Ausstellung „Fantasie und Vielfalt“: Indigenen-Klischees aufgefächert
Eine Lübecker Ausstellung über die First Nations Nordamerikas hinterfragt ironisch Europas „Indianerbilder“ und erzählt von indigenem Widerstand.

Passkontrolle am Flughafen Frankfurt. „Ich komme aus Kanada und gehöre zu den First Nations“, sagt David Seven Deers, Bildhauer der Halkomelem Salish in Vancouver, zu dem Zollbeamten. Der schaut verständnislos, dann lacht er: „Ach so, ein Indianer! Willkommen in Deutschland!“
Nach dieser Begegnung entschied Seven Deers, den umstrittenen Begriff „Indianer“ ganz bewusst zu nutzen. Denn: „Umschreibungen wie „Indigene“ versteht doch hier niemand. Ich will selbst entscheiden, wie ich mich nenne.“
Seven Deers ist seit einigen Monaten in Lübeck, wo er auf dem Domhof an einem „Seelenkanu“ arbeitet, eine Live-Art-Performance. Sie ist Teil der Ausstellung „Fantasie und Vielfalt. Nordamerika in der Sammlung Kulturen der Welt“, die derzeit im Museum für Natur und Umwelt zu sehen ist.
Sie präsentiert 100 zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert entstandene und teils noch nie öffentlich gezeigte Objekte aus den USA und Kanada und befragt sie eingehend: Welche Begriffe, Zuschreibungen, Bilder haben wir von den ersten Bewohnern Nordamerikas im Kopf? Was davon stimmt zumindest teilweise, was ist Klischee und vor allem: Negiert ein so unpräziser wie irrtümlicher Begriff wie „Indianer“ die Vielfalt der allein 600 anerkannten Kulturen dieses Kontinents? Oder sollten wir uns entspannen, wie David Seven Deers vorschlägt?
Die Antwort der Kurator*innen der Lübecker Ausstellung besteht darin, möglichst viele Indigene selbst zu Wort kommen zu lassen, anstatt über sie zu sprechen. Am Anfang der Schau steht ein Zitat von Seven Deers: „Die ersten Indigenen von Amerika sind die Tiere.“ Auf der anderen Seite des Raums laufen aktuelle Musikvideos etwa des Apsáalooke-HipHop-Künstlers „Supaman“.
Schwierig wird es da, wo Außenstehende Kulturen vereinnahmen oder zu Geld machen wollen, wenn etwa Sportclubs pseudo-indigene Logos und Namen nutzen. Oder wenn ein Ensemble aus Playmobil-Figuren einen Totempfahl neben einem Tipi-Zelt enthält und so Kulturelemente verquirlt, die einen halben Kontinent voneinander entfernt lebten.
Überhaupt wimmelt es in Europa vor Stereotypen. Dass Pferde und Glasperlen in den Amerikas vor Kolumbus nicht bekannt waren, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Aber wer weiß schon, dass die meisten indigenen Jäger nicht Fleisch, sondern Fisch erbeuteten, oder dass neben der Kartoffel, der Tomate und dem Tabak auch die Erdbeere von dort nach Europa kam?
Die Lübecker Ausstellung lässt sich aus verschiedenen Perspektiven lesen. Fünf „Pfade“, farblich markiert, befragen die Objekte bezüglich ihrer Herkunft oder als Teil der Natur, der Spiritualität, der Gemeinschaft und des Wandels der Lebensbedingungen.
„Fantasie und Vielfalt. Nordamerika in der Sammlung Kulturen der Welt“: bis 4. 1. 26, Lübeck, Museum für Natur und Umwelt
Ein unscheinbarer Kamm der Nuu-chah-nulth in Westkanada wiederum erzählt die Geschichte systematischer Entfremdung: Kolonisatoren rissen indigene Kinder gewaltsam aus den Familien, um sie in Internate zu zwingen, wo man ihnen als erstes die Haare abschnitt. Lange Haare und Kämme wurden daraufhin zum Symbol indigenen Widerstands.
Heute machen indigene Menschen nur noch 2,3 Prozent der nordamerikanischen Bevölkerung aus. Doch die Kämpfe um Land gehen weiter. Navajo im Südwesten der USA empowern sich dabei durch die Identifikation mit den Helden aus „Krieg der Sterne“, der Film wurde sogar in ihrer Sprache synchronisiert. Wie Luke Skywalker und seine Mitstreiter*innen sehen sie im ungleichen Kampf gegen die Herrschenden die Macht auf ihrer Seite.
Zudem hat US-Präsident Donald Trump gerade an gekündigt, dass er das Gefängnis auf Alcatraz wieder in Betrieb nehmen will. Doch das „American Indian Movement“ meldet seit Jahrzehnten indigene Besitzansprüche auf die Insel an. Es ist die wahrscheinlich bekannteste indigene Aktivist*innen-Bewegung – und sie hat das I-Wort im Namen.
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