Impfungen bei Migrant*innen: Niedrige Quote, höhere Bereitschaft
RKI-Zahlen zeigen: Unter Migrant*innen ist die Impfquote niedriger als beim Rest der Bevölkerung. Das liegt auch an einer schlechten Info-Kampagne.
Bremen taz | Erste Erkenntnisse gab es schon, eine Studie des RKI bestätigt jetzt: Ja, es gibt einen relevanten Unterschied bei der Impfquote zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in Deutschland; die Impfquote bei Migrant*innen ist etwa 8 Prozentpunkte niedriger. Zugleich tendieren die noch ungeimpften Personen mit Migrationshintergrund eher dazu, sich noch impfen zu lassen; die Ungeimpften ohne Migrationshintergrund lehnen eine Impfung auch für die Zukunft eher ab.
Das legt das Covid-19-Impfquoten-Monitoring (COVIMO) des Robert Koch-Instituts (RKI) nahe. In dessen Fokuserhebung vom November wurde die Impfquote von Migrant*innen der ersten und zweiten Generation untersucht. Die Ergebnisse wurden am Donnerstag bei einem Pressegespräch des „Mediendienst Integration“ vorgestellt. Sie zeigen: Das Problem ist zu großen Teilen hausgemacht.
Die Impfquote der Befragten ohne Migrationshintergrund liegt in der Erhebung bei 92 Prozent, die der Migrant*innen nur bei 84. Beide Zahlen sind statistisch verzerrt, weil an einer Befragung des RKI wohl eher impfbereite Menschen teilnehmen. Doch die Verzerrung dürfte in beiden Teilgruppen gleich groß und die Aussage über den Unterschied deshalb valide sein.
Aber ist die Herkunft überhaupt die entscheidende Erklärung für die verschiedenen Quoten? Ein Teil der Differenz lässt sich auch durch sozioökonomische Faktoren erklären: Vergleicht man jeweils Altersgruppen, Bildungsgrade und Einkommen der Befragten, nähern sich die Gruppen etwas an.
Eine weitere Erklärung ist Misstrauen in das Gesundheitssystem: Je häufiger die Befragten Diskriminierung jedweder Art im Gesundheitswesen erlebt haben, desto eher sind die Personen ungeimpft – unabhängig von ihrer Herkunft.
Am deutlichsten aber ist der statistische Zusammenhang zwischen Impfquote und Sprachkenntnissen: Wer sich selbst sehr gute Deutschkenntnisse bescheinigt, ist genau so oft geimpft wie Menschen ohne Migrationshintergrund. Wer sein Deutsch hingegen besonders schlecht bewertet, hat mit 75 Prozent die geringste Wahrscheinlichkeit, geimpft zu sein.
Häufiger falsche Informationen
Das erscheint naheliegend: Wer die offiziellen Verlautbarungen nicht versteht, wählt andere Informationswege. „Das RKI hat erst spät Informationen auf anderen Sprachen angeboten“, kritisiert deshalb auch Mosjkan Ehrari von der Initiative Handbook Germany.
Dass Migrant*innen in Deutschland schlechter über die Impfung informiert sind, zeigt sich auch an anderen Daten der Erhebung: Die Befragten hatten häufiger falsche Informationen zur Impfung und waren sich deutlich häufiger unsicher. Besonders viel Irrglauben gab es zu der Frage nach Unfruchtbarkeit oder auch Impotenz nach einer Impfung. Und besonders viele befragte Migrant*innen – 18 Prozent gegenüber 6 Prozent in der Gesamtbevölkerung – glauben, dass die Impfung selbst Corona auslösen könne.
Interessant daran: Die Gesundheitskompetenz von Migrant*innen in Deutschland ist eigentlich nicht schlechter als die der Gesamtbevölkerung. Wie eine Bielefelder Studie zeigt, ist sie sogar geringfügig besser.
Bei der Covid-Impfkampagne, so folgert die Gesundheitswissenschaftlerin Doris Schaeffer, die an der Studie beteiligt war, sei es besonders schlecht gelungen, Menschen mit Migrationshintergrund anzusprechen. „Wir vermissen eine zielgruppenspezifische Ansprache“, sagt Schaeffer. „Aus der HIV-Kampagne weiß man eigentlich, wie Informationen zugänglich werden. Aber das hat man hier alles nicht genutzt.“
Impfbereite wurden nicht abgeholt
Dass die Impfquote höher sein könnte, zeigt sich auch an der prinzipiellen Impfbereitschaft: Mehr als die Hälfte der ungeimpften Migrant*innen gaben in der Befragung an, dass sie sich noch impfen lassen wollen; bei den nichtgeimpften Menschen ohne Migrationshintergrund gab es dazu sehr viel weniger Bereitschaft.
Als Beispiel dafür, wie man es besser machen kann, dient im Pressegespräch Bremen; dort wurden von Anfang an mobile Impfteams und Gesundheitsfachkräfte mit verschiedenen Muttersprachen in die benachteiligte Stadtteile geschickt. Mit Erfolg: das Bundesland mit dem höchsten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund (38,1 Prozent) ist zugleich das mit der höchsten Impfrate (aktuell gut 87 Prozent).
Leser*innenkommentare
Ria Sauter
Gast
Das kann nicht die Lösung sein. Alles in tausend Sprachen zu übersetzen, vielleicht noch in die dazugehörigen Dialekte?
Diese Menschen sind nicht dumm, haben alle die Möglichkeit der Information.
Wenn sie sich impfen lassen möchten, dann würden sie dies auch tun.
Sie sind genauso gegen Impfen wie diejenigen, die Spazierengehen.
Die einen haben Angst vor Unfruchtbarkeit und Impotenz, die anderen vor Bill Gates.
Ist die gleiche Blase!
alf...
Sie bedenken nicht, dass der deutsche Staat uns Migranten ständig diskriminiert hat, er erkennt unsere Studien und unsere Ausbildung nicht an. Man darf zwar drinnen bleiben, aber wenn man sich an das Auslandsamt wendet, obwohl man alle Voraussetzungen erfüllt, wird man behandelt, als ob man versuchen würde, sie zu betrügen, und mit einem gewissen Rassismus. Die Polizei kontrolliert uns und ständig. Deshalb haben wir Migranten kein Vertrauen in den Staat und seine Politik.
Wir sind schon immer betrogen geworden und diskriminiert.
Trabantus
Sehe ich eine Gefahr, vor der ich mich zu schützen wünsche, informiere ich mich über die Möglichkeiten dazu. Und Möglichkeiten der Information gibt es in Deutschland für jeden Menschen zur Genüge.
Holger Steinebach
Ich habe mehrere Jahre im Ausland gelebt. Infos gab es - je nach Land - genau in 2 Sprachen: englisch und spanisch.
Es kann nicht Aufgabe eines Staates sein, in jeder möglichen Sprache zu informieren - das ist eine Bringschuld des hier Lebenden, die Sprache zu lernen. Zudem Corona eine weltweite Seuche ist und damit im Internet sowieso Informationen in Hülle und Fülle zu finden sind - in jeder Sprache.
Badmonstercat
Wundert mich nicht.
Ich habe verschiedenen Städten letztes Jahr geschrieben, weil die Informationen über Corona lediglich auf deutsch und englisch verfügbar waren.
Und zum Beispiel die Aushänge an Spielplätzen in Düsseldorf waren zu kompliziert formuliert. Natürlich nur auf deutsch.
Die Stadt Essen hat mir geantwortet, und mir nen Link von der Seite geschickt mit Videos in den verschiedenen Sprachen.
Das man die Videos nicht so einfach finden konnte wenn man Probleme mit deutsch und englisch hat?
Das Problem wäre das z. B Übersetzungsprogramme nicht rechtssicher wären, falls Fehler darin sein sollten.
Ich denke es ist ein Problem das man oft davon ausgeht das andere die selben Möglichkeiten haben wie man selbst.
Es wäre toll wenn Politiker nicht vergessen würden das nicht jeder in Deutschland in der Lage ist komplexe Informationen zu finden und verstehen.
Und Rechtssicherheit ist manchmal eben nicht unbedingt das Nonplusultra (man könnte da bestimmt etwas zu schreiben um darauf aufmerksam zu machen das die Informationen mit einem Programm übersetzt wurden und man für mögliche Fehler nicht verantwortlich ist)
Nafets Rehcsif
Da ist aber plötzlich sehr viel Verständniss für Ungeimpfte. Waren das nicht gerade noch alle „Covidioten“? Oder Alternative die sich durch die Impfverweigerung implizit zum Rechtsextremismus bekannt haben?
