IT-Konzern Alibaba geht an die Börse: Ha – billiger!
Der IT-Konzern Alibaba hat den Onlinehandel in China populär gemacht. Sein Börsengang in New York könnte der bislang größte der Geschichte werden.
BEIJING taz | Wie so viele Pekinger verbringt auch Wang Yue ihr Wochenende gern einmal in einem Shopping Center. Die 27-Jährige bummelt durch die üppig geschmückten Passagen, probiert in Modegeschäften Kleidungsstücke an. Vor Ort gekauft wird aber nicht. Noch während sie eine Bluse zwischen Arm und Brust klemmt, tippt Wang Yue mit beiden Händen eifrig auf ihrem Smartphone und ruft die Homepage von Taobao auf. „Ha – 60 Prozent billiger!“, sagt sie und schickt die Bestellung ab. „In zwei Stunden steht das Paket vor meiner Haustür. Und ich muss nicht einmal Tüten nach Hause schleppen.“
Wang Yue ist eine von Millionen Chinesen, die so einkaufen. Geschäfte werden zwar gern aufgesucht, aber nur, um zu schauen. Der Kaufrausch spielt sich vor allem im Internet ab. Nicht zuletzt deswegen hat sich die Volksrepublik binnen wenigen Jahren zur weltweit größten Nation des Onlinehandels entwickelt. Allein im Vorjahr erwarben chinesische Konsumenten nach Angaben der Zeitung China Daily Waren im Wert von 1,8 Billionen Yuan online, das entspricht rund 220 Milliarden Euro. Damit hat die Volksrepublik die USA als größtes Land im Internethandel abgelöst. Fast 10 Prozent des chinesischen Einzelhandelsumsatzes findet inzwischen im Netz statt.
Die unangefochtene Nummer eins unter den E-Commerce-Anbietern ist Taobao. Die Einkaufsplattform des Mutterunternehmens Alibaba zählt bereits zu den zehn am häufigsten aufgerufenen Webseiten der Welt. Vor dem Hintergrund dieser Aussichten will Alibaba in den kommenden Wochen an der Wall Street debütieren. Nachdem der chinesische Internetriese im Mai seine Börsenzulassung beantragt hatte, soll Finanzkreisen zufolge der endgültige Ausgabepreis der Papiere am 18. September festgesetzt und danach der Handel starten. Auch ein Kürzel für den Handel steht bereits fest: Alibaba soll unter dem Kürzel „Baba“ gelistet werden.
Die Erwartungen sind bereits jetzt gigantisch. Vor zwei Wochen legte Alibaba seine jüngste Geschäftsbilanz vor. Um fast weitere 50 Prozent zogen die Umsätze im zweiten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum an und lagen bei 2,54 Milliarden Dollar. Was die Börsianer zudem beeindruckt, ist der Gewinn. Er betrug fast 2 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Facebook verbuchte einen Nettogewinn von 791 Millionen Dollar. Mit bis zu 200 Milliarden Dollar wird das chinesische Unternehmen derzeit bewertet. Es könnte der größte Börsengang der Geschichte werden.
Vom Lachs bis zum BMW
Auf den ersten Blick wirkt die Internetseite von Taobao unübersichtlich. Überall blinkt es, Werbebanner poppen auf. Doch wer sich einmal einen Überblick verschafft hat, dem eröffnet sich eine Angebotsvielfalt, die ihresgleichen sucht. Räucherlachs vom kanadischen Lorenzstrom, italienische Tintenfischnudeln, selbst gebastelter Schmuck aus Mexiko, aus Deutschland importiertes Milchpulver oder aufgemotzte BMWs – über 700 Millionen Artikel finden sich auf Taobao. Und genau das ist der Grund, warum Alibaba so erfolgreich ist.
Das Kerngeschäft von Alibaba bestand ursprünglich aus einer simplen Internetkontaktbörse. Alibaba-Gründer Jack Ma kannte in seiner Heimatstadt Hangzhou viele Privatunternehmer, die Geschäftskontakte zu ausländischen Unternehmen suchten. Doch die behördlichen, kulturellen und vor allem sprachlichen Barrieren waren hoch. Hangzhou war schon damals eine beliebte Touristenstadt, und Ma hatte zunächst als Fremdenführer Erfahrungen mit Ausländern gesammelt. Später lernte er als Englischlehrer die Berührungsängste der Chinesen kennen.
Das brachte Ma auf die Idee, beide Seiten zusammenzubringen – über das Internet. Einkäufer aus aller Welt fanden über die Kontaktbörse ihre chinesischen Zulieferer für Unterhosen, Bananen oder große Lastfahrzeuge. Mittelständler fanden ihre Geschäftspartner. Bereits im ersten Jahr zählte Alibaba mehrere tausend Kunden. Heute handeln weltweit mehr als 80 Millionen meist kleine und mittelständische Firmen über Alibaba mit chinesischen Partnern.
