Höchststrafe für Beate Zschäpe gefordert: „Sie hat alles mitgetragen“
Die Bundesanwaltschaft plädiert im NSU-Prozess dafür, dass Zschäpe eine lebenslängliche Haftstrafe erhält – mit anschließender Sicherungsverwahrung.
Denn Diemer fordert am Dienstag, nach 382 Verhandlungstagen im NSU-Prozess, für Zschäpe die Höchststrafe: lebenslange Haft mit besonderer Schwere der Schuld und anschließender Sicherungsverwahrung. Zschäpe habe einen „Abgrund an Menschen- und Staatsfeindlichkeit“ offenbart, sagt Diemer. „Sie hat alles gewusst, alles mitgetragen und auf ihre Art mitgesteuert.“ Deshalb sei die Höchststrafe „unumgänglich“.
Die Strafmaßforderung Diemers markiert das Ende eines achttägigen Plädoyers der Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess. Mehr noch: Sie markiert einen ersten Endpunkt in einem historischen Prozess, der zunächst kein Ende zu nehmen schien. Viereinhalb Jahre lang wurde bis hierhin verhandelt, rund 600 Zeugen befragt. Nun zieht die Bundesanwaltschaft ihren Schlussstrich. Und sie sieht ihre Anklage von 2012 voll bestätigt.
Schon damals hatte sie Beate Zschäpe die volle Schuld für alle Verbrechen des NSU angelastet – obwohl die 41-Jährige an keinem Tatort gesehen worden ist. Neun Migranten hatte die Rechtsterroristen von 2000 bis 2006 erschossen – Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat. Der letzte Mord erfolgte 2007, an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Dazu gab es zwei Bombenanschläge in Köln und 15 Raubüberfälle.
Zschäpe habe von allen Taten gewusst und diese auch unterstützt, unterstreicht nun Diemer, eine Koryphäe der Bundesanwaltschaft, seit 30 Jahren im Amt. Sie sei „mitsteuernde Tatgenossin“ gewesen. „Ein eiskalt kalkulierender Mensch, für den Menschenleben keine Rolle spielen, wenn es um die Durchsetzung ihres Willens geht.“ Für jeden der zehn Morde, für die zwei Anschläge und auch für einen Banküberfall, bei dem Zschäpes Kumpanen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt um sich schossen, fordert Diemer jeweils lebenslange Haft. Gleiches für Zschäpes letzte Tat: das Anzünden des NSU-Unterschlupfs in Zwickau im November 2011, das eine betagte Nachbarin in Lebensgefahr brachte.
Bis heute habe Zschäpe weder glaubhafte Reue noch eine Abkehr von ihrer rechtsextremen Ideologie gezeigt, sagt Diemer. Vielmehr habe sie auch nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos noch die zynische Bekenner-DVD des Trios verschickt. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Zschäpe ihre terroristischen Absichten weiter vertritt, betont Diemer. Eine Sicherungsverwahrung sei daher zwingend – um Zschäpe Zeit für eine Läuterung zu geben und die Allgemeinheit vor ihr zu schützen.
Viele Jahre hinter Gitter
Mit der geforderten Höchststrafe könnte Zschäpe nun für viele Jahre hinter Gitter verschwinden – wenn die Richter der Bundesanwaltschaft folgen. Bisher jedenfalls ließ der Vorsitzende Richter Manfred Götzl im Prozess nicht durchblicken, dass er an der Anklage Zweifel hat.
Diemer fordert auch für die vier Mitangeklagten teils hohe Strafen. Für den als Beschaffer der Česká-Mordwaffe beschuldigten Ralf Wohlleben plädiert er auf eine zwölfjährige Haftstrafe. Holger G., der dem Trio eine Waffe zustellte und Papiere überließ, soll für fünf Jahr ins Gefängnis. Milder wird es für Carsten S., der die Česká den Untergetauchten überbrachte: Für ihn fordert Diemer drei Jahre Haft nach Jugendstrafrecht – weil der Szeneaussteiger zur Tatzeit noch Jugendlicher war und die Ermittler erst durch sein umfassendes Geständnis überhaupt auf seine Fährte kamen.
Ganz anders als André E.: Dem NSU-Trio hielt der überzeugte Neonazi bis zum Schluss die Treue. Er besorgte Wohnungen, Wohnmobile und Papiere. Bis heute schweigt E. darüber – und hoffte so, glimpflich davonzukommen. Diemer aber fordert nun auch für ihn eine 12-jährige Haftstrafe und die sofortige Festnahme.
André E. wirkt überrumpelt, sein Verteidiger protestiert erfolglos: Noch im Saal wird E. vorläufig festgenommen. Bis zum Mittwoch will das Gericht nun beraten, ob es tatsächlich einen Haftbefehl erlässt. Immer wieder hatte André E. den Prozess grinsend verfolgt. Nun schüttelt er den Kopf, schreibt aufgeregt SMS – und wird dann abgeführt.
Im Saal verfolgt die Szenen auch Yvonne Boulgarides, Witwe des 2005 in München erschossenen Theodoros Boulgarides. Gerechtigkeit werde es für sie nach dem Mord nicht geben, sagt sie. Auch weil so viele Fragen noch offen seien. Aber heute, mit den hohen Strafforderungen, „da spüre ich etwas Genugtuung“.
Ab Donnerstag sollen nun die Opfer eine Stimme im Prozess bekommen – mit den Plädoyers der Nebenklage. Auch diese werden sich über Wochen ziehen: 55 Anwälte der Betroffenen wollen Schlussworte halten. Erst danach folgen die Plädoyers der Verteidiger – und dann das Urteil.
Dieser Artikel wurde am 12.9.2017 um 17.13 Uhr aktualisiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung