Hürden im Alltag mit Corona: S wie Seife, S wie Solidarität
Alle Reisepläne futsch. Geburtstagsparty fällt aus … Aber könnte aus der Corona-Krise nicht auch etwas Neues wachsen? Unser Autorin hofft darauf.
M einen persönlichen Coronavirustiefpunkt hatte ich bereits Ende Februar. Soeben war in mir die Gewissheit gereift, dass die Sache mit Covid-19 wohl doch keine chinesische oder jetzt eben italienische Angelegenheit bliebe. Also machte ich mich auf den Weg in die kleine Apotheke an der Straßenecke, ging zur nächsten, danach zur übernächsten und schließlich zum Drogeriemarkt, um Desinfektionsmittel (raten Sie mal!) oder wenigstens Seife zu kaufen.
Nach einigen Schlappen fand ich mich schließlich gemeinsam mit einer Mutter mit Kind vor einem der fast leeren Seifenregale wieder. Während wir Frauen – die letzten Seifenstücke fest im Blick – vor dem Regal auf und ab tigerten, überlegten wir wohl beide, ob tiefbraune, steinharte Kernseife wirklich gerechtfertigt war im Kampf gegen das Virus.
Wahrscheinlich nicht, denn auch in den Gängen mit Oberflächenreinigern, Brillenputztüchern und Reisegrößen trafen die Mutter, das Kind und ich uns auf der Suche nach Waschlauge wieder. Die Hoffnung auf Seife – sie zerplatzte wie eine Blase im Neonlicht der Drogerie. So leer wie hier hatte ich – als Kind der DDR – nicht mal die Regale des örtlichen Konsums in Erinnerung, denn Geleebananen, Puffreis und Knusperflocken gab es eigentlich immer.
Seit vergangener Woche nun durchkreuzt Corona fast täglich meine Pläne. Vier Wochen lang wollten mein Mann und ich demnächst bei Freunden in Australien schnorcheln, grillen, Roadtrips entlang der Sunshine Coast unternehmen und endlich mal so richtig den Kopf frei bekommen. Es sollte unser Coup des Jahres werden – schon im vergangenen Herbst hatten wir mit der Reiseplanung begonnen, hatte ich meinem Chef erklärt, dass ich trotz dünner Personaldecke unbedingt wochenlang verzichtbar sei.
Und auch alle Inseln dicht
Täglich hatten wir seit Ende Januar Coronavirus-Echtzeitkarten studiert, noch einmal die Route unseres Hinflugs von Thailand (hurra!) auf das zu diesem Zeitpunkt noch coronavirusfreie Bali (hurra, hurra!) geändert und uns schweren Herzens zuletzt doch für die Ost- statt die Südsee entschieden. Bis just vor ein paar Tagen die Ostsee- und die Nordseeinseln dichtmachten, inzwischen sind die Länder Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein für UrlauberInnen komplett gesperrt.
Dass mein Mann Anfang der Woche seinen Geburtstag feierte, machte die Sache nicht tröstlicher. Geburtstagsblumen und Wohnzimmerparty fielen aus. Am Abend erstanden wir neben den letzten zwei Litern Vollmilch im Supermarkt gerade noch eine Pizza zum Mitnehmen bei unserem Lieblingsitaliener. Der Gastraum, in dem wir zur Feier des Tages essen wollten, blieb geschlossen.
So weit, so scheiße. Und dennoch sind wir gesund und mit unseren Problemchen in diesen Tagen so viel besser dran als viele MitbürgerInnen. Denn jede/r ist betroffen, das Coronavirus nimmt keine Rücksicht auf niemanden und wird dabei zum Stresstest für die Gesellschaft.
Doch längst hat die Krise auch viel Gutes hervorgebracht. In Norditalien etwa sammelten ItalienerInnen 300.000 Euro, um ein Krankenhaus in Parma zu unterstützen, in Südtirol unterrichten LehrerInnen ihre SchülerInnen aus Onlineklassenzimmern, und im toskanischen Siena veranstalten NachbarInnen wunderbare Balkonkonzerte, die durch die menschenleeren Gassen schallen. In Madrid applaudierten Tausende BürgerInnen minutenlang von ihren Balkonen, um sich bei ÄrztInnen, SanitäterInnen und KrankenpflegerInnen zu bedanken. Und auch die BerlinerInnen helfen einander. Auf handgeschriebenen Zetteln, die in Hauseingängen und an Laternenpfählen hängen, bieten derzeit viele junge Menschen Älteren Hilfe beim Einkaufen, Putzen oder Gassigehen mit dem Hund an.
Könnte Corona auch eine Chance sein?
Unter den Hashtags #SolidaritätGegenCorona und #Nachbarschaftshilfe organisieren FollowerInnen auf Twitter sogar Gabenzäune, an denen Tüten mit Lebensmitteln für Obdachlose hängen – nachdem auch die Berliner Tafeln schlossen. Kürzlich hat ein 15-jähriger Schüler die digitale Plattform CoronaPort ins Leben gerufen, über die hilfsbedürftige Menschen HelferInnen finden sollen und Desinfektionsmittel und Lebensmittelspenden verteilt werden.
Galt im Kapitalismus bisher das Ideal des starken Einzelnen, des Konkurrenzdenkens, des Ellbogens und des Materialismus als weit verbreitet, scheint die Bereitschaft zur Solidarität, zur Hilfsbereitschaft und zum Zusammenhalt in der Gesellschaft gerade zu wachsen.
Könnte Corona nun also die Chance sein, gesellschaftliche Spaltungen von Ost und West, von links und rechts, von Klimawandel-LeugnerInnen und KlimaaktivistInnen im Land zu überwinden?
Eben brachte der Postbote ein Päckchen ins Haus, in dem auch ein Fläschchen Desinfektionsmittel von meinem Bruder lag, der in Schweden lebt. Lange Zeit hatten wir uns nichts zu sagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr