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Humanitäre Korridore in der UkraineDer Gipfel des Zynismus

Kommentar von Barbara Oertel

Putin will in der Ukraine humanitäre Korridore nach Russland und Belarus einrichten – welch Farce. Es wäre ein Fluchtweg ins Verderben.

In Rumänien in Sicherheit: ein geflüchtetes Kind aus der Ukraine in einem Bus Foto: ap

D ie Hoffnung stirbt zuletzt: Abertausende Ukrai­ne­r*in­nen versuchen mit letzter Kraft, der Hölle des Krieges zu entkommen und sich vor russischen Bomben und Granaten in Sicherheit zu bringen. Doch dass die Vereinbarung zwischen Russland und der Ukraine über die Schaffung humanitärer Korridore aus Städten wie Kiew, Charkiw, Sumy oder Mariupol dieses Mal Bestand hat und wirklich sichere Fluchtwege geschaffen werden, muss leider bezweifelt werden.

Mehrere Anläufe sind bereits gescheitert, weil russische Soldaten das Feuer auf wehrlose Zi­vi­lis­t*in­nen eröffneten. Offensichtlich meint der Kreml, mit seiner „Spezialoperation“ auch kleine Kinder „entnazifizieren“ zu müssen.

Der Gipfel des Zynismus ist der abwegige Vorschlag Moskaus, Korridore in Richtung Belarus und Russland zu eröffnen. Welch krankem Hirn dieses Ansinnen und mit welchen Hintergedanken auch immer entsprungen sein mag, Tatsache ist: Dieser Weg führt geradewegs ins Verderben. Warum sollten sich ausgerechnet die Ukrainer*innen, wenngleich zutiefst verzweifelt und vom Tod bedroht, dem Feind freiwillig ans Messer liefern?

Dazu passt dann auch die nächste Verhandlungsrunde, die wieder ergebnislos zu Ende ging. Etwas anderes war auch kaum zu erwarten. Moskau hält an seinen Forderungen, wie die nachträgliche Absegnung der Krim als russisches Territorium durch die Ukraine sowie die Einsetzung eines – dem Kreml genehmen – Statthalters in Kiew, stur fest. Vielleicht die Moskauer Marionette, der ukrainische Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch?

Das ist der Mann, der sich seit Jahren in Russland verkriecht und für die über 100 Toten auf dem Maidan 2014 maßgeblich verantwortlich ist. Jetzt fordert er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski dazu auf, dem Blutvergießen Einhalt zu gebieten. Verkehrte Welt!

Wie sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow so schön: Russland könne die „Operation“ jederzeit beenden. Ach ja wirklich – angesichts von tausenden toten russischen Soldaten und einem sinnlosen Krieg, der bisher nicht den gewünschten Erfolg bringt? Zumindest was die Ukraine angeht, sollte es der Kreml mittlerweile besser wissen: Den Kampf verloren geben ist derzeit keine Option, wie hoch der Preis auch sein mag.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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13 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich lese die TAZ nun schon viele Jahre und Teile die Meinung der Autoren gewiss nicht immer.



    Dies ist jedoch mein erster Kommentar.

    Es ist wirklich krass derartige Behauptungen in den Raum zu stellen.

    Kann man allen Ernstes glauben russische Soldaten würden in den Sicherheitskorridoren Zivilisten hinrichten?

    Ich finde übrigens Zuschreibungen eines Vernichtungskrieges ebenfalls maßlos.

    Wer sich nicht erinnern kann. Ein Vernichtunskrieg ist das was Nazi-Deutschland in der UdSSR getrieben hat. Da ging es wirklich darum jeden der nicht als Sklave zu gebrauchen war auszulöschen.

    • @Bitte um Bescheidenheit:

      Die Vokabel "Vernichtungskrieg" ist von Ihnen eingebracht.

      Frau Oertel umschreibt da auch nichts indirekt.

      Frau Oertel schreibt auch nicht, dass die Leute in den Sicherhietskorridoren hingerichtet werden.

      Sie meint wohl eher das, was passiert, wenn die Menschen erstmal in Russland oder Belarus sind.

    • @Bitte um Bescheidenheit:

      "Es ist wirklich krass derartige Behauptungen in den Raum zu stellen."

      Es sind keine Behauptungen, die Frau Oertel da aufstellt.

      "Russian mortar fire on Sunday killed a woman, her teenage son and her young daughter, as well as a family friend, as they tried to escape the fighting near Irpin."

      www.nytimes.com/20...ly-killed-war.html

      "Girl shot dead by Russians among at least 16 children killed in Ukraine invasion

      Russian troops killed Polina and her parents in their family car"

      www.independent.co...NHlNMFAtdmVmQVN2Tg..

