Infektionsgeschehen in Deutschland: Mehr als 100.000 Neuansteckungen
Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz erreicht am Wochenende neue Höchststände. Spahn ruft weiter zum raschen Impfen und Boostern auf.

Ein Impfbus in Bayern auf „Spritztour“ Foto: Daniel Biskup
In Bayern werden bereits jetzt schlimme Befürchtungen wahr: Covid-19-Patient*innen müssen in angrenzende Bundesländer verschoben werden, Krebsoperationen werden auf unbestimmte Zeit verschoben. Der Krankenstand auch unter den Pflegekräften hat rapide zugenommen – was die Überlastung in den Krankenhäusern noch mehr verschlimmert. „Die aktuelle Lage ist so dramatisch, wie sie noch nie in der gesamten Pandemie-Zeit in Bayern war“, sagte der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, Roland Engehausen, der Augsburger Allgemeinen. Nicht einmal ein Höhepunkt ist abzusehen. „Wir sehen im Moment keine ausreichend wirksamen Gegenmaßnahmen, die uns in den Kliniken in den nächsten zwei bis vier Wochen eine Entlastung bringen würde“, sagt Engehausen. Das mache die Lage „so dramatisch“.
Wie das Robert-Koch-Institut (RKI) unter Berufung auf Daten der Gesundheitsämter mitteilte, stieg in Bayern die Sieben-Tage-Inzidenz am Sonntag auf 639,4, dicht gefolgt von Thüringen. Spitzenreiter bleibt Sachsen mit einer Inzidenz von 862,1. Doch auch die bundesweite Inzidenz erreicht neue Höchstwerte. Sie lag am Sonntag bei 372,7, nach 362,2 am Tag zuvor. Insgesamt 106.651 Neuinfektionen und 323 Todesfälle wurden an beiden Tagen bundesweit registriert. In 18 Landkreisen lag die Inzidenz bei mehr als 1.000, in keinem mehr sind es unter 100.
Bund und Länder haben nach dem Beschluss am vergangenen Donnerstag vereinbart, dass nicht mehr die Inzidenz als Maßstab für eine Verschärfung der Coronaschutzmaßnahmen dient, sondern die Hospitalisierungsrate. Dieser Wert gibt an, wie viele Menschen pro 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen wegen einer Corona-Infektion in einem Krankenhaus aufgenommen wurden. Er soll nach Beschluss von Bund und Ländern künftig Maßstab für eine Verschärfung der Coronaschutzmaßnahmen sein. Ab einer Inzidenz von 3 in einem Bundesland soll die 2G-Regel gelten, ab 6 die 2G-plus-Regel und ab 9 sollen weitere Maßnahmen verhängt werden können. In Bayern liegt dieses Inzidenz bereits bei über 9, in Sachsen-Anhalt bei über 11, in Thüringen gar bei 17. Das Problem bei der Hospitalisierungsrate: Es kommt zu einem erheblichen Meldeverzug. Der tatsächliche Wert dürfte also schon höher liegen.
„Mit der jetzigen Impflücke kommen wir nicht in die endemische Situation“
Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) trägt die Beschlüsse von Bund und Ländern zwar mit, ruft aber die Bundesländer auf, schon vor dem Erreichen des jeweiligen Schwellenwerts Maßnahmen zu ergreifen. „Deswegen empfehle ich auch nicht, wenn man bei 2,89 ist, zu warten, bis es 3,01 ist“, sagte Spahn am Freitag. Es gehe darum, dass man eine Größenordnung habe. Im Zweifel solle man lieber früher als später handeln.
Mit Boostern gegen die Delta-Variante
Spahn ruft weiter zum raschen Impfen und Boostern auf. In einem Schreiben an Ärzt*innen hat er dazu geraten, allen über 18-Jährigen vor Ende der bis dahin empfohlenen Sechs-Monate-Frist Booster-Impfungen zu geben. Dieser Empfehlung hat sich auch die Ständige Impfkommission (Stiko) inzwischen angeschlossen. Frische Daten aus Israel belegen, dass die dritte Dosis das Infektionsrisiko um den Faktor 11,3 verringert, das Risiko eines schweren Verlaufs gar um den Faktor 19,5.
