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Russische Reaktion auf DrohnenangriffDie taube Gesellschaft

Kommentar von Inna Hartwich

In Russland geraten Flugzeuge in Brand, der Krieg wird im ganzen Land sichtbar. Doch die russische Bevölkerung schaut weg, wie sie es seit Jahren gewohnt ist.

30 Grad Celsius, ein warmer Tag in Moskau Foto: Pavel Bednyakov/ap

A ls quer durch Russland Bomber in Flammen aufgehen, als Au­to­fah­re­r*in­nen am Straßenrand laut fluchend die Einschläge von Drohnen selbst in Sibirien noch filmen, feiert Moskau seinen „Sommer in der Stadt“. Die Parks verwandeln sich in Bühnen, es gibt Theateraufführungen, Lesungen, Kinderschminken. Es wird voller Pomp und Lautstärke der Kindertag begangen, auch wenn russische Raketen das Leben von Kindern in der Ukraine seit Jahren zerstören. Darüber wird in der russischen Gesellschaft nicht geredet. Darf nicht geredet werden, schon gar nicht öffentlich.

Das russische Regime hat es in all den Jahren, ja Jahrzehnten, geschafft, die Menschen zur Gleichgültigkeit zu erziehen. So reagieren die meisten Rus­s*in­nen auf so ziemlich alles, was über sie hereinbricht, mit einer im wahrsten Sinne des Wortes gewaltigen Abgestumpftheit.

Drohnen über Moskau? Ein wenig nervig zwar, in der Schlange am Flughafen zu stehen und nicht in den Urlaub fliegen zu können, aber was soll’s? Entgleiste Züge und Tote? Schlimm, aber passiert ja anderen. Tote Soldaten, tötende und vergewaltigende Kriegsrückkehrer? Ach, die sind ja irgendwo weit weg.

So scheint gar nichts, was in diesem Krieg passiert, etwas mit den Menschen in Russland zu tun zu haben. Auch wenn der Krieg ihr Leben verteuert, ihre Kinder zu willenlosen Soldaten des Staates macht, die Familien zerstört. Sie spalten all das ab, um ihre Psyche zu schützen – und tragen so die Gewalt mit, die ihr Staat gegen das Nachbarland und die eigenen Nachbarn ausübt. Manche helfen aktiv mit, indem sie „unpatriotisches“ Verhalten der Nächsten denunzieren.

Die Gesellschaft krankt und überspielt das Leid mit lauten „Hurra“-Rufen. Sie sieht nicht, wie Bomber brennen, will nicht sehen, dass diese Bomber, die Drohnen, die entgleisten Züge, die toten Söhne und Väter die hässliche Fratze des Krieges sind, den ihr Staat nicht bereit ist zu stoppen. Sie feiern den Sommer und tanzen dazu. Immer unnahbarer.

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6 Kommentare

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  • Die EU und die NATO sollten die Ukraine anflehen ihnen beizutreten. Das Wissen und Know How über solche Aktionen und die Fähigkeit solche durchzuführen kann in Zukunft noch von unschätzbaren Wert sein.

  • Wir sprechen hier von Leben in einer Diktatur. Was genau will uns dieser Artikel sagen?



    Dass es doch angebracht wäre, wenn die Menschen aufbegehren und dafür verhaftet werden?



    Nur zur Erinnerung: das ist schon tausendfach passiert und es führte auch zu prominenten Toten.



    Ich empfinde es als recht hochmütig, eine Gesamtbevölkerung pauschal zu verurteilen.



    Wir wissen aus unserer eigenen Geschichte, dass Helden rar gesät sind. Natürlich besteht auch für eine Berichterstatterin die Möglichkeit sich verhaften zu lassen. Ein Plakat gegen den Krieg an einem öffentlichen Platz wäre in Moskau sicher ausreichend.



    Aber es wäre eben auch dumm.



    Die Zeitzeugen des Nationalsozialis sterben langsam aus.



    Allerdings gibt es noch genügend Zeitzeugen der DDR.



    Da könnte man oder frau erfahren, wie es so ist, in einem System der Angst zu leben, in dem Überwachung und Repression alltäglich sind.



    Auch wenn die Filmindustrie bald jeden Marvelhelden aus den 60ern ins Jetzt gezerrt hat, mit Realität hat das wenig zu tun.



    Die Meisten wollen einfach ( über-) leben.

    • @Philippo1000:

      "Wir wissen aus unserer eigenen Geschichte, dass Helden rar gesät sind." Und genau deshalb reden wir ja auch von einer deutschen Kollektivschuld und historischen Verantwortung.

  • Eine merkwürdige Gesellschaft. Liegt südasiatische an Wladimir, oder am Wodka? Noch merkwürdiger finde ich allerdings die hiesigen Fans der Moskauer Faschisten. Von Alice, über Sahra bis zu manchem Linksdemokraten.

  • Was soll die Leute tun, ausser ihr Leben weiterleben. Die Opposition wird klein gehalten und wer ein größeren Aufschrei macht kommt ins Gefängnis. Also dann bleibt zum Überleben nur weiter leben. Es ist menschlich, das wegschauen oder im schlimmsten Fall mitmachen. Die Geschichte der Menschen zeigt es an etlichen Beispielen.

  • Putin ist nicht das Problem, genauso wenig wie Erdogan oder Trump. Der Fisch stinkt gar nicht vom Kopf.