Obwohl Jack Ma von Beginn an mit Alibaba eine Lücke füllte, haftete Alibaba wie auch den meisten anderen chinesischen Internetfirmen der Ruf an, ein „Abklatsch“ westlicher Größen wie Amazon und Ebay zu sein. Der Grund: Als die US-Firmen Ebay und Amazon Anfang 2003 auf dem chinesischen Markt Fuß fassen wollten, gründete Alibaba fast zur gleichen Zeit mit Taobao sein eigenes Auktionsportal.
Die Firma: Die Alibaba Group hat ihren Sitz im chinesischen Hangzhou. Das Unternehmen wurde im Jahr 1999 von Jack Ma gegründet. Den Namen Alibaba suchte sich Ma unter anderem deswegen aus, weil er überall auf der Welt leicht auszusprechen ist. Das Unternehmen beschäftigt weltweit mehr als 22.000 Mitarbeiter.
Der Gründer: Jack Ma wurde 1964 geboren. Er war der erste chinesische Unternehmer, der auf dem Cover des US-Magazins Forbes abgebildet war. 2013 zog er sich aus dem aktiven Geschäft zurück. Sein Vermögen wird auf 10,4 Milliarden Dollar geschätzt.
Auch auf Taobao können Nutzer Waren anbieten und innerhalb einer bestimmten Frist versteigern. Doch Taobao unterscheidet sich von Amazon und Ebay. Ein eigenes Warenangebot wie Amazon bietet Alibaba nicht an – und spart so teure Warenhauskosten. Auch auf Einstellgebühren, wie sie Ebay verlangt, verzichtet Alibaba. Einnahmen generiert das Unternehmen vorwiegend über Werbung. Nur wer seine Produkte prominent platzieren will, muss zahlen.
Konsum bis in jede Provinz
Mit Alipay etablierte Alibaba zudem ein eigenes Bezahlsystem. Ein weiteres lukratives Standbein. Anders als beim US-Konkurrenten Paypal wird der vorläufig hinterlegte Kaufbetrag erst für den Verkäufer freigegeben, wenn die Ware beim Empfänger eingetroffen ist. Das entspricht dem chinesischen Bedürfnis nach Sicherheit beim Online-Shopping, mehr als das Verfahren von Paypal. So konnte sich Alipay landesweit durchsetzen.
Von diesen Angeboten machen die Chinesen heute eifrig Gebrauch. Sie bestellen ihre Getränkekisten online, Windeln, Katzenstreu, Möbel, Tiefkühlprodukte und ganze Fertighäuser. Gerade die Generation zwischen 20 und 30 hat dieses Konsumverhalten stark verinnerlicht. „Etwa eine Stunde am Tag verbringe ich im Schnitt auf Taobao“, gesteht Wang Yue.
Hinzu kommt die Zeit, die sie auf das ständige Annehmen und Verschicken von Paketen aufwendet. Passt oder gefällt der Rock nicht, wird die Ware zurückgeschickt. So wie Wang Yue bestellen viele ein Kleidungsstück, ziehen es ein- oder zweimal an und senden es dann retour. Mit dem Bezahlsystem Alipay lassen sich zudem Flug- und Zugtickets bestellen, Kreuzfahrten buchen, Taxis rufen, Bankgeschäfte regeln und die Krankenhausrechnung begleichen. So weit reicht das Angebot von Amazon oder Ebay nicht.
Was Alibabas Onlinehandel in China so attraktiv macht: Das ganze Land ist damit zu erreichen. Wer seine Verkaufsidee ins Netz stellt, erreicht auch den entlegensten Winkel. Während aber anderswo der Onlinehandel auf Kosten der Ladengeschäfte in den Innenstädten geht, ist dieser Effekt in China ausgeblieben. Denn in zahlreichen Städten und Regionen hat es viele Läden gar nicht gegeben. Internationale Marken etwa haben sich vorwiegend in Schanghai, Peking und in Küstenstädten niedergelassen. Auf dem Land, wo nach wie vor knapp die Hälfte der chinesischen Bevölkerung lebt, hat der Onlinehandel Massenkonsum erst möglich gemacht.
Nur eines geht bislang noch nicht, zumindest nicht offiziell: Für den chinesischen Normalbürger wird es beim Börsengang von Alibaba in New York nicht möglich sein, selbst unmittelbar Anteilseigner zu werden. Den Kapitalmarkt hat die chinesische Führung für seine Bürger bislang nicht freigegeben. Doch Kundin Wang Yue ist zuversichtlich: Irgendwo in der weit verzweigten Alibaba-Welt müsste es auch möglich sein, Aktien der Firma zu erwerben. „Auf Taobao findet sich doch alles.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren