Hype um digitale NFT-Kunstwerke: Virtuelles Nichts oder Kunst?
Zertifikate sollen an sich kopierbare Digitalkunst zu Unikaten machen. Unser Autor hat sich solch ein NFT-Werk gekauft und war genervt.
NFTs werden zurzeit als die Hoffnung für digitale Kunst dargestellt. Sie sollen eine Methode sein, digitale Kunstwerke, die zuvor auf dem Kunstmarkt keinen leichten Stand hatten, so easy zu verkaufen wie Gemälde oder Skulpturen. Das ist nicht so, wie ich nun am eigenen Leibe erfahren habe. Ein NFT-Kunstwerk zu erwerben ist ein umständlicher, langwieriger und nerviger Prozess.
Aber zunächst mal für alle, die gerade erst zugestiegen sind: NFT steht für Non-Fungible Token, also ein einmaliges, digitales Zertifikat. Es ist ein Stück Hexadezimalcode, den man mit einer Kryptowährung wie Bitcoin oder Ether erwerben kann und der als Beweis für die Originalität zum Beispiel eines digitalen Videos, eines Memes oder einer GIF-Animation betrachtet wird, weil dieser Code in der Blockchain, einer dezentralen Datenbank im Internet, registriert ist.
Mit dieser Methode haben einige Künstler zuletzt ordentlich Geld verdient. Die Popsängerin Grimes konnte so – scheinbar – die Eigentumsrechte an ein paar potthässlichen Musikvideos für Millionensummen verkaufen. Der Grafiker Beeple verkaufte beim Auktionshaus Christie’s gar ein NFT für sein Lebenswerk „Everydays“ für knapp 70 Millionen Dollar an einen Geek in Singapur.
Ich schreibe seit einem Vierteljahrhundert über digitale Kunst. Seit Ende der 90er Jahre kenne und beschreibe ich das Problem, dass Künstler, die im Internet oder mit digitalen Medien arbeiten, Schwierigkeiten haben, diese Arbeiten auf dem Kunstmarkt zu platzieren. Denn digitale Dateien sind verlustfrei kopierbar. Es gibt kein auratisches Original wie bei einem Ölgemälde, sondern nur tendenziell endlose Kopien und Kopien von Kopien.
Manche Digitalkünstler unterrichten darum an Kunstakademien oder schaffen auch leichter verkäufliche traditionelle Kunstwerke, um mit ihrer Arbeit Geld zu verdienen. Schon lange vor dem Aufkommen der NFTs gab es aber auch Künstler, die tatsächlich digitale Kunst verkauft haben. Der holländische Künstler Rafael Rozendaal – der zuletzt für sechs NFT insgesamt 1 Million Dollar bekommen hat – verkauft schon seit Jahren einzelne Websites an Sammler.
Besitz aktenkundig machen
Andere Künstler haben mit den Käufern ihrer Werke Verträge abgeschlossen oder ihnen Echtheitszertifikate ausgestellt, die ihren Besitz aktenkundig machen.
Man braucht also nicht unbedingt NFTs, um die Originalität eines digitalen Kunstwerks zu attestieren – zumal auch die Registrierung in der Blockchain keineswegs den Ewigkeitswert haben muss, der ihr immer unterstellt wird. Die Erfahrung mit Computern zeigt vielmehr, dass Betriebssysteme und Software, Internetverzeichnisse und digitale Dokumente schnell veraltet oder ganz perdu sind.
Ich gönne es jedem Netz- und Computerkünstler, dass es nun eine neue Methode gibt, mit ihren Arbeiten Geld zu verdienen. Ich persönlich hatte solche Käufe für mich jedoch ausgeschlossen. Doch dann erschien bei Twitter in meiner Timeline der Hinweis auf die Arbeit „Zen for NFT“ des Münchner Künstlers Volker Möllenhoff. Der hatte eine Arbeit geschaffen, die sich mit der technischen Grundlage von NFTs beschäftigt.
Funktion neuer Medien
Netzkunstarbeiten, die die Bedingungen ihrer Existenz untersuchen und kritisch in die Funktionsweise neuer Medien intervenieren, sind der Grund, warum ich mich für dieses Genre interessiere. Ich nahm mit dem Künstler Kontakt auf, um die Arbeit zu erwerben.
„NFT for Zen“ wurde bei der NFT-Börse Openseas angeboten. Dort befindet es sich in der Gesellschaft von kleinen Animationen und digitalen Bildern, die von einer Armee frisch gebackener Künstler geschaffen werden, die am derzeitigen NFT-Boom partizipieren wollen. Die meisten von ihnen könnten kaum banaler sein: Manga-artige Gestalten und Landschaften wie aus einem Fantasy-Epos, Comicfiguren und kleine Wackelanimationen.
Volker Möllenhoff aber hat gar kein Bild geschaffen, sondern bei Openseas eine Datei hochgeladen, die zwar für einen Computer wie eine Bilddatei aussieht, aber keinerlei Daten enthält – ein sogenanntes Zero-Byte File. Wenn man sich die Arbeit auf der Plattform ansehen will, versucht diese ein Bild zu zeigen, das es überhaupt nicht gibt.
