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Inflation und Bio-LebensmittelMit der Alditüte in den Bioladen

Dank Inflation wird alles teurer. Das trifft jetzt auch die Biobranche. Besonders in kleinen Bioläden bricht der Umsatz ein.

Im „Natürlich Bio“ in Berlin-Wedding brach der Umsatz zuletzt um 50 Prozent ein Foto: Tina Eichner

Obwohl sie an diesem Mittag allein den Bio­laden schmeißt, hat Kathrin Votanek viel Zeit, um über ihr Geschäft zu reden. „Zumindest so lange niemand da ist“, sagt sie. Und genau das ist aktuell ihr Problem: Zwischen den Holzregalen voller ­Bioprodukte findet sich momentan nur ­vereinzelt Kundschaft. „Seit vergangenem Jahr kommt nur noch die Hälfte“, berichtet die Inhaberin zerknirscht. „Wenn es weiter so wenige bleiben, dann muss ich den Laden zumachen.“

Ihr Fall ist drastisch, aber auch andere Bioläden in Deutschland klagen, dass ihnen die Kun­d*in­nen wegbleiben. Eine stichprobenartige Umfrage der taz bei Bioläden in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg ergibt: Alle klagen über Umsatzeinbußen zwischen 20 und 25 Prozent, seitdem die Inflationsrate stark steigt.

Die Marktdaten dagegen scheinen widersprüchlich. Laut den Marktforschungsdaten des Analytikunternehmens GfK geben die Menschen in Deutschland zwar insgesamt weniger Geld für Lebensmittel aus (minus 5 Prozent im ersten Quartal), aber im Biobereich scheint der Rückgang geringer (minus 3 Prozent). Andererseits sind die Umsätze von Reform- und ­Naturkostläden seit Jahresbeginn um 38 Prozent zurück­gegangen. Wie passt das zusammen?

Das Versprechen von umweltschonend produzierten Lebensmitteln, meist regional verwurzelt und Erzeuger-freundlicher, ist vielen Teilen der Gesellschaft sehr wichtig. Sie zahlen dafür auch deutlich mehr Geld. Aber offenbar fällt während der Inflation auch ihnen das Geldausgeben schwerer.

Mitglieder kündigen

Bei genauerem Hinsehen zeigen die Daten: Die Leute kaufen zunehmend die Bio-Handelsmarken etwa von Edeka, Rewe oder Aldi. Deren Umsatz lag im ersten Quartal 2022 um 9 Prozent höher als im Vorjahr. Die teureren Bioprodukte verzeichneten hingegen ein Minus von 11 Prozent, und der Trend setzt sich fort. Das trifft vor allem Fachmärkte, die ausschließlich Herstellermarken anbieten – wie den von Kathrin Votanek.

Mit verschränkten Armen und entschlossenem Blick steht sie hinter der Käsetheke in ihrem kleinen Bioladen „Natürlich Bio“ im Berliner Wedding. Seit 13 Jahren arbeitet sie hier, anfangs noch als Angestellte. Etwas anderes könne sie sich nicht vorstellen. Auch ein Bio-Supermarkt wäre nichts für sie, denn da würde ihr der enge Kontakt mit der Kundschaft fehlen.

Plötzlich ruft sie lachend: „Das ist nichts für dich, Fabian.“ Und meint einen Kunden, der hinten im Laden stöbert. Beide scherzen, dann sucht er sich einen Käse aus. Votanek erklärt, dass Fabian nicht nur Kunde, sondern auch Mitglied beim Laden sei. Als solches entrichtet er einen monatlichen Beitrag, bekommt dafür Rabatt. Kathrin Votanek kennt ihn wie die anderen Mitglieder beim Namen.

Doch in den letzten Monaten haben einige ihre Mitgliedschaft gekündigt. Viele hätten schon vor der Inflation ihren Wocheneinkauf nicht bei ihr im Biomarkt erledigt, seien mit vollen Alditüten in ihren Laden gekommen und hätten nur ein paar Kleinigkeiten dazugekauft. Wenn sie nun auch für Grundnahrungsmittel an anderer Stelle mehr Geld ausgeben müssten, hätten sie noch mal weniger, was sie im Bioladen lassen könnten, vermutet Votanek.

