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Hunderttausende demonstrieren in PolenKein „gemeinsamer Marsch“

Anlässlich des 100. Unabhängigkeitstags hatten Regierung und Rechtsradikale zur Demo aufgerufen. Die PolitikerInnen wurden abgeschirmt.

Mehr als 200.000 Menschen sollen dem Aufruf der Regierung gefolgt sein Foto: reuters

Warschau taz | Blutrot wälzt sich der Demonstrationszug durch Polens Hauptstadt. Anlässlich der polnischen Unabhängigkeit vor 100 Jahren grölen rechtsradikale Gruppen rassistische und ausländerfeindliche Parolen. Dabei hätten die Straßen an diesem 11. November eigentlich anders aussehen sollen: „Würdig und patriotisch“ – so wünschten sich Polens Präsident Andrzej Duda und Premier Mateusz Morawiecki den Ablauf des von ihnen initiierten Marschs.

Dabei haben die regierenden Nationalpopulisten schon in den vergangenen drei Jahren mit der bisherigen Tradition des Präsidentenmarsches gebrochen. Seitdem überlassen sie ihn rechtsradikalen Organisationen wie der Nationalen Bewegung und dem Nationalradikalen Lager.

Wegen Sicherheitsbedenken hatte sich die Oberbürgermeisterin Warschaus, Hanna Beata Gronkiewicz-Waltz, vor Kurzem entschlossen, den Nationalistenmarsch zu verbieten. Bevor das Gericht darüber entscheiden konnte, kündigten Präsident Duda und Premier Morawiecki ihren eigenen „Rot-Weißen Marsch“ an, der zur selben Zeit wie der geplante Unabhängigkeitsmarsch stattfinden sollte.

Duda gibt sich verantwortungsbewusst

Als das Gericht entschied, dass der Unabhängigkeitsmarsch unter Versammlungsfreiheit falle und demnach stattfinden dürfe, traten Premier und Präsident in Verhandlungen mit den Rechtsradikalen. Freitagnacht, zwei Tage vor dem großen Marsch, schlossen sie einen Kompromiss: Unter Führung von Duda und Morawiecki solle ein „gemeinsamer Marsch“ stattfinden.

Allerdings lediglich mit der rot-weißen Nationalflagge. Auf den Social-Media-Seiten der Rechtsradikalen hieß es daraufhin, jeder könne selbstverständlich seine üblichen Flaggen, Transparente mitnehmen. Die Regierungsmitglieder würden unter Militärschutz vorangehen, dann folge der Marsch – und so kam es dann auch.

Dabei hatten Duda und Morawiecki vorab die gesamte Bevölkerung eingeladen, am „gemeinsamen Marsch“ teilzunehmen. Duda behauptete sogar, er werde „alle Verantwortung übernehmen“, da er sich nicht vorstellen könne, eine Demonstration anzuführen, bei der rassistische Tranparente hochgehalten würden.

Beim Marsch am Sonntag, an dem laut Polizei rund 200.000 Menschen teilnahmen, lief der Regierungsblock dann hunderte Meter vor der eigentlichen Demonstration – geschützt und abgeschirmt. Auf der anderen Weichselseite angekommen, flohen sie vor den beißenden Bengalo-Rauchschwaden in ihre bereitstehenden Limousinen.

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4 Kommentare

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  • Die drei Verbrechen Polens in den ersten zwanzig Jahren seiner Unabhängigkeit

    Vielleicht ist der 100. Jahrestag der Unabhängigkeit Polens ein geeigneter Anlaß, einen Blick auf die Politik des Landes in der Zwischenkriegszeit zu werfen. Die Bilanz des polnisch-jüdischen Schriftstellers Julius Margolinwar war hierzu eindeutig: „In den zwanzig Jahren seiner Unabhängigkeit hatte das Polen der Legionen drei Verbrechen zu beklagen, für die es jetzt büßen mußte: drei Fehler, von denen jeder ein Verbrechen vor der Geschichte und dem menschlichen Gewissen gleichkam. Das erste Verbrechen war seine Politik - die Politik eines Volkes, das eben erst das Joch nationaler Unterdrückung abgeschüttelt hatte - gegenüber den nationalen Minderheiten. Weißrussen, Ukrainer, Litauer und Juden wurden im polnischen Staat unterdrückt, sie waren nicht gleichberechtigt. Das zweite Verbrechen war die inhumane, aggressive Ideologie der polnischen Rechten, jener innenpolitische Zynismus, der - zumal nach Piłsudskis Tod - die Hitler‘schen Methoden auch in der polnischen Gesellschaft populär gemacht hat und der das moralische Antlitz des polnischen Volkes bis heute zu einer antisemitischen Grimasse verzehrt. Das dritte Verbrechen war die Außenpolitik, der fehlende Wille zur Verteidigung der europäischen Demokratie, der 1938 in einem schändlichen Verrat zum Ausdruck kam: Polen half Deutschland bei der Aufteilung der Tschechoslowakei und knüpfte damit selbst die Schlinge, die sich später auch um seinen Hals legte. Hitler bediente sich Polens, um die Tschechoslowakei zu vernichten, und ein Jahr später bediente er sich Rußlands, um Polen zu vernichten.“ (Julius Margolin, Reise in das Land der Lager, Suhrkamp 2013, S. 16)

  • Polen zeigt mal wieder seine hässliche faschistische Fratze.

    • @Sven S:

      Diese "Fratze" wird ihr lediglich von Frau Lesser draufgepinselt.



      Und was "wieder" betrifft - dieses LAnd verurteilte über Jahrzehnte nur einen Bruchteil (1-5%) der Kriegsverbrecher, hatte einen NSDAP-Bundeskanzler und erlaubt gerichtlich (und unter Beifall) immer noch, dass etwa zwei Duzend solcher Glocken hängen:

      www.spiegel.de/pan...gen-a-1195540.html

      www.n-tv.de/panora...ticle20683025.html

      • @agerwiese:

        Wie ich es schon mal sagte in diesem Forum, gehen sie mal mit einer dunkelhäutigen Frau durch eine polnisch besiedelte Stadt.

        Solche Anfeindungen sind uns in Deutschland, auch in Sachsen, nie passiert.