Hornlose Rinder auf Bioverband-Höfen: Demeter bricht die eigenen Regeln
Der Bioverband wirbt damit, dass er hornlose Rinderrassen verboten hat. Tatsächlich aber halten zahlreiche Betriebe genau solche Tiere.
Sowohl in konventionellen als auch Biobetrieben werden den meisten Kälbern ein paar Wochen nach der Geburt die Hornansätze ausgebrannt. Oder die Tiere kommen hornlos zur Welt, weil ihre Rasse so gezüchtet wurde. Denn viele Bauern fürchten, dass Tiere mit Hörnern sich gegenseitig oder Menschen verletzen könnten.
Demeter dagegen argumentiert beispielsweise auf seiner Internetseite mit dem „Respekt“ vor dem Tier. „Die Natur irrt nicht“, schreibt der Verband. Die Landwirte des Verbands „passen ihre Tiere nicht einfach den ‚Produktionsbedingungen‘ an, sondern bauen Ställe, die groß genug sind für die Bedürfnisse ganzer Kühe“. Zudem würden sie sich Zeit nehmen, die Rinder zu beobachten und „eine vertrauensvolle Beziehung“ zu schaffen. So würden sie das Verletzungsrisiko minimieren.
Hörner sind Demeter zufolge für Rinder wichtig als Mittel der Körpersprache und Körperpflege. Außerdem vermutet der anthroposophisch ausgerichtete Verband, dass das Horn die Milchqualität verbessere und zur Regulierung der Körpertemperatur beitrage. Deshalb verbietet Demeter nach eigenen Angaben als einziger Bioverband das Enthornen und Züchten von hornlosen Rindern „konsequent“. Bioland zum Beispiel erlaubt das Enthornen, allerdings anders als bei konventionellen Höfen nur, wenn ein Tierarzt das Kalb vorher lokal betäubt hat. Hornlose Rassen lässt der Verband zu.
Ist das schon Verbrauchertäuschung?
Doch wie konsequent Demeter seine Versprechen umsetzt, ist umstritten. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Demeter-Landwirte gegen das grundsätzliche Verbot verstoßen, Rinder zu enthornen. Aber die 2014 beschlossene Demeter-Richtlinie enthält einen „Bestandsschutz“ für Rinder der Fleischrassen Aberdeen Angus, Deutsche Angus und Galloway, die so gezüchtet sind, dass sie keine Hörner entwickeln. Zudem hätten zwei sozialtherapeutische Einrichtungen eine Ausnahmegenehmigung, erklärt Demeter-Sprecherin Kölling. Auch diese Möglichkeit ist in der Richtlinie ausdrücklich enthalten.
Doch dass „zahlreiche“ normale Betriebe in einer zeitlich nicht definierten „Umstellungsphase“ genetisch hornlose Rinder halten dürfen, wie Kölling einräumt – davon steht in der Richtlinie kein Wort. „Die Umstellungsphase ergibt sich aus der Praxis“, antwortet die Pressesprecherin auf die Frage der taz nach der Rechtsgrundlage. „Viele Betriebe, die zu uns kommen, haben leider bereits einen Teil genetisch hornloser Rinder oder enthornter Rinder. Die Rinderherde ist das Kapital eines Milchviehbetriebes – die kann man nicht einfach von einem Tag auf den anderen komplett austauschen.“
Trotzdem wirbt der älteste Bioverband in Deutschland damit, dass seine Kühe Hörner haben. So könnten Verbraucher sich allerdings getäuscht fühlen. Fraglich ist auch, ob solche Höfe nicht bei anderen Verbänden wie Bioland besser aufgehoben wären.
Kölling wies Vorwürfe zurück, Demeter-Höfe würden mit der Hornpflicht lax umgehen. „Das ist nicht der Fall“, sagte sie. Ab dem ersten Tag der Umstellung auf Demeter-Standard dürften die Höfe keine genetisch hornlosen Zuchtstiere oder Sperma von ihnen mehr einsetzen. „In der Kontrolle muss der Betrieb beweisen, dass in der Herde ein kontinuierlicher Zuchtfortschritt in Richtung Horngenetik erfüllt ist.“
Das lässt sich von außen kaum überprüfen. Gegen eine konsequente Kontrolle spricht, dass Demeter laut Kölling noch nicht einmal statistisch erfasst, wie viele der rund 900 deutschen Demeter-Höfe mit Rindern im Rahmen der Umstellung oder des Bestandsschutzes überhaupt noch genetisch hornlose oder enthornte Tiere halten.
Die Verbandssprecherin entgegnete: „Unsere Berater haben die Anweisung, im Umstellungsplan zu vermerken, wie der Bestand zu Umstellungsbeginn in Bezug auf genetische Hornlosigkeit aufgestellt ist.“ Die Daten lägen „zurzeit eben nur dezentral in Berichten vor, sind aber nicht zentral digital abrufbar“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich