Russische Reaktion auf Drohnenangriff: Die taube Gesellschaft
In Russland geraten Flugzeuge in Brand, der Krieg wird im ganzen Land sichtbar. Doch die russische Bevölkerung schaut weg, wie sie es seit Jahren gewohnt ist.
A ls quer durch Russland Bomber in Flammen aufgehen, als Autofahrer*innen am Straßenrand laut fluchend die Einschläge von Drohnen selbst in Sibirien noch filmen, feiert Moskau seinen „Sommer in der Stadt“. Die Parks verwandeln sich in Bühnen, es gibt Theateraufführungen, Lesungen, Kinderschminken. Es wird voller Pomp und Lautstärke der Kindertag begangen, auch wenn russische Raketen das Leben von Kindern in der Ukraine seit Jahren zerstören. Darüber wird in der russischen Gesellschaft nicht geredet. Darf nicht geredet werden, schon gar nicht öffentlich.
Das russische Regime hat es in all den Jahren, ja Jahrzehnten, geschafft, die Menschen zur Gleichgültigkeit zu erziehen. So reagieren die meisten Russ*innen auf so ziemlich alles, was über sie hereinbricht, mit einer im wahrsten Sinne des Wortes gewaltigen Abgestumpftheit.
Drohnen über Moskau? Ein wenig nervig zwar, in der Schlange am Flughafen zu stehen und nicht in den Urlaub fliegen zu können, aber was soll’s? Entgleiste Züge und Tote? Schlimm, aber passiert ja anderen. Tote Soldaten, tötende und vergewaltigende Kriegsrückkehrer? Ach, die sind ja irgendwo weit weg.
So scheint gar nichts, was in diesem Krieg passiert, etwas mit den Menschen in Russland zu tun zu haben. Auch wenn der Krieg ihr Leben verteuert, ihre Kinder zu willenlosen Soldaten des Staates macht, die Familien zerstört. Sie spalten all das ab, um ihre Psyche zu schützen – und tragen so die Gewalt mit, die ihr Staat gegen das Nachbarland und die eigenen Nachbarn ausübt. Manche helfen aktiv mit, indem sie „unpatriotisches“ Verhalten der Nächsten denunzieren.
Die Gesellschaft krankt und überspielt das Leid mit lauten „Hurra“-Rufen. Sie sieht nicht, wie Bomber brennen, will nicht sehen, dass diese Bomber, die Drohnen, die entgleisten Züge, die toten Söhne und Väter die hässliche Fratze des Krieges sind, den ihr Staat nicht bereit ist zu stoppen. Sie feiern den Sommer und tanzen dazu. Immer unnahbarer.
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