Information über Abtreibungen: Erneut Ärztinnen vor Gericht
Erstmals seit der Reform des § 219a stehen Mitte Juni zwei Ärztinnen in Berlin vor Gericht. Es sind Proteste angekündigt.
„Auch ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch in geschützter Atmosphäre gehört zu unseren Leistungen.“ Wegen dieses Satzes wurden Gaber und ihre Kollegin vor mehr als einem Jahr angezeigt. Inzwischen haben sie den Satz geändert: „Auch ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch gehört zu den Leistungen von Frau Dr. Gaber“, steht nun auf der Seite. Die Staatsanwaltschaft habe ihr angeboten, das Verfahren einzustellen, wenn sie den Eintrag ganz von der Seite nimmt, sagte Gaber. Sie habe sich aber geweigert.
Beide Sätze dürfte auch nach der im Februar beschlossenen Reform des Paragrafen 219a strafbar sein. Denn Ärzt*innen dürfen nun auf ihrer Webseite zwar schreiben, dass sie diese durchführen. Für jede weitere Information – wie etwa die Methoden – müssen sie aber auf andere Stellen verweisen. Dazu gehört eine Liste der Bundesärztekammer, die es aber noch nicht gibt. Man arbeite noch an der Umsetzung, erklärte die Bundesärztekammer.
Hänel in Revision
Grüne, Linke und FDP kritisieren die Neufassung des Gesetzes, der Juristinnenbund hält sie nach wie vor für verfassungswidrig. Bei einer Veranstaltung des Deutschen Frauenrats am Mittwoch sagte die ehemalige Gesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU), den Frauen werde unterstellt, „dass wir nicht in der Lage sind, zwischen Information und Werbung zu unterscheiden“.
Die Debatte um den Paragrafen war 2017 wegen der Anklage und Verurteilung der Gießener Ärztin Kristina Hänel entbrannt. Ihre Revision liegt derzeit beim Oberlandesgericht in Frankfurt, wo kürzlich ihre Revisionsbegründung einging. Nun entscheidet das Gericht nach Aktenlage, also ohne öffentliche Verhandlung.
„Ich werbe nicht, ich informiere über eine Methode, die ich anwende“, sagte Gaber der taz. Das gehöre zu ihrem Recht auf freie Berufsausübung sowie zum Recht auf Informationsfreiheit der Frauen. Echte Rechtssicherheit gebe es „eben nur ohne den 219a“, erklärte Cornelia Möhring von der Linksfraktion.
Gut wäre eine klare Entscheidung des Gerichts „im Sinne der Ärztinnen“, sagte Ulle Schauws (Grüne). „Ich befürchte, das wird nicht der Fall sein.“ Der „wachsweiche Kompromiss“ habe „keinerlei Klarheit“ geschaffen, kritisiert auch die stellvertretende FDP-Vorsitzende Katja Suding. Alle drei Fraktionen fordern weiterhin die Streichung des Paragrafen. Aktivist*innen kündigten für den Prozesstag Proteste an.
Ein Fall fürs Verfassungsgericht?
Wird ein Gesetz geändert, bevor in einem Fall entschieden ist, „so ist das mildeste Gesetz anzuwenden“, heißt es im Strafgesetzbuch. Das Berliner Gericht hat nun zwei Möglichkeiten: Es kann im Fall Gaber und ihrer Kollegin das neue Gesetz anwenden. Oder es legt den Fall wegen verfassungsrechtlicher Bedenken dem Bundesverfassungsgericht vor.
Solche Bedenken hatte die Berliner Staatsanwaltschaft in einem Vermerk in Gabers Akte angebracht – allerdings noch mit Bezug auf die alte Rechtslage. Ob sie nach der Reform aus dem Weg geräumt sind, entscheidet im Juni das Gericht.
Das gleiche gilt für Kristina Hänels Fall: Sollte sie nach neuer Rechtslage verurteilt werden, wäre dies rechtskräftig. Hänel müsste dann die Informationen von ihrer Webseite nehmen, weil sie sonst immer wieder angezeigt werden könnte. Hänel kündigte für diesen Fall an, Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. „Die Vorbereitungen dafür laufen“, sagte ein Vertrauter Hänels.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes wurde nur der aktuelle Eintrag auf Bettina Gabers Webseite zitiert. Wir haben das geändert.
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