Und diese „Ansprache“, erfolgt die in 2.000 verschiedenen Sprachen?
Und was macht eigentlich Nancy Faeser? Wieso verbietet die die ausländischen Desinformationskanäle nicht einfach?
Und wo sind die Faktenchecker der ARD wenn man sie braucht?
Fragen über Fragen, man blickt nicht mehr durch…
ciaokakao
Von der taz hätte ich einen besser geschriebenen Artikel erwartet: der Gegenbegriff zu “Menschen ohne Migrationshintergrund” ist nicht “Migrant*innen”, sondern “Menschen mit Migrationshintergrund”. “Migrant*innen” =/= “Menschen mit Migrationshintergrund”.
denkmalmeckermalmensch
Für mich überhaupt nicht schlüssig: mangelnde Sprachkenntnisse - > niedrige Impfquote? Das erklärt überhaupt nicht die niedrige Impfquote in östlichen Bundesländern, wo kaum Ausländer:innen leben (wollen). Oder sollte man jetzt Erklärvideos auf Sächsisch anbieten?? Gegen Querulapropaganda hilft das wenig.
nutzer
@denkmalmeckermalmensch ich vermute die quatschdenker sind zahlenmäßig weniger als medial vermutet.
bremen z.B. zeigt, dass eine hohe impfquote möglich ist, aber ich bezweifel, dass das an bremen an sich liegt, ich behaupte dass liegt an der organisation der impfkampagne.
Rudolf Fissner
@nutzer Das liegt einfach nur daran, dass sich so viele Niedersachsen in Bremen haben impfen lassen.
Bremen selber hat keinen Plan wieviele Bremer selber geimpft sind.
Elmar
@denkmalmeckermalmensch "Erklärvideos auf Sächsisch" - sehr geil :-)))
Rudolf Fissner
@Elmar Mobile sprachkundige Impfteams sollte man dort vielleicht auch noch hin schicken.
noevil
Wenn das jetzt - wenn auch sehr spät - er- und bekannt ist, frage ich mich natürlich, was daraus die logische Schlussfolgerung ist. Legt nun endlich die neue Regierung ein mehrsprachiges Informationsprogramm auf, um nachzuholen, was längst geschehen sein sollte? Wahrscheinlich wäre das nicht passiert, wenn die Migrant*innen in den letzten beiden Jahren brav Markus Lanz & Co. geguckt hätten, während die GroKo noch Wahlkampf bzw. Maskendeals etc. betreiben musste.
Herr Minister Lauterbach, übernehmen sie!
Hennes
@noevil Sorry, sehe ich nicht so. Wer in ein fremdes Land kommt, muss halt auch versuchen die Sprache zu lernen. Wenn die Bereitschaft zur Impfung so hoch ist, dann erkundigt man sich, wie und wo man sich impfen lasse kann. Jetzt von einer Regierung zu erwarten, verschiedenaprachige Kampagnen zu starten, ist nicht richtig. Amtssprache ist eben deutsch...
nutzer
ja, da fällt es einem wie Schuppen von den Augen, muß man die Menschen denn wirklich informieren und möglicherweise gar motivieren ?
Die vielen selbstbestimmten Individuen, können sich doch selbst informieren...
Ist doch nicht Aufgabe der Politik und Verwaltung...
unbedeutend
Wenn die Bereitschaft angeblich höher ist, dann frage ich mich, warum nach bald 9 Monaten allgemein verfügbarer Impfungen noch keine Impfung erfolgt ist. Sinn ergibt es nicht. Nach nunmehr 2 Jahren ist meine Solidarität mit jeglichen Ungeimpften ob mit oder ohne Migrationsgeschichte erschöpft. Wer die letzten 2 Jahre nicht unter einem Stein gelebt hat braucht auch keine gesonderte Ansprache mehr, wenn die Furcht vor Unfruchtbarkeit oder Impotenz ein Grund sein soll, dann kann ich auch nur noch den Kopf schütteln.