In Kroatien und Schottland: Wenn Fischer zu Busfahrern werden
Zwei Fischer erzählen die gleiche Geschichte. Zufall oder bläst der Wind die Fischer tatsächlich ein bisschen weiter Richtung Ende der Welt?
T rotternish klingt wie Holländisch für trottelig, ist aber der Name eines Teils der Inneren Hebriden. Das wiederum klingt wie die Gegend kurz vor dem Ende der Welt, und so sieht sie auch aus.
Trotternish heißt der nördliche Teil der schottischen Isle of Skye, und die ist wirklich himmlisch schön. Trotternish kommt dem Ende der Welt aber auch ganz irdisch gesehen jeden Tag ein bisschen näher: Die Landschaft, die wie von einem surrealistischen Künstler geformt wirkt und aus moosüberzogenen, bizarren Felsnadeln und Erdfalten besteht, entstand nach einem großen Erdrutsch vor 175 Millionen Jahren. Bis heute rutscht die Gegend jeden Tag ein kleines bisschen weiter Richtung Meer.
Vizekanzler Robert Habeck sagte angesichts der Bauernproteste: „Es ist etwas ins Rutschen geraten.“ Seine Rede hörte ich in Trotternish und dachte, dass so eine Rutschpartie aber auch ganz schöne Folgen haben kann.
Im Sommer ist Trotternish von Touristen überflutet, im Winter menschenleer. Dafür gibt es in dieser Jahreszeit Hummer, Langusten, Austern, Muscheln, Lachse und Krabben. Immerhin fährt auch ein Bus. Der 57A umrundet Trotternish sogar zweimal am Tag im Uhrzeigersinn (Portree–Uig–Flodigarry–Staffin–Portree).
Mit Garnelen lässt sich nichts mehr verdienen
Am 3. Tag von 2024 sitzen auf weiten Teilen der Strecke neben mir nur noch zwei weitere Passagiere im 57A. Eine Umrundung dauert etwa 2 Stunden, alle halbe Stunde stellt der Fahrer seinen Bus ab. „Wir halten hier 4 Minuten“, sagt er, zu seinen Passagieren gewendet. „Jeder ist frei, zu tun, was er zu tun hat.“ Sein 4-Minuten-Projekt besteht darin, genüsslich eine Zigarette zu rauchen. Er ist um die 60, tiefenentspannt, hat große Hände, ein Gesicht von Meer, Wind und Sonne gegerbt und nichts von einem Busfahrer. Als ich ihm das in einer der 4-Minuten-Pausen sage, antwortet er: „Richtig. Ich bin ja auch eigentlich Fischer.“
Busfahrer sei er nur geworden, weil mit den Garnelen kein Geld mehr zu verdienen sei. „Weil das Meer keine Garnelen mehr hat?“, frage ich. „Nein. Es gibt genug Garnelen“, antwortet er. „Der Wind ist das Problem.“ „Die Windparks?“, frage ich. „Nein. Der Wind. Er wird immer mehr und immer stärker. September, Oktober, November: Wind, Wind, Wind. Nur im Dezember gab es einige Tage, an denen die Fischer letztes Jahr rauskonnten“, sagt er. Er tritt seine Zigarette aus. Die Pause ist zu Ende. Aber er schiebt noch hinterher: „Die Regierung tut nichts, um uns zu helfen. Nicht die Fische, sondern die Fischer werden aussterben.“
Ich bin ein bisschen baff. Exakt die gleiche Geschichte hatte ich letzten Oktober von einem kroatischen Scampi-Fischer auf der Adria-Insel Krk gehört. Kennengelernt hatte ich ihn, weil er mir seinen alten R4 verkauft hat. Unter Tränen. 30 Jahre habe er das Auto gefahren, aber nun brauchte er Geld. Vom Fischen könne er nicht mehr leben. Auch ihn fragte ich damals „Weil es keine Scampi mehr gibt?“ „Nein. Scampi haben wir hier genug. Wir kommen aber nicht mehr zu ihnen, weil die Winde immer stärker werden. Und die Regierung tut nichts, um das zu kompensieren.“
Verdammt viel Wind
Wenn mir Fischer am Mittelmeer und am Atlantik das Gleiche erzählen, bin ich dann Opfer brancheninterner Propaganda oder bläst der Wind die Fischer tatsächlich noch ein bisschen weiter Richtung Ende der Welt?
In Deutschland hat sich der Verband der Kutter- und Küstenfischer dem Protest der Landwirte angeschlossen. Der Grund: Das Geld, das die Landwirte nun doch kriegen sollen, wird den Fischern weggenommen. Konkret: die Ausgleichszahlungen für wegfallende Fischgründe durch Offshore-Windparks werden gestrichen.
Verdammt viel Wind im Spiel. Und verdammt viel Rumgerutsche. Wäre besser, die Regierungen würden nicht erst warten, bis auch die Fischer mit Kuttern und Bussen den Verkehr lahmlegen, sich von Rechten verrutschen lassen und Politiker an der Angel aufspießen.
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