Schuldspruch wegen „Aufwiegelung“: Hongkong ohne Pressefreiheit
In Hongkong wurden ein pro-demokratisches Webmedium und zwei Ex-Chefredakteure schuldig gesprochen. Sie saßen schon monatelang im Gefängnis.
„Ich erkläre die drei Angeklagten für schuldig“, sagte Richter Kwok Wai-kin am Donnerstag im Gericht des zentralen Verwaltungsbezirks Wan Chai.
Die Journalisten Chung Pui Kuen (54) und Patrick Lam (36) sowie die Betreiber der 2021 geschlossenen Website waren wegen „Verschwörung zur Veröffentlichung und Vervielfältigung aufrührerischer Publikationen“ angeklagt. Das Strafmaß wurde noch nicht verkündet.
Die beiden früheren Chefredakteure des chinesischsprachigen Portals saßen jeweils bereits fast ein Jahr in Haft, berichtete das letzte noch verbliebene halbwegs regierungskritische englischsprachie Webportral Hong Kong Free Press am Donnerstag.
Vorwurf der Unterstützung von „Hongkongs Autonomie“
In der schriftlichen Begründung des Urteils erklärte Richter Kwok, Stand News habe die „Autonomie Hongkongs unterstützt und vorangetrieben“. Zudem sei die Plattform zu einem Werkzeug geworden, um die Behörden der Zentralregierung in Peking und die Hongkonger Regierung zu „verleumden und zu diffamieren“.
Die Ironie an dem Urteil ist, dass die Regierung in Peking bei der Rückgabe der britischen Kronkolonie Hongkong 1997 an China der neuen Sonderverwaltungszone für 50 Jahre Autonomie und Selbstverwaltung versprochen hatte nach der Formel „ein Land, zwei Systeme“. Doch hat sich China immer stärker in Hongkong eingemischt und wollte von der ebenfalls versprochenen Demokratie ebenso wenig wissen wie von echter Autonomie.
Auch das Mutterunternehmen von Stand News, Best Pencil Limited, wurde jetzt für schuldig befunden. Das Vergehen kann mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden.
Es ist die erste Verurteilung dieser Art seit der Rückgabe an China. Das Urteil ist ein weiterer herber Rückschlag für die Pressefreiheit in der Metropole. Die letzten Urteile gegen Journalisten und kritische Medien wie den früheren Verleger von Apple Daily, Jimmy Lai, erfolgten überwiegend auf der Basis des am 30. Juni 2020 erlasenen nationalen Sicherheitsgesetzes, mit dem die damalige Protestbewegung erfolgreich unterdrückt wurden. Lai sitzt derzeit eine Gefängnisstrafe in Isolationshaft ab.
Hongkongs Absturz bei Pressefreiheit von Rang 18 auf 135
Auf der Liste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen ist die Sonderverwaltungszone Hongkong in den vergangenen zwei Jahrzehnten von Platz 18 auf Platz 135 abgerutscht.
Stand News wurde 2014 als nicht-kommerzielles Medium gegründet und in zwei Umfragen der Chinesischen Universität Hongkong in 2016 und 2019 zum glaubwürdigsten Online-Newsportal der Stadt gekürt.
Strand News erreichte während der pro-demokratischen Proteste in Hongkong 2019 eine große Leserschaft, seine Facebook-Seite zählte bei der nach einer Razzia erfolgten Schließung von StandNews Ende Dezember 2021 mehr als 1,7 Millionen Likes.
Die Staatsanwaltschaft hatte in dem Prozess zahlreiche Artikel des Mediums als Beweismittel angeführt, in denen die Beschneidung von Freiheiten in der früheren britischen Kolonie seit der gewaltsamen Niederschlagen massiver pro-demokratischer Proteste durch die Zentralregierung in Peking kritisiert wurde.
Vorwurf der „Förderung illegaler Ideologien“
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft haben einige der Artikel „illegale Ideologien“ gefördert sowie das Sicherheitsgesetz und die Strafverfolgungsbehörden diffamiert. Stand News sei sowohl eine politische Plattform als auch ein Online-Nachrichtenportal gewesen, erklärten die Anklagevertreter.
Chung bestritt, dass es sich bei Stand News um eine politische Plattform gehandelt habe. Lams Anwältin Audrey Eu erklärte, die Reporter von Stand News hätten die Aufgabe gehabt, nach unabhängigen redaktionellen Standards zu berichten. „Der Weg für Journalisten, die Pressefreiheit zu verteidigen, ist das Berichten“, sagte Eu im Namen ihres Mandanten.
Stand News war eines der letzten Nachrichtenangebote in Hongkong, das die Regierung der Sonderverwaltungszone offen kritisierte. Im Dezember 2021 stellte das Portal den Betrieb ein, nachdem mehr als 200 Polizisten Büros durchsucht und sieben Journalisten und frühere Vorstandsmitglieder unter dem Vorwurf festgenommen hatten, diese hätten aufrührerisches Material veröffentlichen wollen.
Am Donnerstag hatten sich mehr als 100 Menschen zur Urteilsverkündung vor dem Gerichtsgebäude versammelt. Vertreter mehrere Konsulate, darunter die USA, Großbritannien und die Europäische Union, wohnten der Urteilsverkündung bei.
In einem weiteren Prozess wurde am Donnerstag ein Angeklagter wegen eines angeblich geplanten Bombenanschlags auf die Polizei in Hongkong während der Proteste im Jahr 2019 verurteilt. Sechs weitere Angeklagte wurden Medienberichten zufolge von der Jury freigesprochen. Dem Verurteilten Lai Chun-pong droht nun eine Strafe von bis zu 20 Jahren Gefängnis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen