piwik no script img

Impfstoff von AstraZenecaAngst haben dürfen

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Der kollektive Nutzen jeder Impfung ist unbestritten. Trotzdem sollte sich jedeR selbst ohne jegliche Manipulation für oder gegen die Impfung entscheiden können.

Besteht eine moralische Pflicht zur Impfung, auch mit AstraZeneca? Foto: Dinendra Haria/imago

W enig Verständnis gab es bisher für all jene, die sich den Impfstoff von AstraZeneca lieber nicht spritzen lassen wollten. Die Empörung begann direkt nach dem Impfstart und ersten Berichten darüber, dass ein relevanter Teil der impfberechtigten Pflegekräfte das Angebot ausschlage. Und sie schwoll weiter an, je mehr Impfdosen sich unbenutzt in den Regalen der Impfzentren stapelten. Der moralische Druck zur Astra-Impfung war zwischendurch beachtlich.

Zu Recht? Nach den neuen Erkenntnissen über mögliche Zusammenhänge zwischen der AstraZeneca-Impfung und neun Todesfällen ist diese Frage nicht mehr so leicht zu beantworten. Die Zahlen sind zwar eindeutig: Die Impfung ergibt Sinn. Das individuelle Risiko, sich mit dem Coronavirus anzustecken und dann auch zu sterben, ist für die betreffenden Altersgruppen zwar gering – auch dank der massiven Hygienemaßnahmen.

Das ungesicherte (!) Risiko, infolge der Impfung mit AstraZeneca zu sterben, ist allerdings noch weit geringer – selbst für die Frauen unter 65 Jahren, unter denen es mutmaßlich die meisten Impfkomplikationen gab. Auf einem annähernd ähnlichen Niveau könnten sich die Sterberisiken höchstens bei Untergruppen wie den sehr jungen Frauen bewegen, die sehr selten an Corona sterben. Doch selbst wenn es auf der individuellen Ebene um ein Nullsummenspiel gehen sollte, bliebe der kollektive Nutzen:

Je höher die Impfquote, desto langsamer kann sich das Virus verbreiten, desto weniger Menschen sterben also insgesamt und desto eher können die geltenden Freiheitsbeschränken aufgehoben werden. Besteht deshalb eine moralische Pflicht zur Impfung, auch mit AstraZeneca? Bisher klang das schlüssig, ja. Möglicherweise sind inzwischen aber neun Menschen wegen dieses Impfstoffs gestorben.

Allein das, so klein die Wahrscheinlichkeit auch ist, verbietet jede Herablassung gegenüber Menschen, die sich vor diesem Impfstoff fürchten. Ein Glück, dass für sie Vakzine anderer Hersteller bleiben. Mit weniger Risiko und hoffentlich bald in ausreichender Menge.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • „Man hat immer ein Wahl“, sagte mal einer in einem Film, dessen Titel ich leider vergessen habe.

    • @Rainer B.:

      Mir fiele da "Welche Kämpfe wir auch in uns ausfechten, wir haben immer eine Wahl" ein, Spiderman 3.

    • @Rainer B.:

      Sorry - jetzt hab ich das eine „e“ bei „eine“ auch noch vergessen.



      „Man hat immer eine Wahl“, wollte ich natürlich geschrieben gehabt haben. (Doppeltes Plusquamperfekt)

  • Was soll mir dieser Kommentar jetzt sagen? Wenn der kollektive Nutzen eindeutig ist, dann ist das schön. Eine Impfpflicht gibt es aber nicht und wird es auch kaum geben. Moralische Argumente sind aber natürlich trotzdem völlig berechtigt. Auf der individuelle Nutzen der Impfungen ist völlig unstrittig, nur bei einer extrem kleinen Gruppe überwiegt das Impfrisiko bei Astrazeneca vielleicht das Risiko aus einer Infektion. Zu Astrazeneca gezwungen wird dazu aber niemand, im Gegenteil wird allen unter 60 ein anderer Impfstoff angeboten. Die Situation "Astrazeneca oder nichts" existiert also nur bei über 60- jährigen und bei denen überwiegt der Nutzen jeder Impfung eindeutig. Dass jeder trotzdem Angst hat ist doch normal, da sagt auch keiner was dagegen, nur sollte man doch möglichst mit dem Verstand entscheiden. 9 Tote nachdem über 10 Prozent der Bevölkerung schon mindestens einmal geimpft wurden? Rechne jeder selber. Mir kommt es eher so vor als meine gerade bei den Jüngeren zunehmend ein Teil, diese ganze Virusbekämpferei würde auch ohne sie auskommen, ihr eigenes Risiko schwer zu erkranken sei gering, die Herdenimmunität könnten auch andere besorgen und mit ständigem Testen könne man doch eigentlich ganz normal leben. Klar, das stimmt teilweise, nur je mehr so denken desto gefährlicher. Also, statt über die moralische Keule zu schimpfen lieber mal das Wort "Verantwortung" für sich entdecken.

  • Es muss endlich die freie Impfstoff-Wahl kommen.

    Es gibt Millionen Menschen, die gerne das verschwindend geringe Risiko beim AstraZeneca-Impfstoff akzeptieren und dafür Monate früher geimpft werden. Um sich und die Familie zu schützen.

    Und gleichzeitig können die Menschen mit Bedenken sicher sein, nur mit BioNTech/Moderna/J&J/usw geimpft zu werden.

    Das erhört bei allen die Bereitschaft, zügig einen Impftermin zu machen.



    Win Win.

  • Finde nur ich das unangemessen den Tod als Komplikation zu betrachten?

    • @insLot:

      Das Wort ist nicht schön, aber auf Worte sollte man nichts geben. Und wenn, wie wäre es mit dem Wort "Risiko"? Das "Risiko" kann man auch schön "tragen", "tapfer" vielleicht sogar. Man könnte natürlich aber auch dazu übergehen die "Komplikations- Eintritts- Wahrscheinlichkeit" für alles und jedes zu ermitteln. Dann würde man sich vielleicht gewöhnen. An der Wirklichkeit ändert sich aber nichts.