Weil weniger Geld reinkommt, bestellt Votanek nun weniger beim Großhändler. Sie spart außerdem an sich selbst und zahlt sich keinen Lohn aus. „Im letzten Monat war ich nicht einmal einkaufen“, sagt sie. Das müsse sie auch nicht, denn es bleibe genug abgelaufene Ware, die sie dann verbrauche.

Vor der Inflation ging es der Biobranche sehr gut. 2020 machten die Umsätze einen Sprung um 22 Prozent nach oben, 2021 waren es immerhin noch 5 Prozent mehr. Die Bioläden profitierten in der Pandemie, erklärt der Marktforscher Robert Kecskes von der GfK. Besonders 2020 hätten sich viele Leute mit den regionalen Läden solidarisiert und dort eingekauft. Aber schon seit vergangenem November – als die Energiekosten und damit auch die Preise stiegen – gingen die Umsatzzahlen deutlich zurück. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine habe diesen Trend verstärkt.

Bei ihnen sei die Nachfrage aber trotz allem noch höher als vor der Pandemie, berichtet Joseph Nossol, Geschäftsführer der Bio-Supermarkt-Kette Denn's Biomarkt. Zudem seien die Biopreise weniger stark gestiegen als die der konventionellen Produkte. Das liege an den kürzeren Lieferwegen, die Bioprodukte häufig zurücklegen. Sein Unternehmen beobachte „die aktuellen Entwicklungen auf den Märkten sehr genau“, um schnell reagieren zu können.

Kathrin Jäckel, Geschäftsführerin des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN), erklärt darüber hinaus, dass „die Kosten für chemisch-synthetische Pestizide und künstliche Dünger extrem gestiegen sind“ – auch davon sind die Preise von Biolebensmitteln unabhängig. Jäckel führt die Umsatzeinbußen auf das Wegfallen der meisten Coronamaßnahmen zurück: „Jetzt gehen die Menschen wieder in Büros, essen in Kantinen oder Restaurants. Dementsprechend kochen sie weniger zu Hause.“

Ob das dauerhaft so bleibt? „Solange sich die aktuellen Bedingungen nicht ändern, bleibt auch die Biobranche weiterhin stark herausgefordert“, schätzt Jäckel. Aber weil Bio mit Nachhaltigkeit, Artenvielfalt und dem Klimaschutz zusammenhänge, sei ökologische Landwirtschaft „von Politik und Verbraucher*innen“ gewollt.

Wie es sich für einen Interessenverband gehört, hat der BNN auch gleich politische Forderungen: Die Bundesregierung solle die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Bioprodukte streichen, um die Nachfrage anzukurbeln. Pro Euro würden Bioprodukte dann um 7 Cent günstiger. Das Bundesministerium für Finanzen hält das allerdings „für nicht umsetzbar“, weil es nur unter „enormen Bürokratieaufwand möglich wäre“.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Marktforscher Robert Kecskes weist aber darauf hin, dass die Menge an gekauften Bioprodukten insgesamt etwa gleich geblieben sei. Das zeigten die Daten, die die GfK zusammen mit 30.000 Haushalten in Deutschland erfasse. Jeder Haushalt scannt dabei die gekauften Produkte ein und übermittelt die Daten dem GfK. Dabei zeige sich aber, die gekauften Produkte seien günstiger. Das schmälere den Umsatz, Bio bleibe aber deutlich im Trend: „Vielen Menschen ist es sehr wichtig, Bioprodukte zu kaufen. Aber wegen der Inflation müssen sie schauen, wie sie sich das leisten können.“

