastić. Sie hält die Aussagen für Gewaltfantasien oder als Aufruf zur Gewalt und kritisiert die Bürgerschaftsfraktion und die Landesverbandsspitze dafür scharf. Tatsächlich ist ein beträchtlicher Teil der Fraktion und des Vorstands Mitglied der Chatgruppe – und sah sich bislang offenbar nicht zum Widerspruch genötigt.
Dass Nastić zügig und öffentlich Kritik an Fraktion und Landesverband formuliert, überrascht kaum: Nastić und ihr Lager sind nach dem jüngsten Parteitag an den Rand der Partei gedrängt worden. Nastić gilt in der Bundestagsfraktion als stramme Anhängerin von Sahra Wagenknecht.
Erbitterter Streit in der Partei
Auch auf Landesebene versucht der Flügel, den Kurs der Linken anlässlich des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine auf Kritik an der Nato zu trimmen. Wegen Aufrufen aus diesen Kreisen zur Teilnahme an sogenannten Friedensdemonstrationen, die vor allem den Wirtschaftskrieg des Westens geißeln, sind auch in Hamburg die Querfront-Vorwürfe laut.
Nach dem Parteitag hat der Nastić-Flügel kaum noch parteiinternen Einfluss: Zuvor hatten sich unterschiedliche Strömungen – von den Bewegungslinken bis hin zu den Reformer:innen – zusammengeschlossen und nahezu alle relevanten Posten erobert. In der Gruppe, aus der die Aussagen über Tavassoli stammen, kommuniziert dieses Bündnis als „Konkret Linx“.
Die beiden neuen Landesvorsitzenden, Sabine Ritter und Thomas Iwan, die diesem Lager zuzuordnen sind, kritisieren die in den Chats geäußerten Beiträge: „Die im Screenshot zu erkennenden Akteure haben sich eindeutig im Ton vergriffen. Dies wurde ihnen sowohl in- als auch außerhalb der Chatgruppe direkt deutlich gemacht.“ Damit sei für sie der Fall abgehakt. „Wir werden die ständigen Versuche Einzelner, Unruhe in den Hamburger Landesverband zu bringen, nicht mit weiterer Aufmerksamkeit würdigen.“
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