Die Studie wurde anhand der Daten von 1,1 Millionen über 60-jährigen Israelis berechnet, ist also hochgradig aussagefähig und valide. Mit der dritten Dosis ist der Impfstoff also so wirksam gegen die Deltavariante wie zwei Dosen gegen die Alphavariante. Das Boostern werde die Inzidenz im Winter zwar beruhigen, schreibt Charité-Chefvirologe Christian Drosten auf Twitter. „Aber mit der jetzigen Impflücke kommen wir nicht in die endemische Situation.“ Drosten betont: „Ein fast vollständiges Schließen der Impflücken ist durch nichts zu ersetzen.“
Für Ärger sorgt Spahn mit einem Schreiben an die Länder, worin er empfiehlt, Auffrischimpfungen vermehrt mit dem Präparat von Moderna zu machen und das von Biontech zurückzuhalten. Andernfalls drohten eingelagerte Moderna-Dosen ab Mitte des ersten Quartals 2022 zu verfallen. Das Problem: In Deutschland wird der Biontech-Impfstoff von vielen bevorzugt. Stelle man den gewünschten Impfstoff nicht zur Verfügung, drohe eine Verlangsamung des Impftempos, kritisiert die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Spahns Ministerium hat indessen „Höchstbestellmengen“ für Biontech definiert. Praxen sollen demnach vorerst maximal 30 Dosen pro Woche bestellen können, Impfzentren und mobile Impfteams 1.020 Dosen.
Was hinzu kommt: Moderna wird nur für Menschen ab 30 Jahren empfohlen und nicht für Schwangere. Wer aber nicht schwanger ist und auch über 30 – den schützt Moderna gegen die Deltavariante sogar besser als der Impfstoff von Biontech/Pfizer.
Leser*innenkommentare
Impe
Wer wundert sich denn jetzt über die Zahlen, nachdem alle fröhlich Karneval gefeiert haben? 🤣
coconutrebel
Spahn wird später sagen, ich hab das doch die ganze Zeit gefordert.
Tödlich ist auch die FDP, die mit ihrem neoliberalen Scheiß eine Impfpflicht zerredet.
Wieviele Tote sind notwendig, damit eine Impfpflicht durchgesetzt wird?
Sie kapieren es einfach nicht. Und solche Leute sitzten im Bundestag!
05653 (Profil gelöscht)
Gast
Bitte bezeichnet doch nicht jede einfache Rechnung, die auf einem Gerät mit Taschenrechnerfunktion gemacht, wurde als Studie.
ismirnichegal
Interessant, dass sich viele darüber aufregen, das Biontech rationiert wird. Dabei ist der Langzeitschutz von Moderna sowohl gegen Infektion, wie auch gegen schweren Verlauf deutlich besser als Biontech (und die beiden anderen Impfstoffe).
Siehe Nordströmstudie: papers.ssrn.com/so...bstract_id=3949410
Mit diesen neuen Daten, würde ich solange ich über 30 Jahre alt bin, Moderna gegenüber Biontech bevorzugen.
Emsch
Es ist eine absolute Unverschämtheit von Herrn Spahn, dass er jetzt biontech rationiert. Gerade ungeimpfte junge Leute werden jetzt Schwierigkeiten haben, einen Termin zu bekommen. Kinderärzte können jetzt pro Woche nur noch 15 ihrer jugendlichen Patienten erstimpfen. So kommt man nicht voran!!!!!
05653 (Profil gelöscht)
Gast
@Emsch Impfen sollten sich die, die bei einer SarsCov2 Infektkion gefährdet sind. Und die verschwindend wenigen, die hochgradig gefährdet sind und sich nicht impfen lassen können, müssen halt besser aufpassen. Kinder und alle anderen unter 30jährigen haben mit der Pandemie nichts zu tun. Schämen sie sich Kinder in einer Pandemie zu instrumentalisieren, von der sie nicht betroffen sind. .
Ajuga
@05653 (Profil gelöscht) Bei einer SARS-2-Infektion erleiden 30% der Betroffenen langfristige und oft irreparable Schäden an Muskeln, Zentralnervensystem, Nieren und Lungen.
Die Stärke der auf einer Gefäßentzündung durch ein amoklaufendes Immunsystem auf der Suche nach einem schwer fassbaren Virus beruhenden Folgeschäden korreliert kaum mit der Schwere der primären Viruserkrankung.
Wie Calloway in "Der Dritte Mann" sagt: "The lucky children died..."
Annette Thomas
@05653 (Profil gelöscht) Und noch was: Da ja die Quote unter Erwachsenen ganz jämmerlich niedrig ist, hilft _natürlich_ auch die Impfung der Kinder gegen die überlaufenden Intensivstationen, gegen Burnout, Triage und Tote, denn sie stecken ja ungeimpft, ohne dass sie es je verhindern könnten, Erwachsene an, die auf ihr starkes Immunsystem und Pferdekuren vertrauen.