So geht es auch Sonja B. Sie kauft nicht nur gerne Bio, sie arbeitete 30 Jahre lang in Bioläden. Bis zu diesem Donnerstag, da hat sie ihren Job aufgegeben und wechselt nun die Branche. Denn, obwohl sie in einem Bioladen arbeitete, konnte sie sich immer weniger von der Ware dort leisten. Sie möchte aber auch nicht, dass ein schlechtes Licht auf den Laden fällt, denn die schlechte Bezahlung läge nicht an diesem, sondern an der Branche. Darum soll nicht ihr voller Name in der Zeitung stehen. „Das ist doch gruselig, dass die Leute, die im Laden arbeiten und beraten, sich selbst die Biofeigen nicht mehr leisten können.“

Stattdessen kaufe sie Bio beim Discounter. „Das ist eigentlich blöd, weil ich die Discounter nicht unterstützen will“, sagt sie. Die Bioware dort stamme nicht von „richtigen Biobauern“. Bei den Preisen ginge das aber auch gar nicht. Dass die Er­zeu­ge­r*in­nen mit dem Handel gut zusammenarbeiten, ist ihr wichtig. Bio hat für sie auch eine soziale Komponente. „Ich glaube, das gilt für viele, die bewusst in den kleinen teureren Laden gehen.“

Dass weiterhin viele Menschen Bioprodukte wollen, merkt auch Felix Neumann in Sachsen-Anhalt. Zwar geht auch der Umsatz in seinem Laden zurück, aber deutlich weniger als bei Kathrin Votanek in Berlin. Zudem ist es nicht sein einziges Standbein. Neben einem Bioladen in Salzwedel betreibt er noch ein Bistro, das diese Woche biozertifiziert wurde, und liefert wöchentlich ­Biokisten zu seinen Kun­d*in­nen nach Hause. Das laufe beides sehr gut und gleiche den Umsatzverlust aus, erzählt er. Man müsse sich eben anpassen und schauen, „mit welcher kreativen Idee man das Problem angeht“. Ein Patentrezept habe er zwar nicht, aber: „Wir blicken positiv in die Zukunft.“

Kathrin Votanek in Berlin möchte hingegen gar nicht an die nächste Heiz- und Stromkostenabrechnung denken. „Eigentlich bin ich noch zu jung, um aufzuhören“, seufzt sie leise. Dann hilft sie einem Kunden mit Kinderwagen, der den Frischkäse nicht findet.

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16 Kommentare

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  • Das Essen ist hier zu billig- Özdemir. Nun wird es teurer und die Leute können sich kein bio und fairtrade mehr leisten. Und es gehen die kleinen Läden flöten. Aber Grüne sind auch so mehr für Konzerne und ihr wohlhabendes Klientel.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    Bio wird Mainstream! Kleine Bio-Läden sind einfach überflüssig geworden! Und mit der Inflation beschleunigt sich das nur.

  • >Die Bundesregierung solle die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Bioprodukte streichen, um die Nachfrage anzukurbeln. Pro Euro würden Bioprodukte dann um 7 Cent günstiger.<



    Hab ich mir neulich auch gedacht, als ich eine kleinere Bio-Gurke bei Alnatura kaufte. Statt vermuteter 79 Cent pro Stck waren es 79 Cent/100 gr.



    Ich würde glattweg mal wieder Schmorgurken machen bei der Ersparnis!

  • BioVista?

    "Gründer-Idee: „dem Fachhandel transparente und aussagekräftige Daten zur Verfügung stellen“ "

    Ah ja ... Müsst ihr jetzt nur noch kaufen.

  • @ Taz Redaktion:



    Warum befragt ihr die GFK?



    Diese hat für den Bio-Fachhandel (und das ist der Laden von Frau Votanek) nur unzureichende Daten aus dem Haushaltspanel vorliegen. Der Handelspanel Anbieter für den Bio-Fachhandel ist das Unternehmen BioVista! Dort erhaltet Ihr präzise Daten und nicht die Mutmaßungen die man hier zu so hört.

  • RS
    Ria Sauter

    So geht es mir auch, als Kundin.



    40 Jahre lang , nach einer schweren Erkrankung,nur Bioware gegessen.



    Gekauft beim Biobauern auf dem Markt oder im Bioladen. Habe nie einen Fuss in einen Discounter gesetzt.



