Internationales Berlin: So schön weltläufig
Berlin wird vielstimmiger: Verstärkt ziehen Menschen aus Ländern wie Spanien und den USA in die Stadt. Sie bringen Ideen ein – und verändern den Blick auf alle Einwanderer.
Der junge Mann an der Kreuzberger Straßenecke streckt den Passanten fröhlich einen Flyer entgegen, für eine Party – und quatscht sie selbstverständlich auf Englisch an. In der Schlange vor dem Eisladen in Prenzlauer Berg unterhalten sich mehrere Leute lautstark auf Spanisch, dahinter steht eine Gruppe Italiener. Und in der Kneipe in Mitte kann man sein Weizen gar nicht mehr auf Deutsch bestellen: Die Barfrau versteht nur Englisch und findet das absolut normal.
Tatsächlich gibt es eine neue Normalität in Berlin. Die Stadt ist vielstimmiger geworden. Junge, oft akademisch gebildete Menschen ziehen vermehrt hierher. Nicht nur aus krisengeschüttelten Ländern wie Spanien, Italien und Griechenland: Langsam, aber stetig steigen seit Jahren auch die Zahlen der Zuzügler aus Großbritannien und Frankreich. Sie alle verändern das Gesicht der Stadt. Endlich fühlt sich Berlin hier und da tatsächlich weltläufig an.
Das wird vielerorts ganz konkret: Eine spanischsprachige Buchhandlung eröffnet. Eine amerikanische Sportart wird plötzlich auch hierzulande praktiziert. Und französische Hautcouture stammt manchmal von der Spree, um nur drei Beispiele zu nennen.
Auch für länger ansässige EinwanderInnen liegt in der neuen Zuwanderung eine Chance. Wurden bestimmte Migrantengruppen bisher von der einheimisch-deutschen Bevölkerung eher als Problem wahrgenommen, „an den sozialen Rändern der Stadt zuhause“, wie die Ethnologin Regina Römhild es beschreibt, ergeben sich jetzt neue Solidarisierungen: Nordneuköllner arabischer und türkischer Herkunft staunen gemeinsam mit ihren deutschstämmigen Nachbarn über die Zuzügler in ihrem Viertel. Im Vergleich zu den Spaniern gehören sie nun zu den Alteingessenen. An Kreuzberger und Neuköllner Schulen, wo SchülerInnen nichtdeutscher Herkunft meist vor allem als defizitär betrachtet wurden, nehmen die neuen Eltern spanischer, griechischer, US-amerikanischer Herkunft die Eltern dieser „Problemkinder“ einfach mit – etwa bei der für sie selbstverständlichen Forderung, Mehrsprachigkeit positiv zu bewerten. Und bringen so Bewegung in eingerostete Strukturen der Segregation.
In Gastronomie- und Tourismusgewerbe sind EinwanderInnen der 2. und 3. Generation längst überdurchschnittlich präsent. Diesen jungen Gastarbeiterkindern bietet die Szene der Neuzuwanderer endlich genau die lässige Internationalität, die viele lange vermisst haben. Und nicht nur ihnen.
Mehr zum Thema "Internationales Berlin" finden Sie im Berlin-Teil von taz. AmWochenende - im Abo oder an Ihrem Kiosk.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!