Annette Thomas
@05653 (Profil gelöscht) Schämen Sie sich, anderen reinzureden, wenn sie ihre Kinder auch vor Long Covid schützen wollen, obwohl da keiner dran stirbt.
Die Durchseuchung der unter 12Jährigen wird bei annähernd 100% liegen, bevor die Stiko ans Empfehlen kommt. Und die Zahl der Plätze in den Kinderkuren wird nicht reichen, wie sollte sie?
Und ich habe da nichts zu entscheiden für meine Kinder, ich kann nur hilflos zusehen und sie bitten, in der Schule wirklich immer die Maske zu tragen.
Und die Jacke.
Und die Decke, falls es noch kälter wird.
Ach so. Ich kann außerdem natürlich noch abwarten, ob sich irgendwann herausstellt, dass nicht alle Lehrer geimpft waren, die meine Kinder unterrichten. Gibt da ja nur das Abwarten, um es herauszufinden.
Günter
Im Moment blickt doch keiner mehr durch, was man aus eigener Verantwortung tun könnte, um die Pandemie einzudämmen (außer natürlich impfen), etwa Kontakte auf das Nötigste zu reduzieren. Aus der Politik kommt bis auf wenige, die noch ein Gewissen haben, wie etwa Karl Lauterbach, nichts als bla, bla, bla....
Das geht so weit, the lord is my witness, dass selbst Mitarbeiter von Behörden Partys feiern, wo mal eben 70-80 Leute in's Lokal zum gemeinsamen Essen gehen .
Wenn also die Administration (Politik und Behörden) nichts anderes als Larifari vorlebt, was erwartet man da von den Leuten??
adagiobarber
@Günter bleiben sie den ...
a-h-a regeln treu.
danny schneider
"In Deutschland wird der Biontech-Impfstoff von vielen bevorzugt"
Logisch... er schneidet auch bei fast allen Betrachtungen am besten Ab..., kommt aus Deutschland. Warum soll ich mir n Ford spritzen lassen, wenn es auch n Audi sein kann?
Oder anders: wenn ich schon jährlich Beiträge im 5stelligen Bereich abdrücke, dann möchte ich auch bestimmen welche Medizin ich bekomme.
Ajuga
@danny schneider Nein, das stimmt nicht.
Moderna ist wesentlich besser, sowohl bei der erreichbaren Schutzwirkung als auch beim Rückgang des Impfschutzes. (Das liegt vielleicht daran, dass Moderna/Uni Maryland die Grundlagenforschung entscheidend vorangetrieben und *allen* Impfstoffprojekten zugearbeitet haben, d.h. sie wussten als erstes, wie man das Spike modifizieren muss, dass unsere Immunzellen es stark und langanhaltend binden. Denn an diesem *primären* immunologischen Signal - vermittelt über die Stärke der Antigen-Rezeptor-Bindung - hängt alles was danach kommt: sowohl die humorale als auch die zelluläre Immunität. Biontech musste also aus patentrechtlichen Gründen Modifikationen in die Comirnaty-Spikes einbauen, die zwar gut, aber Moderna nicht gut genug waren.).
Der Moderna-Impfstoff hat oft etwas stärkere Nebenwrkungen, aber das ist wenig verwunderlich und fällt weinger ins Gewicht als vor allem die langfristige Robustheit des Impfschutzes: Moderna ist der einzige Impfstoff, bei dem 2 Impfungen noch nach über 6 Monaten einen für die allermeisten Situationen verlässlichen Schutz vor Delta bieten. Biontech schafft das nicht; da muss man 4-5 Monate nach der zweitem Impfung auch schon in normalen Situationen (kurzfristige Kontakte drinnen oder Menschenmengen draußen) aufpassen.
Die meisten Impfdurchbrüche in absoluten Zahlen treten bei 2mal Biontech rund 5 Monate nach Zweitimpfung auf. Relativ zur insgesamt verimpften Menge sind sie aber bei J&J am häufigsten. Moderna (egal ob homo- oder heterolog) spielt in bei Impfdurchbrüchen kaum eine Rolle, zumal man selten sicher sagen kann ob Durchbruch oder schlichtes Versagen (unzureichende Antikörperbildung) vorliegt (Gefälschte Moderna-Impfzertifikate dürften so gut wie keine in Umlauf sein).
Die Biontech-Präferenz der Deutschen ist also nichts weiter als ein Fall von "wat de Buer nich kennt, dat frett he nich", gewürzt mit ein wenig Standortnationalismus.
coconutrebel
@danny schneider Fehlt nur noch ein Fußballvergleich!