    Das alles geht nun nicht mehr.



    Muss ich verdrängen sonst werde ich hoffnungslos. Ich bin der Überzeugund diese Ernährungsweise hat mir das Leben gerettet und eine Neuerkrankung verhindert.



    Was nun?

    • @Ria Sauter:

      Erzählen Sie mal ...



      2022 minus 40 = 1982



      Ich werde nächste Woche 66.



      Und hab so viel vergessen zu alten Biobauern und alten Bioläden.



      Was auf den Märkten Bio ? war, hab ich wohl verdrängt.



      Was nun?

  • Prima Artikel, danke!

    Mal abgesehen davon, dass dieses formal kultivierte Volk hier durchschnittlich nur ca 10% seines Einkommens für Lebensmittel ausgibt, ist die Geiz-ist-geil-Mentalität noch unappetitlicher bei denen, die mit 60k€-SUVs zum Einkaufen zu Aldi, Lidl und Netto fahren.

    • @Jossito:

      GENAU!



      Genau so wie eine fette Rentenerhöhung von 4% 40 € bedeuten können, wovon auch Kranken- und Pflegeversicherung fällig werden.



      Also noch pauschaler geht's nicht, woran Sie sich abarbeiten.



      Ich rechne übrigens Einkommen (Rente) minus Fixkosten (dazu gehört auch Miete) = Verfügbares zur Lebenshaltung.



      Andere werden auch nur das ausgeben können, was sie im Portemonnaie haben. Fehler erkannt?



      Mal nachgefragt, wer von den SUVs Berufspendler ins Umland ist?



      Sie müssen noch viel sehen von ihrem hohen Ross.

    • @Jossito:

      sie scheinen das problem genau erkannt zu haben ...

      kein europäisches volk achtet so wenig darauf, was auf den teller kommt.

      sich gerade bei speis' und trank zu verwöhnen, ist überall anderwärts ausgeprägter.



      bei uns dagegen, ist die lust für's essen geld auszugeben am geringsten ausgeprägt.



      wenn dann auch noch billigpreise steigen, ist der jammer kaum zu überhören.

      • @adagiobarber:

        Es gibt keinerlei Beleg für diesen Unsinn. Dass der prozentuale Anteil für Lebensmittel am den Konsumausgaben mit steigendem Durchschnittseinkommen abnimmt ist ein Phänomen das man weltweit beobachten kann.

        Dass die Ausgaben für Lebensmittel in dem Industrieland mit dem relativ niedrigen Renten, dem mäßigem Medianeinkommen und dem bescheidenen Durchschnittsvermögen ein paar Prozentpunkte niedriger ist als in ansonsten vergleichbaren Industrieländern, das ist nicht verwunderlich.

        Ihre Behauptung unterstellt, die Leute hätten wirklich die Wahl, würden sich aber freiwillig gegen gutes Essen entscheiden. Das ist neoliberaler Dünnpfiff…

        Btw, den Artikel hier, in dem es darum geht, dass sich die Leute das gute Essen eben nicht mehr leisten können, den haben Sie gelesen?

  • Zumindest wir etwas besser Gestellten sollten den kleinen (nicht Denner & Co) Bioladen jetzt besonders beglücken. Schließlich werden diese Versorger die kürzeren Wege zur lebensnotwendigen Versorgung haben, wenn die Handelsketten mit ihrer aus der Ferne herbeitransportierten Fabrikware scheitern. Nach dem Crash wird die Arbeit der Landwirte, Meieristen, Bäcker und Metztger wieder neu bewertet, wenn die Versorger wieder in die Wohngebiete ziehen als Alternative der 'Tafel für alle'.

    • @Dietmar Rauter:

      Gott gebe, dass Sie etwas besser Gestellter nach dem Crash etwas als Zahlungsmittel in der Hand halten, was ihre lokalen Versorger gebrauchen können. Ob diesmal alle Schmuck und Teppiche brauchen, bezweifle ich stark.



      Meinen Sie, man wird sich mit Ihrem Papier die Wände tapezieren wollen?