Innensenator bleibt Buchvorstellung fern: Ulrich Mäurers Luftnummer
Bremens SPD-Innensenator zieht ein Grußwort für das Buch „Mit Russland“ zurück. Dessen Hauptautor ist ein alter Bekannter ohne Russland-Expertise.

„Mit Russland“ heißt es, fordert im Untertitel eine „Politikwende“, und beginnt mit einem flammenden Vorwort, in dem Ex-Politiker Günter Verheugen der Nato die Schuld für den Angriff Russlands auf die Ukraine gibt.
Wie wohl jedes Propagandawerk es zur Verschleierung seiner Intention täte, betreibt auch dieses Buch Vorwegverteidigung gegen den Vorwurf, Propaganda zu sein: Hier indem es, gestützt auf die Einschätzung von US-Vizepräsident James D. Vance, Defizite der Meinungsfreiheit in Deutschland suggeriert. Das darf man in Deutschland so sagen: Also wird das Werk am Freitag im Bremer Presseclub vorgestellt, aber eben ohne Senator Mäurer.
Der hat abgesagt. Am Montag hatte die taz den Innensenator gefragt, wie oft er solche Grußworte stiftet, wie er den Inhalt des Buchs bewertet, und wie er denn sichergestellt hat, dass es nicht inhaltlich Teil der „Flut von Desinformation und staatlicher Propaganda“ ist, mit der Russland seinen militärischen Angriffskrieg gegen die Ukraine laut Verfassungsschutz begleitet?
Osteuropa-Expertise gibt's viel in Bremen
Vor der warnt ja jedes, so auch das Bremer Landesamt. Das ist dem Innensenator unterstellt: Mäurer hat also Expertise im eigenen Haus.
Es wäre ein ziemlicher Anfängerfehler gewesen, und im Hinblick auf seine temporäre bundespolitische Rolle als IMK-Vorsitzender unverantwortlich, sie als Innensenator nicht in Anspruch zu nehmen – oder, falls er dem Verfassungsschutz persönlich nicht über den Weg traut, Externe hinzuzuziehen. Hätte der Innensenator zum Beispiel die – weltweit anerkannte – Bremer Forschungsstelle Osteuropa (FSO) um eine Einschätzung gebeten?
Allerdings: Eine Antwort hat die taz nicht bekommen, sondern nur, dafür schon am Dienstag, die Mitteilung, dass „alle Überlegungen, die zum Ziel haben, diesen furchtbaren, völkerrechtswidrigen Krieg zu beenden“, es wert seien, „durchdacht und diskutiert zu werden“.
Er habe „aber in Anbetracht der aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen dazu“ verstanden, dass seine Anwesenheit „zu Missverständnissen oder Irritationen führen würde“. Dies wäre laut Mäurer einem konstruktiven Dialog nicht dienlich. „Ich habe mich deshalb entschieden, den Veranstaltern abzusagen.“
Manche Auskünfte lassen sich ohne Antworten rekonstruieren. So hat Mäurer die FSO beispielsweise sicher nicht um eine Einschätzung gebeten. Denn dort hätte man ihn gewarnt: „Das Buch ist wirklich brandgefährlich“, so FSO-Direktorin Susanne Schattenberg. Im Gastkommentar in der taz erklärt sie, warum.
Offenkundig ist, dass Mäurers Grußwort dem Buch einen Anstrich von Seriosität verliehen hätte. Dabei bleibt die Annahme des Senators rätselhaft, dass in ihm „Überlegungen“ angestellt würden, die zum Ziel hätten, den „furchtbaren, völkerrechtswidrigen Krieg zu beenden“. Um das ernsthaft zu tun, wäre es schließlich nötig gewesen, Primärquellen anzuzapfen – notfalls in Übersetzung.
Doch davon sehen die Autoren ab. Sie beziehen sich auf Leitartikel und Kommentare, die sie metakommentieren. Weder Wladimir Putins Reden und geschichtsphilosophische Aufsätze noch Ansprachen beispielsweise von Wolodymyr Selenskyj werden an irgendeiner Stelle konsultiert, geschweige denn analysiert. Der Rückgriff auf Daten, Fakten, Empirie oder auch nur die dank der Website dekoder.org sehr leicht zugänglichen oppositionellen Stimmen aus Russland, der Ukraine und Belarus werden geradezu ängstlich vermieden.
Folglich formuliert keiner der Beiträge auch nur einen Gedanken, wie „diplomatische Ansätze“ aussehen könnten, die sie, als Schlagwort, stetig beschwören: Dafür müsste ein Umgang mit den Kriegsverbrechen gefunden werden, die alle drei Autoren zu erwähnen vergessen.
Ebenso wenig spielen bei ihnen das Scheitern der Minsker Abkommen und der Bruch des Vertrags von Kiew eine Rolle. Wie will man ohne das abschätzen, was wir hoffen dürfen? Kurz: Das methodisch indefinite Werk kann bestenfalls als Bekenntnisliteratur durchgehen. Erkenntnisse, neue gar, fehlen.
Mäurer stiftet selten Grußworte
Rätselhaft insofern, warum Mäurer dafür Werbung hatte machen wollen. Denn dass er Grußworte stiftet, ist selten. Recherchen führen in seiner 17-jährigen Amtszeit nur auf zehn weitere Fälle, und nur eine Verbundenheitsadresse galt einer nicht vom Senat verantworteten Publikation: Das ist neun Jahre her.
Im Mai 2016 war Mäurer – tada! – für das Büchlein „Die Flüchtlingskrise“ in die Bütt gestiegen. Autor: Privatdozent Stefan Luft. Das scheint mit Lufts Vorleben zu tun zu haben: Der Hannoveraner war Ende des vergangenen Jahrhunderts als Spindoktor des offen homophoben „Law and Order“-Innensenators Ralf H. Borttscheller in die Bremer Landespolitik gekommen.
Der hatte später gesondert strafrechtlich verfolgt werden müssen; das war eine lustige Geschichte. Luft hingegen blieb bis 2004 Sprecher der CDU-Bürgermeister, so wie Mäurer der Staatsrat fürs Grobe des SPD-Bürgermeisters war.
Vor Ende der großen Koalition aber bekam die Uni Luft als neuen Mitarbeiter zugeteilt. Dass er seither an Forschungen zu Osteuropa, Russland oder der Ukraine mitgewirkt hätte, ist nicht überliefert.
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