Intelligenz und Generationen: Weisheit widerlegt
Wir ruinieren die Welt so schnell, wie es noch keine Generation zuvor geschafft hat. Wird die Menschheit wirklich klüger oder doch dümmer?
U nd dann kamen sie endlich, über die Wiese in den Park: drei Dutzend junge Männer und Frauen, Abiturzeugnisse unterm Arm, Stolz im Gesicht, Alkohol im Blut. Der Corona-Jahrgang 2020 (Motto: „Mit Abstand die Besten!“) hatte endlich seinen Abschluss in der Hand, unsere Tochter mittendrin.
Da standen sie mit ihrer Erleichterung, ihren Hoffnungen und ihren Abendkleidern: eine Generation, die vielleicht die Schlacht bei den Thermopylen mit dem Thermomix verwechselt, die aber mit 18 schon die Welt gesehen hat, vier Sprachen spricht und sich selbstbewusst überall einmischt. Doch, doch, dachte ich angesichts der ganzen sagenhaften Abiturnoten – die Menschheit wird doch einfach immer ein bisschen schlauer.
Eine Woche später zweifelte ich daran schon wieder. Im Umweltausschuss des Bundestags ging es um die Suche nach einem atomaren Endlager. Man hatte den Eindruck: Tödlichen Müll für eine Million Jahre sicher zu verbuddeln ist technisch kein so großes Problem. Die größte Unsicherheit ist der Mensch. Ob der in 50.000 Jahren nicht die Glaskokillen mit eingeschmolzenem Plutonium ausbuddelt, um damit Fußball zu spielen? Letztlich sei das eine philosophische Frage, sagte ein Experte: „Wird die Menschheit klüger oder dümmer?“
Tja. Im Allgemeinen denken wir ja, wir seien schlauer als unsere Vorfahren. Wir bauen Roboter, die uns im Schach schlagen, wir werden hundert Jahre alt, wir haben die Pocken ausgerottet und den Reißverschluss entwickelt. Dann wiederum sind wir eher clever als schlau. Unsere Leistung besteht nur darin, uns und alles um uns herum so schnell zu ruinieren, wie es noch keine Generation vor uns geschafft hat: Wir fliegen ins All und sehen uns dabei zu, wie wir den Regenwald niederbrennen und Pazifik zum Plastifik machen. Man könnte meinen: Wir können nur schlauer werden. Dümmer geht ja nicht.
Aber so einfach ist das nicht. Die vielsprachige, weltläufige und autonom denkende Jugend, auf deren Zukunft wir im Park anstießen, wird den Unterschied zwischen clever und klug herausfinden müssen. Die alten Griechen (die mit den Thermopylen) nannten das altmodisch Weisheit und schrieben sie den Alten zu. Diese These hat meine Generation ja eindrucksvoll widerlegt. Deshalb sollte die Jugend von heute so schnell wie möglich so weise wie möglich werden. Wenn sie dafür dreißig Jahre braucht, haben wir alle ein echtes Problem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach