Hongkongs neues Supermuseum: Die Zensoren warten schon
Das kürzlich eröffnete M+ in Hongkong soll zum führenden Museum in Ostasien werden. Doch kann kritische Kunst hier wirklich gedeihen?
Die Startvoraussetzungen sind an sich exzellent: Die Schweizer Architekten von Herzog & de Meuron entwarfen ein grandioses Gebäude vis-à-vis der Skyline Hongkongs. Und die Standortwahl schien vor wenigen Jahren noch mehr als einleuchtend: Die einstige britische Kronkolonie ist der wichtigste Hub für Kunstsammler in ganz Asien.
Doch die Ausgangslage hat sich inzwischen verändert. Peking hat der Finanzmetropole ein drakonisches Gesetz für nationale Sicherheit aufgezwungen, welches die Zivilgesellschaft Hongkongs ausradiert hat. Nicht nur wurden Politiker und Aktivisten verhaftet, sondern auch der freie Austausch von Ideen unterbunden: Bibliotheken säuberten Bücherbestände, Lehrer änderten Unterrichtsmaterialien, Kinos zensierten Filmvorstellungen. Kann in einem solchen politischen Klima freie Kunst gedeihen?
Am Donnerstag lieferte ein hochrangiger Regierungsbeamter Hongkongs die Antwort: „Die Eröffnung des M+ bedeutet nicht, dass künstlerischer Ausdruck über dem Gesetz steht. Das tut es nicht“, sagte Henry Tang, Leiter des West Kowloon Cultural District.
Für den Schweizer Uli Sigg dürften die jüngsten Entwicklungen mehr als ernüchternd sein. Der 75-jährige Kunstmäzen – und einstige Botschafter in Peking – häufte in den letzten viereinhalb Jahrzehnten die weltweit umfassendste Sammlung chinesischer Gegenwartskunst an. Rund 1.500 Werke von 320 Künstlern hat Sigg bereits 2012 dem Museum M+ vermacht. „Damals wurde mir von oberster Stelle bestätigt, dass in Hongkong uneingeschränkt Kunstfreiheit bestehe. Dies ist heute natürlich nicht mehr in derselben Form der Fall“, sagte der Luzerner kürzlich der NZZ.
Im Keim erstickt
Man muss nur einen Blick nach Festlandchina werfen, um zu sehen, wie die Staatsführung ihr nicht gefällige Kunst im Keim erstickt. Wer das Nationale Kunstmuseum in Peking besucht, kann bloß anhand der Jahreszahlen das jeweilige politische Klima erahnen: Während von 1980 bis zu den frühen Nullerjahren mit abstrakten Formen und Ambiguitäten experimentiert wurde, sind die Exponate unter der Herrschaft Xi Jinpings oftmals auf die Spitze getriebene Spielereien des sozialistischen Realismus: Als Motive dienen etwa glückliche Familien vor vollen Supermarktregalen oder Arbeiter in modernen Hafenanlagen.
In Hongkong ist es längst noch nicht so weit, die Kunstfreiheit genießt nach wie vor Privilegien. Insbesondere die Uli-Sigg-Sammlung im M+ streift auch politisch sensible Themen, darunter die blutige Niederschlagung der Studentenbewegung am Tian’anmen-Platz 1989. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis Pekings Zensoren einschreiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag