Impfmüdigkeit in Deutschland: Erst Spritze, dann Disco
Obwohl es immer mehr Impfstoff gibt, scheint die Nachfrage abzuflauen. Jetzt schmiedet die Politik Pläne, um mehr Menschen zu erreichen.
Die Nachfrage nach Terminen in Impfzentren sinkt vielerorts. Und die Hausarztpraxen haben für diese Woche erstmals weniger Impfstoff bestellt als zur Verfügung steht.
Fragt man die Gesundheitsministerien der Bundesländer, gibt es jedoch offenbar große Unterschiede in der Bewertung der Lage. In Schleswig-Holstein wird von einem stabilen Impftempo gesprochen. Auch das von Laschet geführte Nordrhein-Westfalen kann „zumindest grundsätzlich“ keine Impfmüdigkeit feststellen.
Selbst in Berlin, wo in den letzten Wochen bis zu 20 Prozent der Termine in Impfzentren abgesagt oder verschoben wurden, seien die Impfzentren „weitestgehend ausgelastet“. Vermutet wird, dass viele ihre Erst- oder Zweitimpfung in einer Arztpraxis schneller bekommen und deshalb ihre Termine in Impfzentren nicht wahrgenommen haben.
Empfohlener externer Inhalt
Aus Sachsen-Anhalt heißt es jedoch, dass die Termine in Impfzentren zwar noch immer, aber langsamer gebucht würden. Im Saarland sei in dieser Woche zum ersten Mal der Fall eingetreten, dass nicht alle Impftermine in Anspruch genommen worden seien.
In Bayern sieht das ähnlich aus: „Die Impfzentren melden uns zunehmend, dass die Impfungen der Menschen auf den Wartelisten weit fortgeschritten sind, oder dass gar keine Menschen mehr auf der Warteliste stehen“, sagt Klaus Holetschek, bayerischer Gesundheitsminister. Das Sozialministerium in Sachsen vermeldet sogar 20.000 freie Impftermine.
Die Gründe für die sinkende Nachfrage sind unklar. Es könnte sich bemerkbar machen, dass zumindest in einigen Ländern bereits viele, die wollen, geimpft sind. Stellenweise könnte das Angebot also schon die Nachfrage übersteigen. Ob damit die Herdenimmunität in Frage steht, ist ebenfalls völlig offen.
Das Robert-Koch-Institut hat allerdings verkündet, dass angesichts der Deltavariante eine Impfquote von 90 Prozent bei über 60-Jährigen sowie 85 Prozent bei 12- bis 59-Jährigen nötig ist. Bisherige Berechnungen gingen noch von einer Quote von 70 bis 80 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.
Urlaub statt Impfung?
Der Rückgang der täglichen Impfungen könnte aber auch andere Gründe haben. Denkbar ist, dass einige angesichts der niedrigen Inzidenz ihre Impfung aufschieben. Es ist außerdem nicht unwahrscheinlich, dass sich in den Zahlen ein Impf-Sommerloch äußert.
„Viele Patienten, aber auch Ärzte, sind im Urlaub“, meint Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Obwohl der Andrang in den meisten Arztpraxen ungebrochen groß sei, machten sich doch die Schulferien bemerkbar. Außerdem werde deutlich, dass bereits immer mehr Menschen geimpft seien.
Einen Rückgang der Bestellungen nimmt auch Wolfgang Panter, Präsident des Verbands Deutscher Betriebs- und Werkärzte, wahr. „Die Nachfrage ist weiter da, aber natürlich geringer. Das hängt damit zusammen, dass schon sehr viele Menschen geimpft sind.“ Wenn die Zweitimpfungen durch Betriebsärzte allerdings Fahrt aufnähmen, könnten die Bestellungen wieder steigen.
Eine Debatte darum, wie sich mehr Menschen für eine Impfung erreichen lassen, kommt langsam in Gang. Nachdem in den vergangen Tagen Strafen für „Impfschwänzer“ diskutiert wurden, forderte Gesundheitsminister Jens Spahn am Mittwoch im ARD-„Morgenmagazin“, es müsse „ein Impfruck durch Deutschland gehen“.
„Hürden zur Impfung müssen abgesenkt werden“
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schlug vor, „nicht nur in Arztpraxen und Impfzentren, sondern in Ausgehmeilen“ zu impfen – an belebten Plätzen oder auch vor Bars und Clubs. „Die Hürden zur Impfung müssen so weit wie möglich abgesenkt werden“, sagte der SPD-Mann dem Portal Business Insider am Montag. Man müsse mit den Impfungen dorthin, wo die Menschen sind.
Die pflege- und altenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Kordula Schulz-Asche, forderte vergangene Woche mehr Aufklärung, um den Zögerlichen entgegenzukommen.
„Diejenigen, die verunsichert sind, müssen durch gezielte Information und Aufklärung über die Wirkung und Sicherheit der Impfstoffe informiert werden“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus halte laut RND gar Anreize wie Freizeitpark- oder Museumsbesuche für sinnvoll.
Während einige Bundesländer ihre Impfangebote schon jetzt für hinreichend halten, um alle Menschen zu erreichen, gibt es in anderen Ländern Pläne, wie man das Impftempo weiter oben halten könnte. Die Devise: In Zukunft soll vor allem noch stärker auf Öffentlichkeitsarbeit, aber auch auf ein niedrigschwelligeres Impfangebot gesetzt werden.
Mehr mobile Impfteams
„Klar ist: Wir kommen demnächst in eine Phase, in der wir die Impfungen stärker bewerben müssen als vorher“, sagt der bayerische Gesundheitsminister Holetschek. Dafür habe man bereits eine neue Informationskampagne gestartet.
„Zudem ist es wichtig, dass wir die Menschen dezentral erreichen – dort, wo sie leben.“ Mobile Impfteams seien in Zukunft das zentrale Element, die Impfung gezielter zu den Menschen zu bringen.
Aus dem Sozialministerium Sachsen heißt es: „Wir bereiten gezielte Informationen von impfskeptischen Milieus vor, bei denen wir die Informationen anbieten, die für eine Impfentscheidung eventuell noch fehlen.“
Man wolle auch eine neue Motivationskampagne starten, in denen Menschen erzählen, warum sie sich haben impfen lassen, um die „Euphorie für eine Impfung zu wecken“. Außerdem seien schon jetzt Impfungen ohne Termine möglich, was in der nächsten Zeit noch verstärkt der Fall sein solle.
Um mehr Menschen zu erreichen, sind ebenfalls in Rheinland-Pfalz Schritte geplant. „Aktuell arbeiten wir daran, die Impfungen noch leichter zugänglich zu machen und weiter in die Fläche zu tragen.“ Stadtteilimpfungen, Sonderimpfungen mit den Kommunen und für junge Erwachsene seien nur erste Maßnahmen.
„Zusätzlich sollen die Öffentlichkeitskampagne zum Impfen nochmals gestärkt und regionale und zielgruppenspezifische Sonderimpfaktionen mit mobilen Impfteams gestartet werden“, heißt es aus dem Gesundheitsministerium.
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