  • Ich zweifele nicht einmal daran, dass sich Russland um die Versorgung der Flüchtlinge kümmern würde. Worum es Moskau tatsächlich geht ist klar: um einen billigen Propagandacoup. Auf der anderen Seite der Grenze würden schon die Kameras stehen und die Ukrainer zeigen die vor dem nazistischen Kiewer Regime fliehen und wie liebevoll sie von den russischen Behörden versorgt werden. (natürlich will kaum ein Ukrainer jetzt freiwillig nach Russland, aber in der Not. Tatsächlich sind seit Beginn des Krieges 53000 Ukrainer nach Russland gegangen -nicht aus den "Volksrepubliken" und nicht über die Korridore)

    • @ingrid werner:

      Sehe ich auch so, Propaganda.



      Vielleicht kann man die Flüchtlinge in Russland dann noch etwas "ausnehmen" vor der Weiterreise in die EU.

  • Vergessen wir auch nicht, dass das russische Militär Teile der Fluchtrouten vermint hat, sagt inzwischen auch das Rote Kreuz.

    "Stillhart said some Red Cross staff had tried to take the proposed route out of Mariupol before realizing that it was mined."

    www.businessinside...r-red-cross-2022-3

    Aber innerhalb der "Kremllogik" sind fliehende Ukrainer nach Russland schon wichtig, die Bilder werden dann sofort in die Welt geschickt. Seht her, wir begehen gar keine Kriegsverbrechen, wir retten da Leute und die fliehen nach Russland.

  • Die "humanitären Korridore" sind ja nur der erste Schritt. Man hat das in Syrien mehrfach gesehen. Der Nächste ist dann systematisches und rücksichtsloses Bombardieren ziviler Ziele (Krankenhäuser, Schulen, Märkte, Bäckereien etc.) unter der "Rechtfertigung", nun seien ja nur noch "Terroristen" (im Fall Ukraine vermutlich ersetzt durch "Nazis") im Gebiet. Fehlt eigentlich nur noch hier und da ein wenig Giftgas, und alles ist so wie in Syrien.

  • Joe Biden geht voran: Importstop von Öl aus Russland. Die bequemen Deutschen sollten es ihm nachtun, zumal Ökonomen vorgerechnet haben, dass Deutschland auf russisches Öl und Gas sehr wohl verzichten kann. Noch was: in den letzten Tagen war von Biden, Scholz, Lambrecht u.a.u hören, die Nato werde keinen "Quadratzentimeter zurückweichen", wenn Russland das Baltikum angreifen sollte. Wenn man also (angeblich) bereit ist, im Zweifel Krieg zu führen gegen Russland, warum dann nicht für die Ukraine? Müssen erst ein paar Hunderttausend wie in Syrien oder Tschetschenien sterben bis der Westen eingreift? Wenn nicht militärisch, dann doch zumindest ökonomisch mit allen Registern: Sofortiges Öl- und Gasembargo. Das dürfte schon genügen, um Putins Mordmaschine anzuhalten und abertausende ukrainische Leben zu retten.

    • @Michael Myers:

      Wenn man also (angeblich) bereit ist, im Zweifel Krieg zu führen gegen Russland, warum dann nicht für die Ukraine?



      Weil die Unkraine kein Teil der NATO ist die Baltischen Staaten schon.

  • Eine Unfassbarkeit jagt die andere.



    Wie einzelne Menschen, meist Männer, im Laufe der Jahrhunderte bis heute, es schaffen, hilfreiche Vasallen zu finden, die für Macht und Geld alles tun, wird für mich bis zum letzten Atemzug unbegreiflich bleiben. Ein Verrückter und viele, die ihm folgen, egal wo er sich verkriecht, um seine Befehle zu erteilen.

    • @snowgoose:

      "Eine Unfassbarkeit jagt die andere."

      Sie bringen es auf den Punkt.

      Vorhin las ich, dass die UN ihre Mitarbeiter per Mail aufgefordert hat, beim Überfall auf die Ukraine doch nicht von Krieg oder Invasion zu sprechen, sondern von Konflikt oder militärischer Offensive. Ach und von Sympathiebekundungen für die Ukraine, wie Flaggen oder ähnliches ist auch als UN Mitarber Abstand zu nehmen.

      "Instead, UN staff have been instructed to use the terms “conflict” or “military offensive” to describe Russia’s invasion of its neighbour, which has killed hundreds of civilians and forced two million people to flee the country.

      In an email to staff on Monday, the UN communications department instructed employees not to describe the situation as a war and not to add the Ukrainian flag to personal or official social media accounts or websites."

      www.irishtimes.com...-ukraine-1.4821438

  • Wie Putin Zivilisten und Flüchtlinge behandelt, hat er der Welt in Tschetschenien und Syrien überdeutlich gezeigt. Wer danach noch an das Mitgefühl Putins appelliert, ist naiv. Putin mag Hunde, nicht Menschen.