Mir gehört eine leere Datei
Stattdessen sieht man lediglich einen „Throbber“, also einen kleinen rotierenden Kreis, der signalisiert, dass da etwas geladen wird – so ähnlich wie bei YouTube, wenn das Video nicht starten will. Ich habe also im Grunde nichts gekauft – wie übrigens auch alle anderen NFT-Inhaber. Ich besitze lediglich ein Stück Code, das beweisen soll, dass mir diese leere Datei gehört.
Der Titel „Zen for NFT“ bezieht sich übrigens auf eine historische Arbeit von Nam Jun Paik: „Zen for film“ (1963), ein Film ohne Bilder, der durch seine Vorführung im Projektor langsam Staub fängt und zerkratzt, wodurch das projizierte Nichts mit Spuren seiner physischen Existenz markiert wird.
Auch meine Arbeit beginnt langsam, Spuren der Zeit zu zeigen. Wohl weil im Hintergrund immer weiter an der Programmierung der Plattform gearbeitet wird, verändert sich auch die kleine Animation immer wieder: Der rotierende Kreis wurde in den zwei Monaten, seit ich dieses Nichtwerk „besitze“, erst kleiner, dann wieder größer. Aktuell wird oben und unten ein Teil des Kreises abgeschnitten.
Zeichen von Vergänglichkeit
Das „ewige“ digitale Kunstwerk zeigt also bereits Zeichen seiner Vergänglichkeit. Vielleicht kommt irgendwann jemand bei Openseas auf den Trick mit dem Zero-Byte File und macht dieser Fehlfunktion ein Ende. Dann verweist mein NFT sichtbar auf ein Nichts.
Um als Inhaber dieses Werks zu gelten und es nun auf meinem Smartphone staunenden Kunstfreunden zeigen zu können (die bragging rights dürften neben Spekulation der Hauptgrund sein, warum sich Leute solche Werke überhaupt zulegen), musste ich ein mühsames Verfahren über mich ergehen lassen. Zunächst musste ich mich bei einer Börse für Kryptowährungen anmelden – denn bei Openseas kann man nur mit dem Digitalgeld Ether bezahlen.
Um Ether zu kaufen, musste ich wiederum ein Konto bei der Onlinebank eröffnen, mit der die Kryptobörse zusammenarbeitet – inklusive einer Onlinevideokonferenz, bei der ich einer schemenhaften Gestalt am anderen Ende per Webcam meinen Personalausweis zeigen musste, um meine Identität zu bestätigen. Der Vorgang hatte etwas dezidiert Anrüchiges.
Gebraucht: 0,1 Ether
Dann musste ich Geld von meinem Bankkonto auf das neue Konto überweisen, um Ether erwerben zu können. Da der Kurs der Kryptowährung in dieser Zeit dauernd kletterte, stieg auch der Preis für die 0,1 Ether, die ich benötigte, um „Zen for NFT“ zu erwerben. Ich musste im Wettlauf mit dem Kurs mehrfach Geld nachschießen, bis ich endlich genug zusammen hatte, um ein Zehntel Ether bei einem mir persönlich unbekannten namenlosen Trader mit einem Bankkonto bei der Stadtsparkasse Villingen zu erwerben – denn Kryptowährungen werden nicht von den Kryptobörsen selbst angeboten.
Die sind nur Vermittlungsplattformen, auf denen die Inhaber von Kryptogeld dieses zu ständig nach Angebot und Nachfrage wechselnden Kursen hin und her verkaufen.
Zum Schluss musste ich noch ein „Wallet“, also eine virtuelle Geldbörse, bei der Firma Metamask anlegen, um bei Openseas Digitalkunst shoppen zu können. Um diese Transaktionen zu sichern, war ein Wust von Passwörtern und aufs Handy geschickten PINs notwendig. Sollte ich ein Passwort vergessen und die Datei, in der es verzeichnet ist, verbaseln, ist alles futsch. Ob Metamask, Openseas oder die Kryptobörse im kommenden Jahr noch existieren, weiß natürlich kein Mensch.
Ein schlechtes Geschäft
Als Investition war das Ganze übrigens ein schlechtes Geschäft: Seit meinem Kauf ist der Kurs von Ether dramatisch gesunken. Das kann man gleich am Openseas-Listing ablesen – es ist, als ob ein Kunstwerk immer zusammen mit seinem Preisschild ausgestellt würde.
Es gab zwar schon einen Kaufinteressenten, der mir 0,15 Ether für „NFT for Zen“ geboten hat. Ich bin darauf aber nicht eingegangen. Lieber erfreue ich mich weiter daran, wie sich ein kleiner rotierender Kreis in meinem Browserfenster gelegentlich etwas verändert. Und daran, dass ich ein virtuelles Nichts „besitze“, durch das der Künstler das ganze NFT-System ad absurdum geführt hat.
Volker Möllenhoff war übrigens freundlich genug, mir zwei signierte Drucke der Arbeit und des absurd langen, dahinter verborgenen Codes zu schicken – ganz altmodisch auf Papier. Das bleibt auch dann, wenn die Blockchain irgendwann ins virtuelle Nirwana verschwinden sollte. Sicher ist sicher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Bombenattentat in Moskau
Anschlag mit Sprengkraft
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf