Guerilla-Aktion mit Songs als NFTs: Nicht der Hit

Auf einer US-Website wurden Urheberrechte von Songs auf Spotify kurzzeitig als Non-Fungible Tokens zum Verkauf angeboten. Was war das Ziel?

Sternenhimmel

Du erblickst einen Stern, der dir so gut gefällt, dass du ihn am liebsten besitzen möchtest… Foto: Tuchon/imaginechina/imago

Stell dir vor, du liegst in der Nacht auf einer weiten Wiese. Der Himmel ist klar. Du schaust nach oben und erblickst einen Stern, der dir besonders gut gefällt. So sehr, dass du ihn am liebsten besitzen möchtest. Internetseiten wie Online Star Register machen genau das möglich. Hier kannst du deinen Stern kaufen, der Einstiegspreis ist 24 Euro („Perfekt als Last-Minute-Geschenk“, verspricht die Website). Ändert das etwas an deinem Himmelskörper? Nein. Hält dein Besitz andere Menschen davon ab, den gleichen Stern anzugucken? Nein. Was hat diese Transaktion dir also gebracht? Ein Zertifikat, auf dem steht, dass dieser Stern dir gehört.

So in etwa funktionieren Non-Fungible Tokens, kurz NFTs. Dahinter verbirgt sich das Versprechen, dass ein digitales Objekt – etwa ein Bild oder ein Song – dir gehört. Da es sich hier um nicht greifbare Aneinanderreihungen von Einsen und Nullen handelt, geht es hier um ein abstraktes, fast schon esoterisches Gefühl von Besitz. Die Technologie hinter NFTs ist extrem komplex, ein Dickicht aus Krypto-Fangwörtern wie Ethereum, Blockchain und Web3. Befürworter sehen jene NFTs als Rettung des Kunstmarkts – und als große Geldquelle, denn mit dem Spekulieren auf diese Zertifikate („Tokens“) lässt sich gutes Geld verdienen. Kritische Stimmen betrachten NFTs als äußerst unsichere, extrem energieaufwendige und demnach klimaschädliche Luftschlösser.

Bisher existierten NFTs in ihrer eigenen Bubble. Krypto-Enthusiasten schieben sich künstlerisch fragwürdige JPEGs von Cartoon-Affen hin und her – für mitunter astronomische Summen. Doch vor wenigen Tagen schlug ein US-Tech-Start-up in den Mainstream ein.

Startpreis 100 US-Dollar

Die Rede ist von Hitpiece, einer Website, die sich auf die Versteigerung von Musik-NFTs spezialisiert hatte. Am 1. Februar gingen die Gründer aber ein paar Schritte zu weit: Hitpiece bot urplötzlich einen großen Teil des Spotify-Katalogs zum Verkauf an. Egal ob Elton John, Billie Eilish oder die Indie-Band von nebenan: Für den Startpreis von 100 US-Dollar konnte auf viele der auf der Strea­ming-Plattform verfügbaren Hitsongs geboten werden.

Dass das illegal ist, sollte außer Frage sein. Denn kei­ne*r der Künst­le­r*in­nen hatte dazu eingewilligt. Diese Dreistigkeit konnte nicht lange bestehen. Schöp­fe­r*in­nen der auf Hitpiece verscherbelten Kunst zeigten sich bestürzt: So schrieb US-Musiker Ted Leo von „spätkapitalistischen Aasfressern“, die „uns das letzte Knochenmark aussaugen“. Binnen weniger Stunden nahm Hitpiece die Auktionen wieder von ihrer Website.

Nachdem der US-Musikindustrieverband Recording Industry Association of America (RIAA) am Wochenende rechtliche Schritte ankündigte, entschuldigte sich Hitpiece: Unsere „Mission ist es, spaßige Erlebnisse für Musikfans im Metaverse anzubieten und neue Einnahmequellen für Künst­le­r*in­nen zu generieren“.

MC Serch von 3rd Bass

Dachten die Gründer von Hitpiece wirklich, mit dieser Aktion durchzukommen? Es wäre naiv, zu glauben, dass hinter diesem Fiasko nur Unbeholfenheit steckt. Einer der Gründer ist Rory Felton, Gründungsmitglied der American Association of Independent Music und Chef des später von Sony aufgekauften Labels The Militia Group. Ein anderer ist MC Serch, Rapper der New Yorker HipHop-Crew 3rd Bass und ein Veteran des US-Musikbiz. Hinter Hitpiece stecken also Macher, die genau wissen, wie der Musikmarkt – und das Urheberrecht – funktioniert.

Was ihr Coup auf jeden Fall bewirkt hat: Von einem Moment auf den anderen wurden unzählige Mu­si­ke­r:in­nen und Labels mit dem Thema NFTs konfrontiert. Ein Nischenthema wurde mit Massenwirkung auf einmal relevant. Wenn von 100 Personen 99 allergisch auf die Hitpiece-Aktion reagieren, bleibt vielleicht eine, die das Konzept reizvoll findet.

Auch bislang gegenüber NFTs gleichgültig eingestellte Major-Labels könnten nun hellhörig geworden sein – oder sogar selbst in den Krypto-Markt einsteigen, damit bloß niemand anderes mit „ihren“ Werken Geld verdienen kann. Hitpiece haben durch maximale Dreistigkeit ein paar neue Kunden für ihren Sternenhandel gewonnen.

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